Schriesheim, 25. November 2013. (red) Sieben Tage vor der Wahl darf sich der amtierende Bürgermeister Hansjörg Höfer entspannt zurücklehnen. Die Allianz aus bürgerlichen Parteien, unterstützt von RNZ und MM, ist am Ende. Der Gegenkandidat Michael Becker ist aus dem Rennen – und viele Fragen sind offen.
Von Hardy Prothmann
Was haben sich die beiden Regionalzeitungen Mannheimer Morgen und Rhein-Neckar-Zeitung nicht für eine Mühe gegeben, den “parteilosen” Bürgermeisterkandidaten Michael Becker aus Eppelheim zu puschen.
Jeder, der sich für die Ortspolitik interessiert, weiß, wie unverhohlen die beiden Zeitungen gegen den amtierenden Bürgermeister Hansjörg Höfer agierten und den Gegenkandidaten der “Bürgerlichen” versuchten, im besten Bild darzustellen.
Scheinheiligkeiten
Jetzt ist die Seifenblase geplatzt – ausgerechnet durch Herrn Becker selbst. Nicht etwas durch journalistische Recherchen, auch, wenn insbesondere die RNZ so tut (“Schreiben liegt uns vor”) als hätte die Zeitung Recherche geleistet. Den Vogel schießt Konstantin Groß ab, der dem Parteibündnis zu recht mangelnde “Prüfung” vorwirft, sich selbst und seine Zeitung dabei aber geflissentlicht vergisst (“so wäre es professionelle Pflicht von deren Repräsentanten gewesen, dezidierter nachzufragen und auch selbst zu recherchieren”.
Glück gehabt, Schriesheim, kann man da nur feststellen. Ob “gewissen Kreisen” Hansjörg Höfer nun passt oder nicht – Michael Becker wäre vermutlich für die Stadt ein Desaster geworden.
Der Eppelheimer hat über die CDU sein politisches Glück versucht und wurde Gemeinderat. Anscheinend hatte er “ambitionierte” Ziele und trat aus der CDU aus und der Eppelheimer Liste bei. Für die AfD wollte er in den Bundestag und auch bei der rechtspopulistischen Partei “Die Freiheit” versuchte er seinen Aufstieg. 2010 scheiterte er grandios bei der Bürgermeisterwahl in der kleinen Gemeinde Massenbachhausen (Kreis Heilbronn) mit 112 Stimmen oder 5,98 Prozent gegen den 25-jährigen Wahlgewinner Nico Morast (69,66 Prozent, 1.304 Stimmen).
Beckers Frau gibt laut RNZ an, eine “Bürgermeistermacherin” zu sein. Zumindest bietet sie eine solche gewerbliche Tätigkeit an. Herr Becker selbst war im Elektro-Geschäft tätig und ist jetzt nach eigener Auskunft “Berater” für Firmen. Tatsächlich muss man den Eindruck haben, dass er zumindest politisch ein Hallodri ist.
Leimgänger
Und die Schriesheimer CDU, die Freien Wähler und die FDP sind ihm voll auf den Leim gegangen. Unfähig, acht Jahre lang selbst einen eigenen oder gemeinsamen Kandidaten zu suchen, geschweige denn aufzubauen, nahmen sie kurzerhand, was kam. Das war Herr Becker. Angeblich parteilos. Tatsächlich Parteimitglied in drei Parteien innerhalb kurzer Zeit. Ein politischer Vagabund von konservativ bis rechtsaußen. Man darf gespannt sein, wo und wie der 42-jährige Elektromeister mit Drang zum politischen Amt in Zukunft auftauchen wird. In der Region hat er vermutlich ausgespielt – ob er in Eppelheim noch mal für den Gemeinderat antritt und gewählt wird, darf bezweifelt werden. Denn die Eppelheimer wissen nun, dass er ganz andere Ambitionen hat als sich für Eppelheim einzusetzen. Herr Becker hat “größere Aufgaben” im Blick.
Hätten dem Auswahlgremium, den Parteien und den Fraktionen diese Informationen im Vorfeld vorgelegen, hätten wir Herrn Becker weder in die engere Wahl gezogen noch ihn unseren Mitgliedern zur Unterstützung vorgeschlagen. Dass Herr Becker uns diese Informationen vorenthalten hat, enttäuscht uns auch auf persönlicher Ebene. Offenheit und Ehrlichkeit sind das Fundament für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Dieses Fundament war, wie wir nun erkennen müssen, nie vorhanden, weshalb wir Herrn Becker unsere Unterstützung entziehen.
So klingt ein politischer GAU. Die Schriesheimer CDU, die Freien Wähler und auch die FDP müssen sich nach diesem Desaster ein halbes Jahr vor der Gemeinderatswahl tatsächlich fragen lassen, ob man sie noch ernst nehmen kann. Ganz schnell haben sie einen “gefälligen” Kandidaten unterstützt und ganz schnell lassen sie die “heiße Kartoffel” auch wieder fallen. Geht so verantwortliche Politik?
Ungeklärte Fragen
Gab es keine Gespräche mit der Eppelheimer CDU um den angeblichen Streit und den Austritt Beckers? Hat niemand in den Parteien seine exklusiven Kontakte bemüht, um herauszufinden, ob Herr Becker ein tatsächlich geeigneter Kandidat ist? Oder hat man gewusst, was für ein Windei man unterstützt und beide Augen zugemacht? Motto: Egal wer, Hauptsache Bürgermeister Höfer aus dem Amt wählen?
Weder Freie Wähler noch die FDP haben den Anstand, auf ihren Websites eigene Stellungnahmen zu veröffentlichen und sich zu erklären. Das überlässt man der CDU, die anscheinend Sprecher aller drei Gruppierungen ist:
Wir möchten uns hiermit auch bei den Mitgliedern unserer Parteien, Vereinigungen und vor allem bei den Schriesheimer Bürgern entschuldigen und hoffen auf ihr Verständnis. CDU, Freie Wähler und FDP
Exemplarisch sei die FDP hier herausgestellt, deren Vorsitzender Ingo Kuntermann (dessen Frau für die RNZ aus dem Schriesheimer Gemeinderat berichtet) inklusive “Schandfleck-Hinweise” in Richtung Bürgermeister Höfer verlauten ließ:
Sie (FDP, Anm.d.Red.) sieht in Michael Becker einen glaubhaften Bürgermeister, der sich selbst auch klare Prioritäten und Ziele setzen und durch seine offene, kommunikative Art auch Mehrheiten für seine Politik mobilisieren kann.
“Offene, kommunikative Art”? “Mehrheiten für seine Politik”? “Glaubhaft”? Herrje, was für ein sinnloses Gebabbel – für das sich nun CDU, FW und FDP angeblich “entschuldigen”.
Faux-pas der “Bürgerlichen”
So einfach werden die “Bürgerlichen” nicht davonkommen – zumindest ist das zu hoffen – bei der Kommunalwahl im Mai 2014. Und auch nicht die Flakhelfer in den Zeitungsredaktionen von MM und RNZ, die gerne gegen Bürgermeister Höfer durchgeladen haben.
Das Schriesheimer Desaster ist möglicherweise nur der Auftakt für einen Flächenbrand in Nordbaden, der die Scheinheiligkeit der angeblich so “fürsorglichen” und “anständigen” konservativen Parteien immer offener zu Tage fördert. “Chaotenpartei” wird gerne für die Piraten oder die Grünen benutzt – möglicherweise sollte man die Definition aus gegebenem Anlass auf CDU, FW und FDP ausweiten.
Wahl gelaufen
Ganz sicher wird die Allianz aus Zeitungen und “etablierter Politik” alles versuchen, den “schönen Schein”, der in Wahrheit nur ein vielfach marodes System “übertüncht”, zu “wahren” versuchen.
Am Wochenende haben uns ein paar Dutzend emails erreicht, einige Anrufer, die meinten, wir müssten diesen Sumpf doch “investigativ aufklären”. Der Anspruch ehrt uns – aber wir sind ein kleines Team, das Gebiet ist groß und die Aufgaben sind gewaltig, weil wir tatsächlich recherchieren und nicht nur irgendwas “blubbern”. Wir mühen uns im Gegensatz zu den Zeitungen um zutreffende Berichterstattung – mit dem Mut zur Lücke. Und sind sehr dankbar über Hinweise aus der Bevölkerung – auch, wenn wir nicht alles und sofort bearbeiten können.
Für Schriesheim ist die Wahl gelaufen. Hansjörg Höfer wird seine zweite Amtszeit gewinnen. Die Schriesheimer Bürger/innen haben keine echte “Alternative”.
Wahl ist Macht der Bürger/innen
Aber die Bürgerinnen und Bürger haben sehr viel Macht. Je höher die Wahlbeteiligung sein wird, umso höher ist die Pflicht, in der sich Hansjörg Höfer fühlen muss. Umso höher ist auch die Pflicht der so grandios blamierten “Bürgerlichen”, ihre desaströse Blockadehaltung aufzugeben und statt politischer Scharmützel endlich zu gestalterischer Politik zurückzukehren. Damit sind auch die Bürger/innen in der Pflicht. Wer denkt – ist doch gelaufen, brauche nicht wählen, begeht einen Fehler. Gehen Sie wählen und verpflichen Sie mit Ihrer Stimme die Amtsträger. Die fürchten nichts mehr als den Entzug von Anerkennung.
Die Bürgermeister nach der süddeutschen Ratsverfassung haben unendlich viel Macht – im Vergleich der Zuständigkeiten mehr als ein Bundeskanzler. Sie brauchen als Korrektiv keine “Mehrheit” im Gemeinderat – durch welche Richtung auch immer. Sondern eine konstruktive und gerne auch kritische – aber zielführende Zusammenarbeit. Für die Gemeinde.
Eindeutiges Alarmsignal
Die “Bürgerlichen” haben keinen Kandidaten stellen können, den erstbesten, “dahergelaufenen” ohne Prüfung unterstützt und “entziehen” diesem nun “die Unterstützung”. Herr Becker wird in Schriesheim – Gott sei Dank – keinen Schaden anrichten können. Und der Ablauf dieser Bürgermeisterwahl muss jedem den Schrecken in die Glieder fahren lassen – wenn ein “Dahergelaufener” mit rechtem Hintergrund als “ernsthafter” Kandidat von etablierten Zeitungen und etablierten Parteien gehandelt wird, dann ist Alarmstufe Rot.
Dieser Schreckkandidat muss nicht nur in Schriesheim, sondern in vielen Orten die Menschen wach rütteln. CDU, FW und FDP müssen sich selbst eindringliche Fragen stellen. Wenn die Fraktionen denken, sie könnten einfach so weitermachen wie bisher, werden sie zuallerst in der Verantwortung stehen, wenn die Bürger/innen sich vollständig angewidert jeglicher politischen Partizipation verweigern.
Wie das enden kann, weiß jeder, der im Geschichtsunterricht aufgepasst hat. Und dass sich zwei etablierte Parteien und die stärkste kommunale Kraft in Baden-Württemberg (die Freien Wähler, Anm. d. Red.) von einem politischen Karrieristen mit Tendenzen nach rechtsaußen so derart vorführen lassen, ist nicht einfach ein Faux-pas, sondern ein Alarmsignal.