Mannheim, 24. Juni 2015. (hp) Die Mannheimer Grünen haben zwei Männer für die beiden Landtagswahlkreise aufgestellt. Der Landtagsabgeordnete und Stadtrat Wolfgang Raufelder (57) aus Seckenheim wird versuchen sein Mandat zu verteidigen, im Norden tritt Stadtrat Gerhard Fontagnier (61) an, der sich gegen Stadträtin Melis Sekmen (21) durchsetzte. Die Grünen haben mit der Nominierung die Chance verpasst, erstens eine Frau ins Rennen zu schicken, zweitens, das „Wahlalter“ deutlich abzusenken und drittens, tatsächlich zwei Abgeordnete ins Parlament zu bekommen.
Von Hardy Prothmann
Für Wolfgang Raufelder verlief die Nominierungswahl eindeutig: 41 von 48 Stimmen bei zwei Enthaltungen und fünf Nein-Stimmen, sind ein gutes Ergebnis, mit dem der Architekt und Diplom-Biologe zufrieden sein kann. Er hat 2011 der CDU den Wahlkreis Süd weggenommen. Nur 300 Stimmen mehr als der damalige CDU-Kandidat Claudius Kranz, aber rund 1.000 Stimmen mehr als die Stadt- und Landtagskollegin Helen Heberer (SPD) hatte er bekommen.
Klappts auch ohne Fukushima?
Der „Fukushima-Effekt“ wurde erwähnt, war aber kein echtes Thema. Die Sorge ist groß, dass es 2016 nicht mehr reicht. Wieso fast 15 Prozent sich enthalten oder gegen Herrn Raufelder gestimmt haben, war auch kein Thema. Auch nicht in den Fragen an die Kandidaten. Schade für die eigentlich so diskussionsfreudigen Grünen auf dem Weg zum Machterhalt.
Wieso der Kreisverband Herrn Raufelder und sich selbst nicht stärkt, bleibt das Geheimnis der Mannheimer Grünen. Herr Raufelder benannte Erfolge und Linien grüner Politik – Sanierung von Straßen statt Neubau beispielsweise oder die Energiewende – das wurde zur Kenntnis genommen, aber echte Aufbruchsstimmung war nicht spürbar.
Fontagnier gewinnt Kampfabstimmung gegen Sekmen
Die Kampfabstimmung zwischen dem „Urgestein“ Gerhard Fontagnier und der Newcomerin Melis Sekmen war der Höhepunkt der Nominierungsveranstaltung. Und das Ergebnis zeigt einen Zwiespalt zwischen „oben und unten“, zwischen „alt und neu“. Herr Fontagnier ist kein Pferd, auf das man setzt, wenn man Zukunft gestalten will – aber offenbar gibt es „genug“ Basis, die das anders sieht. Melis Sekmen ist zu jung und unerfahren, um gegen einen Platzhirsch wie Herrn Fontagnier überzeugend punkten zu können.
Die Auftritte der beiden könnten nicht unterschiedlicher sein: Beide sind nervös, aber Herr Fontagnier ruft auf, „mobilisiert“ – Melis Sekmen ist artig und liest zu viel ab.
Herr Fontagnier zählt seine Vergangenheit auf, reckt das Kinn vor, zählt zweifelhafte Erfolge auf, Melis Sekmen redet über Zukunft, hat sich viele Gedanken gemacht, wirkt aber stellenweise schüchtern und kann in Sachen „Erfolge“, nach denen sie auch gefragt wird, nur wenig antworten – sie ist erst ein Jahr im Ehrenamt als Stadträtin, hat nach Herrn Raufelder die meisten Stimmen erhalten, war Spitzenkandidatin. Gerhard Fontagnier macht seinen „siebten Wahlkampf“.
Lagerdenken
Unter’m Strich ist das Ergebnis 22 Stimmen für die 21-jährige Melis Sekmen gegen 30 Stimmen für den „Haudegen“ Gerhard Fontagnier, immer noch mehr als respektabel für die junge Frau türkischer Abstammung.
In den Gesichtern der „Lager“ ist viel zu lesen. Die, die den knappen „Sieg“ des Alten über die Junge wollten, gucken mindestens so unsicher wie die, die noch nicht an diese junge Frau glauben, aber dem Alten schon längst nicht mehr. Man könnte das auch ein Dilemma nennen.
Vermutlich ist es für die Mannheimer Grünen ein Glücksfall, dass Gerhard Fontagnier für den Norden antritt. Er wird verlieren, es werden fünf weitere Jahre ins Land gehen und sofern Melis Sekmen bei der Stange bleibt, erreicht sie das „wahlfähige“ Alter. Dann ist sie 26 Jahre alt, hat ihr Studium beendet, ist in einer Anstellung, um viele Erfahrungen reicher. Hier haben die Grünen eine Zukunftshoffnung.
Die Gerd-Show wird nicht erfolgreich sein
Gerhard Fontagnier hingegen darf sich auf seine alten Tage freuen, nochmals den Kämpfer geben zu dürfen. Er wird mit Sicherheit irgendwas mit „Mannheim sagt ja“ „performen“. Er wird sich in Szene setzen und wissen, dass es seine letzte Show ist – aber die wird er auskosten wollen.
Das Wahlergebnis ist für die „Gerd-Show“ egal. Er darf nochmal und wird alles geben. Dafür ist er immer gut. Ob „alles“ möglicherweise einen enormen Schaden für die Nachfolgerin Melis Sekmen bedeuten könnte, darüber denken gewisse Grüne nach – natürlich nicht laut und nicht zitierfähig.
Doch das sind „strategische“ Überlegungen. Melis Sekmen ist gut beraten, kontinuierlich und ehrlich weiterzumachen und sich nicht von der knappen Niederlage gegem Herrn Fontagnier ablenken zu lassen. Wenn sie es schafft, sich vom Blatt zu lösen und ihren Charme und ihre Ehrlichkeit in den Vordergrund zu rücken, wird sie eine Top-Kandidatin werden.
Sekmen gehört die Zukunft
Ihre Zukunft liegt vor ihr – die wollten die Grünen in Mannheim aktuell nicht. Stattdessen darf Herr Fontagnier zum letzten Marsch blasen. Er wird verlieren. Ob Frau Sekmen zukünftig gewinnen wird, hängt nicht nur von ihr ab, sondern von denen, die „Lager denken“.
Andersherum gedacht darf Frau Sekmen mehr als zufrieden sein: Sie hat mit 21 Jahren gegen ein „Urgestein“ ein Top-Ergebnis erreicht und darf sich zurücklehnen: Erst schaut sie zu, wie Herr Fontagnier mit „Pauken und Trompeten“ verliert, und währenddessen und danach kann sie überlegen, wie sie gewinnen kann.
Sie hat ihre Qualitäten benannt: Sie ist jung. Sie ist türkischer Abstammung. Sie hat sich durchgesetzt. Sie studiert. Sie ist aber nicht abgehoben. Sie ist eine Frau. Sie ist aus dem Norden. Und sie übt – nicht Straßenkampf, sondern reflektiert Zukunft. Rund 60 Prozent der Kinder unter sechs Jahren haben in Mannheim einen Migrationshintergrund.
Gute Chancen für Raufelder
Wolfgang Raufelder hat 2011 aus dem Stand 15 Prozentpunkte dazugewonnen und das Mandat gewonnen. Er hat auf Grund guter Arbeit beste Chancen, gut im Rennen zu sein, sein Mandat zu verteidigen. Ein Angreifer steht fest – der SPD-Kandidat Dr. Boris Weirauch als Nachfolger für Helen Heberer. Wen die CDU aufstellt, wird sich in wenigen Wochen zeigen. Wolfgang Raufelder wird kämpfen müssen – auf hohem Niveau.
Gerhard Fontagnier wird mit Sicherheit im Norden verlieren und trotzdem den „Kampf“ als „Gewinn“ verkaufen. Es wird sein letztes Scheitern sein, das er als Erfolg verbuchen wird – das mag man ihm gönnen. Immerhin wurde der „sich selbstausbeutende Grafiker“ (so nennt er sich) Stadtrat und ist stolz wie bolle drauf. Er sucht schon immer die Bühne, die Kameras, die Selbstdarstellung – nur nicht die Kritik. Die bezeichnet er dann als „Hetze“ und durch den Titel „Nazigator“ fühlt er sich „geadelt“.
Melis Sekmen hätte nicht gegen Stefan Fulst-Blei gewinnen können. Den Verlust fährt Gerhard Fontagnier ein – je deutlicher, desto besser für Melis Sekmen.
Die junge Frau darf zufrieden sein – 22 Stimmen sind ein Top-Achtungserfolg. Ob die Grünen mit der Personalie Fontagnier glücklich werden, darf man abwarten – die Außenwirkung ist jedenfalls alles andere als ideal grün.