Mannheim, 26. November 2014. (red/ek) Die CDU-Landtagsfraktion sieht die „Führungsposition der Polizei Baden-Württemberg“ in Gefahr. Sie macht dies an den gestiegenen Wohnungseinbrüchen im Land fest. Schuld daran sei die Polizeireform. Deshalb fordert sie Reaktionen und die Entwicklung geeigneter Handlungskonzepte. Wir haben die Fakten gecheckt.
Von Enrico Kober
„Wohnungseinbruchdiebstahl“ – hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt sich ein Straftatbestand, der für die Opfer oft nicht nur finanzielle Folgen hat: Laut einer Umfrage der Statista GmbH erleiden 34 Prozent der Einbruchsopfer einen Schock, ein Drittel fühlt sich noch einen Monat nach dem Einbruch in den eigenen vier Wänden verunsichert und ein Viertel klagt über Angstgefühle. Kurz: Diese Form von Kriminalität erzeugt massive emotionale Schäden – und wird deswegen entsprechend sensibel wahrgenommen.
Die Wohnung ist für die meisten Menschen nicht nur Schutzraum gegen Regen, Wind und Kälte – sie ist als persönlichster Lebensbereich. „Intimsphäre“. Aktuell zielt die CDU-Landtagsfraktion mit einer Zeitungsbeilage „Im Dialog“ genau auf diesen hochemotionalen Bereich. „Besorgniserregend“ sei der Anstieg von Wohnungseinbrüchen:
Nur jeder 10. Einbruch wird in Baden-Württemberg noch aufgeklärt. Damit sind wir trauriges Schlusslicht aller Flächenländer.

Überzogener Alarmismus der CDU. Mit teils falschen Informationen wird die Polizei kritisiert – um Wahlkampf mit dem emotionalen „Wohnungseinbruch“ Thema zu machen.
„Marktführerschaft“ der Polizei laut CDU bedroht
Die neu geschaffenen Strukturen schafften Reibungsverluste. Dadurch werde die Ermittlungsarbeit erschwert. Die Polizei Baden-Württemberg verliere gar ihre „traditionelle Marktführerschaft“ unter den deutschen Sicherheitsbehörden.
Die Polizeireform müsse „schnellstmöglich“ überprüft werden, um „notwendige Änderungen zum Wohle der Menschen“ vorzunehmen. Schnellstmöglich müsse „auf die Einbrüche reagiert und durch geeignete Handlungskonzepte“ dem Anstieg entgegenwirkt werden.
Auf Anfrage erhielten wir Zahlen zu den Wohnungseinbrüchen vom Innenministerium Baden-Württemberg. Tatsächlich lässt sich seit 2006 ein Anstieg feststellen. Wurden im Jahr 2006 noch 6.664 Einbrüche registriert, waren es im Jahr 2013 insgesamt 11.295. Gegenüber 2012 war dies ein Anstieg um 2.723 Einbrüche oder um 30 Prozent. Auch die Aufklärungsquote entwickelte sich negativ. 2006 konnte die Polizei 17,7 Prozent der Einbrüche aufklären, 2013 nur noch 10,9 Prozent. Als Grund sieht das Ministerium auf Nachfrage „offene Grenzen“ und eine zunehmende Organisation der Einbrecher. So gebe es vor Ort Kundschafter, die Objekte ausmachten, dann würden die Einbrecher teils mit Bussen antransportiert und es gebe eine Art „Logistik“ um die Diebesgüter zu handeln.
Absolute Zahlen sagen nicht alles

Seit 2006 ist die Zahl der Wohnungseinbrüche Deutschlandweit gestiegen. Die Landesregierung will jetzt dagegen handeln. Foto: Polizei
Die Zahlen sind in der Tat alles andere als erfreulich und hinterlassen ihre Spuren im subjektiven Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Betrachtet man die absoluten Zahlen, wurden allerdings in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2013 mit 54.953 die meisten Wohnungseinbrüche in einem Flächenland registriert, in Baden-Württemberg waren es 11.295.
Um die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik sinnvoll vergleichen zu können, muss man die „Häufigkeitszahl“ betrachten. Die setzt Delikte ins Verhältnis zur jeweiligen Einwohnerzahl. Danach wird in Nordrhein-Westfalen nicht fünfmal so oft eingebrochen wie in Baden-Württemberg, sondern in Bezug auf die Zahl der Einwohner dreimal so oft.
Für Baden-Württemberg wurde eine Häufigkeitszahl von 106,9 errechnet. Dies bedeutet, dass auf 100.000 Einwohner 106,9 Einbrüche kommen. Die Wahrscheinlichkeit Opfer eines Wohnungseinbruchs zu werden liegt damit bei weniger als 0,11 Prozent oder bei etwas mehr als einem Einbruch pro 1.000 Einwohner. Die CDU behauptet, Baden-Württemberg sei das Schlusslicht aller Flächenländer – das ist falsch. Insgesamt liegt das Ländle auf Platz 12, bei den Flächenländern ist Schleswig-Holstein Schlusslicht.
In der Bundesrepublik wurden 2013 mit 149.500 etwa so viele Wohnungseinbrüche verübt wie 1999. Einen Tiefstand gab es 2006 mit 106.107 Einbrüchen. Über den Zeitraum von 15 Jahren ist der Anteil vollendeter Einbrüche stetig gesunken. Nur noch sechs von zehn Einbrüchen waren 2013 erfolgreich, 1999 waren es sieben. Grund dafür sind vermutlich die Präventionsaktionen der Polizei und damit einhergehende Verbesserungen von Sicherungsmaßnahmen im privaten Bereich. Während die Einbrüche 2013 auf dem Niveau von 1999 lagen, hat die Anzahl der Tatverdächtigen signifikant abgenommen. Die Polizei sieht hierin ein Indiz für eine zunehmend organisierte Kriminalität.
Baden-Württemberg besser als CDU behauptet
Die Häufigkeitszahl zeigt, dass Baden-Württemberg im Ländervergleich weit besser abschneidet, als es die CDU behauptet. Baden-Württemberg hat nach Bayern. Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern die niedrigste Häufigkeitszahl und liegt damit auf Platz 5 der Bundesländer, in denen am wenigsten eingebrochen wird. Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich die Anzahl an Einbrüchen in Baden-Württemberg zwar deutlich erhöht, dennoch sind die eigenen vier Wände hier sicherer als in den meisten anderen Bundesländern. In Hamburg wird gemessen an der Häufigkeitszahl etwa vier Mal so oft, in Bremen gar fünf Mal so oft eingebrochen.

Wohnungseinbruchsdiebstahl – Häufigkeitszahlen in den Bundesländern. Quelle: Bundesinnenministerium Polizeiliche Kriminalstatistik 2013
Die Aufklärungsquote von 10,9 Prozent sieht nicht nur auf den ersten Blick dürftig aus, sondern auch im Vergleich. Die höchste Aufklärungsquote erreicht Sachsen-Anhalt mit 30,4 Prozent. Die schlechteste meldet mit 7,2 Prozent die Stadt Hamburg. Baden-Württemberg ist hier nicht einmal Mittelmaß – dieses wäre bei 15,5 Prozent erreicht. Nur Schleswig-Holstein, Bremen, Berlin und Hamburg haben eine noch schlechtere Quote.
Sachsen-Anhalt setzt auf Analyse
Wir fragten beim Innenministerium Sachsen-Anhalt nach und wollten wissen wieso die dortige Aufklärungsquote so hoch ist. Stefan Brodtrück, stellvertretender Pressesprecher im Ministerium teilte uns mit:
Sachsen-Anhalt ist mit 30,4 Prozent erstmals führend in Bezug auf die Aufklärungsquote bei den Wohnungseinbruchsdiebstählen; und dass auch nur knapp vor Mecklenburg-Vorpommern mit 30,2 Prozent. Es kann also nur von einer Momentaufnahme bei der Aufklärungsquote in diesem Deleiktsbereich gesprochen werden.
Weiter sagte er uns, dass viele Faktoren die Aufklärungsquoten beinflussen. Bei Wohnungsdiebstahleinbrüchen setzte die Landespolizei auf eine umfassende Analyse der Tatorte, Tatzeiten und die Art der Durchführung. So könne die Polizei gezielt eingesetzt und die Wahrscheinlichkeit Täter auf frischer Tat zu erwischen erhöht werden. Das wird auch beim Polizeipräsidium Mannheim kontinuierlich ausgebaut – auch hier gibt es eine eigene Ermittlungsgruppe.
Gerüchte nach denen bei der Datenerhebung in der Kriminalstatistik Sachsen-Anhalt „getrickst“ werden würde erteilte er eine Absage:
Es ist nicht zutreffend, dass festgestellte Versuche des Wohnungseinbruchsdiebstahls als Sachbeschädigung in der Polizeilichen Kriminalstatistik geführt werden. Versuchte Wohnungseinbruchsdiebstähle werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik auch als solche erfasst.
Aufklärungsquoten in der Region
In Mannheim und Heidelberg lag die Aufklärungsquote im Jahr 2012 bei 20,7 beziehungsweise 9,6 Prozent und 2013 bei 13,8 und 8 Prozent. Die Verschlechterung im Jahr 2013 darf nach Angaben des Polizeipräsidiums Mannheim aber nicht als schlechtere Aufklärungsarbeit der Polizei interpretiert werden. Es käme immer darauf an, wie viele Straftaten einer Person oder Gruppe zugeordnet werden könnten. So habe man 2012 eine Gruppe Tatverdächtiger stellen können, die für eine ganze Reihe von Einbrüchen verantwortlich war.
Auf Nachfrage teilte Innenminister Reinhold Gall (SPD) mit:
Es ist schlicht unwahr zu behaupten, wir entfernen uns immer weiter vom Spitzenplatz in der inneren Sicherheit. Tatsache ist, die Bürger leben in Baden-Württemberg im Bundesvergleich gut und sicher. Wir haben bei der Kriminalitätsbelastung nach Bayern die geringsten Straftaten.
Es sei „hanebüchen“ so der Minister weiter, die Polizeireform für den Anstieg der Wohnungseinbrüche verantwortlich zu machen. Schließlich habe dieser Anstieg schon zu Regierungszeiten der CDU/FDP Koalition begonnen, die gleichzeitig 1.000 Stellen bei der Polizei abgebaut und einen Investitionsstau von 300 Millionen Euro bei der technischen Ausstattung hinterlassen habe.
Dank der Polizeireform wären die Polizeipräsidien in der Lage, schnell und schlagkräftig mit Sonderkommissionen und Ermittlungsgruppen auf Delikte wie beispielsweise Wohnungseinbrüche zu reagieren. Den Vorschlag der CDU, vermehrt auf Polizeifreiwillige zu setzen, hält der Minister für wenig sinnvoll:
Der Freiwillige Polizeidienst hat es Bürgerinnen und Bürgern in der Vergangenheit ermöglicht, sich ehrenamtlich für die innere Sicherheit zu engagieren. Allerdings kann heutzutage niemand mit gutem Gewissen zulassen, dass sich Polizeifreiwillige der gestiegenen Gewalt gegen Polizeibeamte aussetzen.
Laut Kriminalstatistik des Bundesinnenministeriums lag der Anteil von Wohnungsbrüchen gemessen an allen in Baden-Württemberg verübten Straftaten 2013 bei nur zwei Prozent. Minister Gall bedauert die Entwicklung bei den Wohnungseinbrüchen, hält das Thema im Wahlkampf jedoch für ungeeignet. Schließlich sei dieses Delikt nur ein kleiner Teil der Kriminalstatistik.
Das wird ein frommer Wunsche bleiben – wie man sieht, ist die CDU bereits im Vorwahlkampf und zielt über die emotionalen Ängste der Bevölkerung auf die Regierung – ob das „seriös“ ist, muss jeder für sich entscheiden. In Sachen Aufklärung von Wohnungseinbrüchen gibt es Handlungsbedarf – deswegen aber die Sicherheit in Baden-Württemberg als Ganzes in Frage zu stellen und dazu noch mit falschen Informationen zu arbeiten, ist unverantwortliche „Angstmache“. Das dient weder der Sicherheit, noch der Wertschätzung einer an sich sehr guten Polizeiarbeit.