Rhein-Neckar/Berlin, 26. Januar 2016. (red/pro) Darf man die Herkunft von Tatverdächtigen nennen? Wann ist das zulässig, wann nicht? Dazu gibt es klare Regeln, beispielsweise im Pressekodex des Deutschen Presserats. Die Ziffer 12 „Diskriminierung“ ist eindeutig – doch es kommt immer auf „Sachbezug“ an, sagt Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserats.
Interview: Hardy Prothmann
Herr Tillmanns, der Deutsche Presserat legt über seinen Kodex fest, welche Regeln die Mitglieder bei der Berichterstattung zu beachten haben. Ziffer 12 besagt, dass niemand diskriminiert werden darf, beispielsweise durch die Nennung der Herkunft. Aktuell wird aber insbesondere bei Straftaten zu sexuellen Übergriffen sehr wohl häufig die Herkunft genannt. Ist das ein Verstoß gegen die Regeln?
Lutz Tillmanns: Nein. Ich halte das im Falle der aktuellen Berichterstattung zu den Silvesterereignissen in Köln für zulässig, wenn Opfer und Behörden das selbst so darstellen. Ziffer 12 regelt, dass eine Diskrimierung vorliegt, wenn ohne anlässlichen Zusammenhang Herkunft oder Religionsgemeinschaft beispielsweise genannt werden. Aktuell ist der Anlass gegeben.
Die Regeln des Kodex sind also „Auslegungssache“?
Tillmanns: Der Kodex formuliert Regeln, die sich aus langjährigen Erfahrungen im Umgang mit Beschwerden herausgebildet haben. Ganz sicher ist der Kodex kein Sprachverbot. Ziffer 12 verbietet nichts, sondern fordert, dass eine zusätzliche Information relevant für das Verständnis sein sollte. Das ist eine klare Handwerksregel, die Stereotypen oder „Schubladendenken“ verhindern soll.
Journalismus darf auch zuspitzen
Gibt es zunehmend Beschwerden gegen Berichte, die beispielsweise die Nationalität von Tatverdächtigen nennen?
Tillmanns: Ja, uns liegen deutlich mehr Beschwerden vor. Wir müssen jeden Einzelfall prüfen. Ob eine Beschwerde zulässig ist oder nicht entscheiden unsere Beschwerdeausschüsse im Einzelfall. Sexuelle Übergriffe gibt es allerdings in allen Gesellschaften – was aktuell berichtet wird, geht über das hinaus, was wir „üblicherweise“ kennen.
Tillmanns: Da will ich der Entscheidung nicht vorgreifen. Journalismus darf auch zuspitzen und symbolisch arbeiten. Es wurden Beschwerden eingereicht und diese werden nun geprüft.
Der Pressekodex ist schon häufiger angepasst worden. Sind über eine Million Flüchtlinge 2015 beispielsweise noch eine „schützenswerte Minderheit“? Sehen Sie aktuell einen Änderungsbedarf?
Tillmanns: Die Ziffer 12 ist in hohem Maße gesellschaftspolitisch wichtig. Selbstverständlich kann sich auch der Pressekodex und seine Auslegung mit neuen Herausforderungen verändern. Mitte März haben wir ein Plenum, zu dem Experten geladen werden, mit denen wir uns austauschen. Auch zur Frage: „Was ist eine schützenswerte Minderheit?“
Dokumentation
Pressekodex, Ziffer 12 – Diskriminierungen
Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.
Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten
In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.
Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.
Anm. d. Red.: Das Rheinneckarblog.de ist seit Herbst 2013 selbst Mitglied beim Deutschen Presserat und hat sich damit den Regeln des Selbstkontrollorgans der deutschen Presse unterworfen. Auch gegen uns sind bereits mehrere Beschwerden geführt worden – die aber abgewiesen worden sind. In einem Fall haben wir einen „Hinweis“ erhalten.