Ludwigshafen/Rhein-Neckar, 26. Juni 2013. (red/pro) Aktualisiert. Es war der größte Brand seit Jahrzehnten in Ludwigshafen. Die Rauchsäule hatte erschreckende Ausmaße, zog sich über Mannheim, Viernheim und die Region. Die Feuerwehren haben ein größeres Unglück verhindern können. Brandermittler haben am Dienstag ihre Arbeit begonnen und suchen nach der Ursache. Bis heute sind viele Fragen offen – sollte die Ursache nicht zweifelsfrei festgestellt werden, wird die Unsicherheit bleiben.
Von Hardy Prothmann
Es ist immer dasselbe Spiel: Je größer ein Schadensereignis ist, je „wichtiger“ die Personen und Unternehmen sind, die damit zu tun haben, umso dürftiger ist die Informationslage.
Die Annahme, weil man es mit Profis zu tun hat, müsse der Informationsfluss auch umfassend sein, ist ein Trugschluss. Je mehr „Profis“ involviert sind, umso zäher ist die Informationsbeschaffung.
Wenig auskunftsfreudig
Unsere Recherchen am Dienstag richteten viele Fragen an eine Reihe von Personen. Zunächst die Wasserschutzpolizei, die polizeilich zuständig ist. Es gibt zehn Wasserschutzpolizeien in Rheinland-Pfalz, die leitende Dienststelle ist das Wasserschutzpolizeiamt in Mainz. Die Ermittlungen zum Brand führt die Wasserschutzpolizei (WSP) Ludwigshafen. Hier tun 32 Beamte Dienst, vier sind mit dem Brandfall befasst.
Am Dienstag haben insgesamt sechs Brandermittler von Landeskriminalamt und Bundeskriminalamt die Arbeit vor Ort aufgenommen – sie leisten eine sogenannte Amtshilfe und unterstützen die WSP mit ihren Ermittlungsergebnissen.
Vor Ort ist es schwierig, überhaupt noch etwas zuzuordnen. Die Hitze war so gewaltig, weit über 1.000 Grad Celsius, dass das wenige, was von der Halle und den eingelagerten Stoffen übrig ist, fest verschmolzen und zusammengebacken ist. Wie wir bereits am Sonntag vermutet haben, ist die Spurenlage desolat.
Vor Ort riecht es verbrannt, aber auch ein wenig blumig-süßlich. Das wird noch lange so bleiben. Die Stadtreinigung hat einigermaßen Ordnung geschaffen, überall liegen aber verruste Blätter herum und gewellte Fensterläden der angrenzenden Häuser lassen erahnen, welche Hitze hier geherrscht hat. Die Feuerwehr konnte die Häuser und die benachbarten Hallen vor einem Übergreifen der Flammen schützen. Insgesamt waren 600 Kräfte von Feuerwehr und THW und Rettungsdiensten im Einsatz, sagt der 56-jährige Ludwigshafener Feuerwehrchef Peter Friedrich, der nach eigener Aussage noch nie ein so großes Feuer erlebt hat.
Schwieriger Brandeinsatz
Die Einsatztaktik war, zunächst einen Schutz herzustellen, um einen Übergriff der Flammen zu verhindern. Hier kam auch der „Turbolöscher“ der BASF zum Einsatz, mit dem eine Wasserwand zwischen der brennenden Halle und dem benachbarten Edeka-Großhandel zusätzlich mit weiteren Werfereinheiten aufgebaut worden ist. Der Turbolöscher war von 13:57-14:47 Uhr im Einsatz. Der Brandeinsatz an sich dauerte von rund 13:00 Uhr am Samstag bis etwa 5:30 Uhr Sonntagmorgen, also fast 17 Stunden. Am Sonntag und Montag wurden Glutnester bekämpft und Brandwachen abgehalten.
Die Wetterlage kam der Feuerwehr zu Hilfe. Durch die enorme Brandhitze entstand ein Kamineffekt, der die Milliarden Kubikmeter Rauch und Russ aufsteigen ließ, um sich dann verdünnt über Mannheim und weiter im Nordwesten niederzugehen. Verdünnt und nach Angaben der Behörden ohne „akute“ Gesundheitsgefährdung, wie Messungen nach behördlicher Darstellung ergeben hätten. Sehr viel später wird informiert, man solle den direkten Kontakt mit dem Russ meiden, bei Kontakt die Haut gut abwaschen. Ebenso Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten. Verklebte Autos sollten bitte in der Waschanlage gereinigt werden.
Die Feuerwehr hatte am Abend einen Angriff mit Schaum geplant, wenn der Wasserangriff nicht reichen sollte. Zuvor mussten sicherheitshalber 2.300 Menschen evakuiert werden. Denn durch den Schaumangriff wäre vermutlich der „Kamin“ zusammengebrochen und Rauch und Ruß hätten sich bodennah ausgebreitet. Zudem wäre die Löschwasserentsorgung ein ökologisches Problem geworden.
Das Feuerlöschboot „Metropolregion Rhein-Neckar“ hatte seine „Taufe“ bei diesem Einsatz – die gewaltigen Pumpen förderten zusätzlich zu den Pumpen von Feuerwehr und THW dringend benötigtes Wasser.
Der unglaublich massive Wassereinsatz war ausreichend, um die Halle kontrolliert abbrennen zu lassen – Verantwortliche werden später von Brandlöschung sprechen. Gelöscht wurde er nicht wirklich – die Meldung „Brand aus“ war aber trotzdem am Ende das Ergebnis. Beim Einsatz gab es zwei Verletzte – einer hat sich den Fuß verstaucht, ein anderer eine Augenreizung erlitten. Dass es keinen „Personenschaden“ gab, ist das allerbeste Ergebnis dieses Einsatzes von vielen Feuerwehren.
Kritik an anderen – keine an sich selbst
Sehr schnell kritisiert der Ludwigshafener Umweltdezernent Klaus Dillinger „Schaulustige“, die den Einsatz enorm behindert hätten. Aus unserer Sicht ist das eine Nebelkerze. Es ist zutreffend, dass es viele Schaulustige gab, nach unseren Beobachtungen waren die Behinderungen aber geringfügig. Das Problem war eher eine unzureichende „Sicherung“ und Absperrung des Gebiets. Dazu wollen wir mit Herrn Dillinger sprechen, doch der ist in Konferenzen und ab Mittwoch im Urlaub. Alternativ werden wir an die Pressestelle der Stadt verwiesen – da nimmt niemand ab und unsere email-Anfrage wird bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht beantwortet. Es gibt auch keinen Rückruf.
Alle Recherchen verlaufen parallel. Die Halle gehört der staatlichen Hafenbetriebe Ludwigshafen am Rhein GmbH. Aufsichtsratsvorsitzender ist Staatssekretär Jürgen Häfner. Unser Versuch, den Geschäftsführer Franz Josef Reindl zu erreichen, war bislang nicht erfolgreich. Wir haben unsere Anfrage mit detaillierten Fragen per email geschickt und warten auf Antwort.
Mehrere zehntausend Tonnen Polystyrol im Jahr
Mieter der Halle war die Panalpina Management Ltd., also eine britische Gesellschaftsform ähnlich der GmbH, mit Sitz in der Schweiz. Von dort wurden unsere Anfragen innerhalb weniger Stunden beantwortet, was wir dokumentieren:
Ist Ihr Unternehmen Bauherr der Halle?
Nein. Wir haben die Halle von den Ludwigshafener Hafenbetrieben gemietet.
Wann wurde diese gebaut/gekauft/angemietet?
Vor wenigen Jahren wurde die Halle komplett renoviert und auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Wann sie gebaut wurde, weiss der Eigentümer.
Welche Brandschutzeinrichtungen waren vorhanden?
Der Brandschutz war auf dem aktuellen, für diese Art von Lager notwendigen Stand (Brandmeldeanlage, Rauch- und Wärmeableitung, Brandschutztore, u.s.w.). Die Halle wurde regelmässig von der BASF auditiert. Beanstandungen gab es keine.
Können Sie den Schaden beziffern?
Nein, noch nicht.
Was wurde dort noch außer dem Styropor-Granulat der BASF gelagert?
Zum Zeitpunkt des Brandes lagerten dort etwa 4.800 Tonnen Styropor-Granulat und kleinste Mengen ähnlicher Stoffe, ebenfalls von BASF.
Warum war kein Unternehmensvertreter von Ihnen bei den Pressekonferenzen dabei?
Vertreter waren da, aber nicht auf dem Podium.
Warum gibt es bis heute keinerlei Presseinformation von Ihrer Seite zu dem Brand?
Weil wir keine weitergehende Erkenntnisse haben.
Welche Art von Solarpanelen von welchem Hersteller waren auf dem Dach installiert?
Da müssen Sie den Eigentümer der Halle fragen.
Haben Sie Hinweise, dass der Brand durch Solarpanele ausgelöst worden sein könnte?
Wir haben bisher keine Erkenntnisse über die Ursache des Brandes. Die Ermittlungen führt die Polizei.
Wie lösen Sie das Problem, dass diese Halle nun fehlt?
Wir arbeiten zur Zeit gemeinsam mit unserem Auftraggeber an einer schnellen Lösung.
Seit wann arbeiten Sie als Dienstleister für die BASF?
Seit weit mehr als 20 Jahren.
Wieviele Tonnen BASF-Produkte wurden dort jährlich umgeschlagen?
Mehrere zehntausend Tonnen im Jahr.
Könnte die Solaranlage ursächlich für den Brand sein?
Die Fragen nach den Solarpanelen haben wir gestellt, weil die größte auf einem Dach betriebene Photovoltaik-Anlage der Stadt im Herbst 2011 in Betrieb genommen worden ist. Wir recherchieren in Archiven und erfahren, dass 2.350 Solarmodule verbaut sind, die Sonnenenergie in elektrischen Gleichstrom umwandeln, der wiederum in Wechselstrom umgewandelt und dann ins Netz der Hafenbetriebe eingespeist wird. Die Leistung soll bei guter Einstrahlung bei 716 Kilowattpeak liegen.
Der damalige Projektleiter heißt Christian Fried, seine Firma n3e in Ludwigshafen. Bei der Installation der Anlage lies er sich für einen Bericht in der Rheinpfalz fotografieren und gab bereitwillig Auskunft. In dem Artikel erfährt man, dass die Anlage nicht fest mit dem Dach verbunden werden konnte, aber so eingerichtet wurde, dass sie bei starkem Wind wie ein Spoiler auf’s Dach bedrückt wird. Was die Gründe dafür waren, wollen wir Herrn Fried fragen. Der zeigt sich sehr unfreundlich und sagt:
Kein Kommentar. Und ich will auch nicht, dass mein Name erscheint.
Vorher erkundigt sich Herr Fried noch nach uns und unserer Adresse, was wir ihm selbstverständlich beantworten. Dann legt er auf.
Wir versuchen einen Ansprechpartner der ausführenden Firma Activ Solar in Friedelsheim zu erreichen. Das gelingt nicht. Wir warten weiter auf Rückruf.
Im Zusammenhang mit den Solarzellen recherchieren wir sehr breit und sprechen viele Quellen an – die Auskunftsbereitschaft ist dünn. Das scheint eine verschwiegene Branche zu sein, die immer nur dann gerne öffentlich wird, wenn man sich mit „Umweltschutz“ brüsten kann. Und wieviele Tonnen CO2 so eine Anlage einspart. Wie viele Tonnen CO2 durch den Brand verursacht worden sind, kann uns bislang niemand sagen.
Erst knappe Antworten der BASF – auf Nachfrage präzisiert
Die BASF hat eine personell gut ausgestattete Pressestelle. Dort erreichen wir nach ein paar Versuchen die zuständige Sprecherin, die unsere Fragen notiert. Um 17:18 Uhr erhalten wir die Antworten:
Nach den ersten offiziellen Informationen handelte es sich um schwer entflammbares Granulat. Mittlerweile haben wir gehört, es wurde ein Vorprodukt ohne Flammschutz gelagert worden. Ist das zutreffend?
Nur ein Teil des gelagerten EPS-Granulats war mit Flammschutzmittel ausgerüstet
In welchem Turnus und wann zuletzt wird der Brandschutz der Halle durch die BASF geprüft?
Letzte Brandschau hat im vergangenen Jahr stattgefunden.
Wo lagern Sie das Granulat nach dem Wegfall der Halle?
EPS-Granulat wird jetzt in entsprechenden Lagern auf dem Gelände der BASF gelagert
Knapper kann man fast nur Antworten, indem man nicht antwortet. Wir antworten auf die Antwort und bitten um Präzisierungen. Wie groß war der Teil? In welchem Monat war die Prüfung? Polystyrol – so die ersten offiziellen Mitteilungen, soll fast vollkommen ungefährlich sein. Bei Wikipedia liest sich das anders.
Aktualisierung: 11:45 Uhr. Die BASF teilt uns über eine Sprecherin mit, dass die BASF-Feuerwehr den Brandschutz nach einem eigenen Konzept, das über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgeht, überprüft. Zuletzt in dieser Halle im August 2012. Welche EPS-Granulate genau gelagert wurden, würde eine sehr umfangreiche Recherche erfordern. Insgesamt ließe sich sagen, dass das Granulat entweder als Dämmmaterial oder als Verpackung weiterverarbeitet wird. Dämmmaterial ist flammgeschützt, Verpackungen nicht. Das Granulat war „nicht schwer entflammbar“. Bis auf weiteres lagert die BASF das Produkt nun in eigenen Hallen auf dem Werksgelände – auch Einlagerungen aus der gegenüberliegenden Halle werden ins Werk transportiert.
Und: Unsere Recherchen haben ergeben, dass Panalpina eine Halle direkt gegenüber der abgebrannten Lagerhalle angemietet haben soll. Was wird dort gelagert? Ist diese Halle samt Brandschutz für die Einlagerung von Polystyrol geeignet?
Ein großes Fragezeichen ist immer noch die Ursache für den Brand. Ist er in der Halle entstanden oder auf dem Dach? Was war der Auslöser? Die Polizei ermittelt auch in Richtung „Brandstiftung“, was recht unwahrscheinlich ist, da der Brand relativ in der Mitte der Halle entstanden ist, wie uns zugespielte Aufnahmen zeigen.
Wenn alles seine Ordnung hatte – wie konnte es dann zum Großbrand kommen?
Eine viel entscheidendere Frage ist: Wenn tatsächlich alles seine Ordnung hatte, also der vorgeschriebene Brandschutz installiert und funktionsfähig war und die eingelagerten Produkte zulässig waren und die installierte Photovoltaik-Anlage einwandfrei funktioniert hat – wie konnte es zu diesem Inferno kommen? Wo ist der Fehler? Was bedeutet es, „wenn alles in Ordnung ist“ und trotzdem ein solches Großfeuer ausbrechen kann? Ist dann nicht jede Lagerhalle, bei der „alles in Ordnung ist“ eine tickende Zeitbombe?
Wir werden die Fragen den zuständigen Behörden und Firmen weiter stellen und wir dokumentieren die Antworten transparent.
Ob „alles in Ordnung ist“ – darüber kann sich dann jeder selbst seine Meinung bilden.