Heidelberg/Rhein-Neckar, 25. November 2012. (red/ms) Drei Jahre hat die Renovierung des Theaters Heidelberg gedauert. Fast 60 Millionen Euro wurden investiert, davon 19 Millionen Euro Spendengelder. Der Unternehmer und Musikliebhaber Wolfgang Marguerre alleine hat 15 Millionen Euro gespendet, weswegen der neue Theatersaal nun Wolfgang Marguerre-Saal heißt. Dort fand gestern die beeindruckende Premiere von Tschaikowskys “Mazeppa” vor ausverkauftem Haus statt.
Von Minh Schredle
In einem bis auf den letzten Platz ausverkauften Saal, scheint kaum jemand noch das Atmen zu wagen, als das Orchester für einen kurzen Moment vollständig verstummt und die Solistin mit greifbar authentischem Schmerz ihr Leiden besingt.
Während die Oper “Mazeppa” weitaus weniger bekannt sein dürfte als die Tschaikowsky Klassiker “Der Nussknacker” oder “Schwanensee”, erweist sich die Auswahl des Werks als gelungene, um das neue alte Theater in Heidelberg wieder zu eröffnen – denn nicht nur das Orchester und die Gesangsleistungen der Darsteller wissen zu überzeugen, auch die Symbolträchtigkeit auf gleich mehreren Ebenen wird wohl ausschlaggebend gewesen sein, mit “Mazeppa” als Auftakt zu starten. Tschaikowskys “Mazeppa” beendete nach Monaten der künstlerischen Stagnation eine damalige schwere Schaffenskrise des Komponisten – ähnlich dem Stillstand am Theater während der Renovierungsphase. Der stufenweise Aufbau des Bühnenbildes erinnert an die Phasen der Erneuerung des Gebäudes. Und das Werk enthält alles, was es braucht, um im Theater verführt zu werden: Liebe, Sehnsucht, Revulution und Tod. Ein Klassiker – gefühlvoll modern inszeniert.
Die Bühne lebt
Während lediglich das Orchester spielt, beginnen leicht bekleidete Darsteller auf einer nahezu leeren Bühne ihre Kostüme anzuziehen. Es gibt keinen Hintergrund, kein Bühnenbild, einzig eine große Leinwand, auf die verzögerungsfrei einige bedeutende Ausschnitte des Geschehens vergrößert projiziert werden.
Streifen aus schwarzem Tuch werden heruntergelassen. Ein lebendiger Vorhand entsteht. Stets in Bewegung verleiht dieser dem Geschehen eine besondere Dynamik. Mal wird durch dieses besondere Element neuer Raum geschaffen, mal werden große Teile der Bühne verhüllt, dann engt der Vorhang ein und wirkt beklemmend. Der Musik angepasst, bewegen sich diese Streifen hektischer oder kommen in ruhigeren Phasen fast vollständig zum Stillstand, sind aber nie wirklich statisch – die Bühne lebt. Koroly Risz überrascht herausragend mit diesem ungewöhnlichen Bühnenbild.
Liebe, Verrat, Wahnsinn
Die Handlung der Oper ist dabei nicht sonderlich komplex und schnell erklärt. Die junge Maria (Hye-Sung Na) und der ukrainische König Mazeppa (James Homann) verlieben sich in einander, zwischen den beiden liegen etwa fünfzig Jahre Altersunterschied. Obwohl es bedeuten würde, sämtliche gesellschaftliche Konventionen zu brechen, nimmt Maria Mazeppas Antrag an. Zum Leid ihres Verehrers aus Jugendzeiten, Andrej (Ks. Winfrid Mikus). Und gegen den Willen ihres Vaters Kotschubej (Wilfried Staber), der eigentlich seit langer Zeit mit Mazeppa befreundet war. Als Mazeppa Maria vor die Wahl zwischen ihm und ihrem Vater stellt, entscheidet sie sich für ihre Liebe und bricht mit der Familie.
Kotschubej versucht nun, Mazeppa beim russischen Zaren zu denunzieren, indem er ein Gespräch schildert, in welchem Mazeppa sagte, er wolle den Zaren stürzen und dessen Platz einnehmen. Der Zar schenkt ihm jedoch keinerlei Glauben, Kotschubej soll zum Tod verurteilt werden. Maria erfährt erst am Tag der Hinrichtung von ihrer Mutter, dass der Tod ihres Vaters bevorsteht und ihre Bemühungen, noch etwas am Urteil zu ändern, sind vergebens.
Anschließend scheitert Mazeppas Putschversuch, seine Truppen werden vernichtend geschlagen. In der Schlacht tritt auch Marias Verehrer Andrej auf, der es sich zum Ziel gemacht hat Mazeppa zu töten, jedoch unterliegt er diesem im Zweikampf und wird tödlich verwundet. Dem Wahnsinn verfallend, singt Maria ihm ein Wiegenlied, welches den Schlusspunkt der Oper darstellt.
Alt. Neu. Frei. Raum. Theater
Während der Originaltext beibehalten blieb und zunächst alles den Anschein einer klassischen Inszenierung bot, wurden zunehmend modernisiert und – in Übereinstimmung mit der Handlung – einige Konventionen gebrochen. So wurde der bereits erwähnte lebendige Vorhang am Anfang des dritten Aktes plötzlich von rollenlosen Statisten herniedergerissen, während einige Bläser den Orchestergraben verließen und nun auf der Bühne spielten.
Wie weit es einem behagt, wenn mit Traditionen gebrochen wird, muss ein jeder für sich selbst entscheiden. Der überwiegende Teil des Publikums nahm die Inszenierung als angenehm innovativ auf, zumal sich den Neuerungen geschlossen ein symbolischer Sinn zusprechen ließ: Das Schauspiel wurde zum Ende hin immer transparenter, nur noch wenig wurde vor den Augen des Zuschauers versteckt, einerseits wurde demonstriert, welches Potenzial die neue Technologie bieten dürfte, andererseits wurde – im Kontext der Neueröffnung durchaus passend – immer mehr enthüllt, bis sogar die Leinwand fiel, auf der anfänglich die Projektionen gezeigt worden waren. Somit wurde der Blick auf noch mehr Raum frei.
Insgesamt ist Mazeppo ein harmonisches Ganzes; anstatt beim Versuch Musik, Schauspiel, Dramaturgie und Symbolik in ein Gesamtkonzept zwängen zu wollen, das Werk zu verkrampfen, spielt alles ineinander. Mit einem begeisterten Applaus und Bravo-Rufen für die Solisten belohnte das Publikum diese eindrückliche Leistung.
Als Hye-Sung Na in der Rolle der Maria zum Ende ihr Wiegelied singt, mutet die Atmosphäre magisch an. Kein Laut außer der brillanten Stimme der Sopranistin ist zu hören. Während das Orchester wieder einsetzt, zieht sie sich fast schon beiläufig zurück und mit sich die schwarze Plane, die bislang den Boden der Bühne bedeckt hatte. Nun ist das Theater vollkommen freigelegt. Ganz klassisch fällt mit dem Ende der Vorhang.
Trailer zur Oper
Info:
Musikalische Leistung: Yordan Kamdzhalov
Regie: Elisabeth Stöppler
Bühnenbild: Karoly Risz
Kostüme: Katharina Gault
Dramaturgie: Heribert Germeshausen
Chordirektion: Jan Schweiger
Mazeppa: James Homann
Kotschubej: Wilfried Staber
Ljubow: Anna Peshes
Maria: Hye-Sung Na
Andrej: Mikhail Vekua (Premierenbesetzung, alternierend: Ks. Winfired Mikus)
Orlik: Michael Zahn
Iskra/betrunkener Kosak: Namwohn Huh (Premierenbesetzung, alternierend: Agnus Wood)
Philharmonisches Orchester Heidelberg
Chor und Extrachor des Theater und Orchester Heidelberg
Statisterie des Theater und Orchester Heidelberg