Mannheim, 25. September 2015. (red/ms) Rund 250 Menschen kamen am vergangenen Donnerstag zu einem „lokalen Flüchtlingsgipfel“ in die Jungbusch-Halle zusammen. Die Veranstaltung sollte helfen, Flüchtlingshilfe besser zu organisieren – und litt dabei unter der eigenen Organisation. Nichtsdestotrotz war es ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung. Klar muss aber auch sein: Da muss noch deutlich mehr kommen.
Von Minh Schredle
In der Jungbuschhalle werden Besucher begrüßt und eine Frau erklärt ihnen, wo sie sich eintragen können, wenn sie als Personen helfen wollen und wo sie sich eintragen können, wenn sie als Organisation helfen wollen. Die Dame steht etwas ungeschickt – denn sie steht direkt hinter dem Eingang und vor der Tür bildet sich eine Traube von Menschen, die nachrücken wollen, aber nicht können, weil es vorne stockt.

Die Veranstaltung ist gut besucht. Viele Gäste sind bereits ehrenamtlich aktiv.
In der Halle selbst sind einige Stühle aufgestellt, aber noch stehen die meisten. Es bilden sich viele kleine Grüppchen, die sich untereinander austauschen. Viele machen keinerlei Anstanden, sich zu setzen.
Der Anfang der Veranstaltung war auf 19:00 Uhr angesetzt. 18 Minuten später meldet sich der grüne Stadtrat Gerhard Fontagnier zu Wort, der die Veranstaltung mitorganisiert hat und die Moderation übernimmt:
So ganz langsam wollen wir dann mal anfangen. Wir haben eine Menge vor heute.
Dann geht es schnell und die Menschen nehmen Platz. Es ist ein bunt durchmischtes Publikum, ungefähr 250 Personen. Darunter etwa zu gleichen Teilen männliche und weibliche Gäste mit einem – zumindest für politische Veranstaltungen – auffällig jungen Altersdurchschnitt. Es sind auch viele Menschen mit Migrationshintergrund anwesend.
Breites Portfolio an Hilfsorganisationen

Moderator und Organisator Gerhard Fontagnier.
Herr Fontagnier erklärt zum Ablauf, dass man heute vor allem darum bemüht sei, die Koordination und Organisation der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe in Mannheim zu verbessern und miteinander zu vernetzen. Dazu sollen viele Vertreter verschiedener Organisationen kurz ihr Projekt vorstellen.
Diese Präsentationen wurden aufgezeichnet und sollen online auf einer zentralen Plattform für Hilfsinteressierte abgerufen werden können. Nach dem Abend dürfte dort ein breites Portfolio anzuwählen sein: das Asylcafé Mannheim, der Stadtjugendring , Teachers on the Road, Hackerstolz, das Jugendamt, der Arbeiter-Samariter-Bund Mannheim, DITIB Mannheim, AStA Universität Mannheim, „Nice to meet you“, um nur Einige zu nennen. Daneben auch unbekanntere Namen von Organisationen, die etwa kostenlose Vereinsmitgliedschaften vermitteln oder dabei helfen wollen, Traumata zu verarbeiten und Rechtshilfe zu gewährleisten. Vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) und dem Technischen Hilfswerk (THW) sind keine Vertreter anwesend – vermutlich ist man aktuell mit Aufbau- und Betreuungsarbeiten zu beschäftigt.
Pralles Programm
Die Anzahl von Präsentationen an diesem Abend ist groß – vielleicht zu groß. Insgesamt 33 Verbände, Vereine und Institutionen sollten sich und ihre Arbeit vorstellen. Herr Fontagnier sagte dazu am Beginn des Abends:
Bitte fasst euch kurz. Es steht viel auf dem Programm heute. Also müssen wir die Redezeit auf drei bis vier Minuten pro Organisation beschränken.
Das Zeitlimit wird jedoch von einigen gnadenlos ignoriert – trotz gelegentlicher Hinweise der Moderation, dass man die Redezeit schon überschritten habe und bitte zum Ende kommen solle.
Zeitplan kommt nicht hin
Nach etwa einer Stunde und 15 Minuten, gegen 20:15 Uhr, wiederholt Herr Fontagnier seine Aufforderung, sich doch bitte kurz zu fassen:
Wir haben noch 23 Projekte auf der Liste.
Erst 13 haben sich vorgestellt – ein Raunen geht durch den Raum. Ein paar stehen auf und gehen. Der Großteil der Zuschauer lässt sich davon nicht beirren und hört weiter zu – aber es wird unruhiger und es wird viel gemurmelt. Um 20:45 Uhr sagt Herr Fontagnier dann:
Viele würden gerne eine kurze Pause machen. Aber wenn ich jetzt eine Pause mache, kommen die Leute nicht mehr zurück. Deswegen kommen nur noch fünf Vorstellungen dran.
Eine davon sollte der Circus Paletti sein – aber zu diesem Zeitpunkt ist gar kein Vertreter mehr anwesend. Schließlich bekamen nur 26 von 33 Projekten die Gelegenheit, sich vorzustellen. Herr Fontagnier entschuldigte sich bei den sie allen Organisationen, die nicht dran kamen. Als er kurz nach 21:00 Uhr seine Abschlussansprache hält, hören viele nicht mehr zu und verlassen den Raum.
Ein erster Schritt
Der Abend ist gewissermaßen sinnbildlich für ehrenamtliche Flüchtlingshilfe in Deutschland: In großen Teilen der Bevölkerung gibt es eine riesige Hilfsbereitschaft. Und unabhängig von der Motivation dahinter, ist zu allererst einmal ausdrücklich zu loben, wie viel getan wird. Ohne engagierte ehrenamtliche Arbeit würde alles zusammenbrechen.
Gleichzeitig fällt aber auch auf, wie viel Potenzial durch mangelhafte Koordination und schlechte oder fehlende Strukturen verloren geht. In erschreckend vielen Fällen ist bei der Flüchtlingshilfe das Angebot nicht auf den Bedarf abgestimmt und es gibt dort einen Überschuss, wo an anderer Stelle Mangel herrscht.

Im Verlauf der Veranstaltung wird es zunehmend leerer.
Das Hauptamt ist indes am Anschlag – seit Monaten. Und die Flüchtlingszahlen steigen weiter. Bis zum Jahresende im Mittel vermutlich etwa 900 Menschen pro Tag allein in Baden-Württemberg. Unsere Redaktion geht davon aus, dass es nicht bei den erwarteten 100.000 Menschen bleiben wird, sondern eher 130.000 Menschen aufgenommen werden müssen. Für Hilfskräfte und Rettungsdienste stellen die zu erwartenden außerplanmäßigen Sonderschichten eine immense Belastung dar.
Ein Beispiel: Herrmann Schröder ist Landesbranddirektor und damit Referatsleiter für die Flüchtlingsunterbringung in Baden-Württemberg. In Heidelberg sagte er vor wenigen Wochen, dass er mit Glück noch drei Stunden in der Nacht schläft – seit Monaten.
Er ist damit sicher nicht der Einzige. Viele Mitarbeiter bei Polizei, Feuerwehr, THW und Verwaltungen dürften an der Grenze ihrer Belastbarkeit stehen.
Verschwendung können wir uns nicht mehr leisten
Um es kurz zu machen: Lange wird man es sich nicht mehr leisten können, die „Ressource ehrenamtliche Hilfsbereitschaft“ so zu verschwenden, wie es momentan noch der Fall ist: Brötchen an Bahnhöfen verteilen ist an sich keine schlechte Sache – aber eigentlich ist die Versorgung mit Nahrungsmitteln ausreichend gewährleistet. Jeder muss sich mit der Frage auseinandersetzen: Gibt es keine dringlicheren Defizite, bei denen man dazu beitragen könnte, sie zu beseitigen?
Veranstaltungen, wie die gestern Abend, sind gut und wichtig, um einen ersten Schritt zu gehen. Genaugenommen dienen sie aber nur dazu, einen Überblick zu schaffen, was es denn an Angeboten gibt. Die richtige Arbeit muss jetzt erst noch getan werden: Wie ist es zu bewältigen, das ehrenamtliche Engagement so zu koordinieren, dass möglichst wenig Potenzial verschwendet wird? Wie passt man das zweifellos große Angebot an den dringlichsten Bedarf an?
Diese Fragen sollen und müssen zum Gegenstand künftiger „lokaler Flüchtlingsgipfel“ werden. Und es braucht eine Koordination, die unabhängig von politischen und persönlichen Interessen nur nach dem handelt, was die Situation gebietet – dann stehen die Chancen bei all der Hilfsbereitschaft mehr als gut, dass gut koordiniertes ehrenamtliches Engagement das Hauptamt noch deutlich besser entlastet und einen wertvollen und notwendigen Teil zur Integration der Asylsuchenden beiträgt.
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Lesetipp: Politik, Rettungsdienste und Ehrenamt müssen sich besser vernetzen – unsere Forderung aus dem Juli
Wir brauchen einen regionalen Flüchtlingsgipfel