Mannheim/Rhein-Neckar, 25. April 2014. (red/ms) Der dritte Prozesstag im Mordfall Gabriele Z. war zäh, anstrengend und weitestgehend ergebnislos. Als Zeugen sollten heute einige Familienangehörige des Angeklagten aussagen. Das taten sie aber nicht, weil sie entweder unauffindbar sind oder vom Schweigerecht Gebrauch machten. Der Vorsitzende Richter Dr. Meinerzhagen lieferte dafür “Inhalte”, die unwürdig sind – und Polizisten scheinen bei Vernehmungen geschlampt zu haben, weswegen Aussagen ungültig geworden sind.
Von Minh Schredle
Im Vergleich zum Dienstag hat die Anzahl der Besucher wieder deutlich zugenommen. Es sind ungefähr 60 Menschen anwesend. Auffallig ist: Etwa 80 Prozent sind Frauen. Heute sind einige Familienangehörige des Angeklagten geladen, zuerst soll sein Bruder aussagen. Als er den Raum betritt, schauen sich er und Emil S. nicht in die Augen. Erst als er sitzt, treffen sich ihre Blicke.
Keine Aussage des Bruders
Als enger Familienangehöriger hat der Zeuge das Recht, seine Aussage zu verweigern, ohne dass daraus negative Schlüsse gezogen werden dürfen. Maximilian Endler, einer der Verteidiger des Angeklagten, empfiehlt ihm, davon Gebrauch zu machen. Richter Meinerzhagen reagiert ungehalten:
Versuchen sie nicht, Einfluss auf den Zeugen zu nehmen.
Als der Zeuge mitteilt, er habe nichts zu sagen, gibt sich der Richter damit noch nicht zufrieden. Er fragt noch mehrfach nach, ob er sich da sicher ist. Schließlich fragt er in unnötig verwirrendem Juristendeutsch nach, ob man die Vernehmung des Zeugen, die von der Polizei durchgeführt wurde, verwenden darf:
Um den Interessenkonflikt, die Wahrheit sagen müssen und damit eventuell das Schicksal eines Familienangehörigen negativ zu beeinflussen, zu vermeiden, sieht das Gesetz die Regelung vor, dass es einer Zustimmung der Einführung von früheren Vernehmungen in das Verfahren bedarf.
Es ist offensichtlich, dass der Zeuge nicht verstanden hat, worum es gerade ging. Es ist auch eine Herausforderung für die Dolmetscherin, dermaßen komplizierte Satzkonstrukte, bei denen jedes Wort bedeutend ist, parallel zu übersetzen. Etwas zögerlich sagt der Zeuge, er habe bei der Polizei “nichts Schlimmes” gesagt.
Hat der Zeuge seine Rechte verstanden?
Dem Richter reicht das als Zustimmung. Er will den Zeugen entlassen. Der Anwalt des Angeklagten fragt nach, ob der Zeuge richtig verstanden hat, worum es hier geht. Richter Meinerzhagen fällt ihm ins Wort:
Das habe ich doch gerade.
Der Verteidiger entgegnet:
Ihre Belehrung versteht vielleicht ein Berufsjurist, aber bei dem Zeugen hatte ich nicht den Eindruck, dass er wirklich begriffen hat, was das bedeuten soll.
Richter Meinerzhagen meint, man könne ihn noch eine Viertelstunde weiter fragen, ob er das verstanden hat. Anwalt Endler sagt, er habe damit kein Problem, wenn es zur Klärung beitrage. Doch das lässt der Richter nicht zu:
Das liefert keinen neuen Erkenntnisgewinn. Ich verbiete weitere Fragen, die das Verständnis des Zeugens in Sachen meiner Belehrungen betreffen.
Das ist starker Tobak. Was soll das? Der Rechtsanwalt hat Zweifel, ob der Zeuge sein Recht versteht. Auch unter den Zuschauern murmeln einige vor sich hin, dass sie nicht den Eindruck hätten, Emils Bruder wüsste, worum es grade geht.
Was denkt sich der Richter dabei?
Für die Verhandlung sind insgesamt 23 Verhandlungstage angesetzt. die ersten beiden Tage gingen über acht Stunden. Macht es da wirklich einen Unterschied, ob man noch einmal kurz nachfragt, wenn Zweifel bestehen? Zumal die Zweifel offensichtlich sind?
Vielleicht ist es dem Richter egal, ob der Zeuge im vollen Umfang begriffen hat, was es bedeutet, wenn das Protokoll verwendet werden darf. Solange es den Prozess voranbringt – es ist ja immerhin mehr als nichts.
Vielleicht ist er aber auch so von sich selbst überzeugt, dass er in einer selbstgewissen Wahrnehmung davon ausgeht, seine präzise und überaus akkurate Ausdrucksweise könne man unmöglich missverstehen.
Eine Unverschämtheit! – Aber von wem?
Nachdem die offizielle Verhörung aufgrund der Aussageverweigerung nicht stattfindet, fragt Richter Meinerzhagen den Zeugen außerhalb des Protokolls, ob er wisse, wo sich die Tochter des Angeklagten aufhalte. Das Gericht habe versucht, sie zu laden, konnte aber keine Anschrift ermitteln. Der Zeuge verneint.
Es meldet sich allerdings jemand auf Bulgarisch aus dem Publikum. Ihm sei der Aufenthaltsort bekannt, übersetzt die Dolmetscherin. Richter Meinerzhagen will wissen, wer diese Behauptung aufstellt. Er bittet den Zuschauer nach vorne. Es stellt sich heraus, dass es sich bei ihm um einen weiteren Zeugen handelt, einen Neffen von Emil S. Er ist für eine spätere Uhrzeit geladen. Als der Richter das herausfindet, brüllt er aufgebracht:
Das ist eine Unverschämtheit!
Zeugen dürfen den Gerichtssaal erst betreten, sobald sie vernommen werden. Ansonsten könnten sie durch die Aussagen anderer beeinflusst werden. Vor dem Gerichtssaal hängt ein Zettel, der darauf hinweist – allerdings nur auf Deutsch. Und das kann der Zeuge weder sprechen noch lesen.
Er hätte wenigstens nachfragen können, was da steht, sagt Richter Meinerzhagen. Doch wen? Die bulgarischsprachigen Polizisten und Sicherheitsbeamten, die draußen warten? Die gibt es leider nicht. Hätte er auf gut Glück versuchen sollen, Leute anzusprechen? Vielleicht ist ja einer dabei, der zufällig Bulgarisch und Deutsch spricht und ihm erklären kann, was auf diesem Papier steht, das ohne irgendeine Heraushebung, die es als wichtig kennzeichnet, an der Wand hängt.
Schlampige Arbeit
Wenn hier jemandem fehl geht, dann ein Gericht, dass offensichtlich denkt, alle Welt ist über den Verfahrensgang vor einem deutschen Gericht informiert. Mehr als die Hälfte der Zeugen, die bis jetzt ausgesagt haben, sprachen kein oder kaum Deutsch. Das muss bekannt sein, schließlich gab es ja genügend Dolmetscher. Vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen, den Hinweis auch in anderen Sprachen aufzuhängen, wenn er so wichtig ist.
Hinzu kommt, dass die Sicherheitsbeamten alle Personalien kontrollieren, bevor sie den Zugang gewähren. Vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen, denen eine Liste mit Namen von Leuten vorzulegen, die den Gerichtssaal erst ab einer bestimmten Uhrzeit betreten dürfen? Eventuell gibt es eine solche Liste – beides wäre Schlamperei der Behörden und nicht eine mutwillige Zuwiderhandlung der Zeugen.
Meiner Ansicht nach, ist ganz offensichtlich, wer hier versagt hat – es dem Zeugen vorzuwerfen, ist die Unverschämtheit. Emils Neffe muss den Raum verlassen. Er soll um 14:00 Uhr verhört werden – das steht zumindest auf der Ladungsliste, die den Richtern vorliegt. Aber nicht auf der von Staatsanwaltschaft und den Rechtsanwälten. Auch hier muss irgendjemand geschlampt haben.
Was ist das nur für ein Umgangston?
Der zweite Zeuge, ebenfalls ein Neffe des Angeklagten, erschien nach seiner Vorladung nicht. Erst wird die Sitzung unterbrochen und eine Viertelstunde gewartet, ob er noch auftaucht. Aber das tut er nicht. Die Staatsanwaltschaft beantragt, dass der Zeuge polizeilich vergeführt wird. Der Richter murmelt etwas, von dem ich mir nicht sicher bin, ob ich es richtig verstanden habe. Später spreche ich mit dem Verteidiger Maximilian Endler. Er bestätig meine Vermutung – der Richter sagte:
So eine Scheiße.
Der Umgangston, der von den Richtern an den Tag gelegt wird, ist teilweise dermaßen daneben. Am vergangenen Dienstag fragte einer der beisitzenden Richter einen Mitbewohner Emils, ob er es dem Angeklagten zutrauen würde, zu “Huren” zu gehen und “Puffs” zu besuchen – als ob es keine angemessenere Ausdrucksweise geben würde. Oder ist das die Art, wie man als Akademiker mit ungebildeten Bulgaren spricht?
Keine Belehrung bei der Polizei
Nach gut 90 Minuten wird die Verhandlung fortgesetzt. Man hat den Neffen auffinden können und vor Gericht gebracht. Er verweigert seine Aussage. Richter Meinerzhagen fragt auch ihn, ob man sein Polizeiprotokoll verwenden dürfte. Diesmal gibt er sich allerdings ein bisschen mehr Mühe, verständlich zu sprechen.
Allerdings erwähnt er mit keinem Wort, dass die Angaben, die er bei der Polizei gemacht hat, möglicherweise eine Strafverfolgung gegen ihn zur Folge hätte – er hat sich darin selbst belastet. Das muss der Anwalt des Angeklagten hinzufügen.
Die Polizei hat sich bei der Vernehmung einen groben Schnitzer geleistet: Sie hat den Zeugen nicht darüber belehrt, dass er als Familienangehöriger nicht aussagen muss. Somit ist ist Protokoll ungültig – es sei denn der Zeuge sagt aus, er habe kein Problem damit und hätte ohne die Belehrung genau das gleiche ausgesagt. Da dies aber nicht der Fall ist, sind die Vernehmungsinhalte nichtig.
Gleich zwei zufällige Schnitzer?
Um 14:00 Uhr betritt der andere Neffe des Angeklagten den Gerichtssaal. Auch er verweigert die Aussage. Auch er wurde bei seiner Vernehmung durch die Polizei nicht korrekt belehrt. Wie kann das sein? Wie kann man sich zwei dermaßen grobe Schnitzer bei einem dermaßen wichtigen Fall leisten?
Der Erfolgsdruck war für die Ermittler enorm. Haben sie Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit bewusst ignoriert, um voranzukommen? Strafverteidiger Endler sagt auf Nachfrage, dass solche Vorkommnisse bei der Polizei in Mannheim keine Seltenheit seien.
In Deutschland haben solche “Fehler” bei Vernehmungen keinerlei Konsequenzen für die zuständigen Polizisten. Die werden nicht einmal zurecht gewiesen, geschweige denn juristisch belangt. Dennoch kann so ein Vorgehen fatale Folgen haben: Angenommen, die einzige belastende Aussage wird ungültig – dann muss frei gesprochen werden.
Ein Fehltritt folgt dem nächsten
Als der Bruder des Angeklagten befragt wurde, ob er wisse, wo sich die Tochter des Angeklagten aufhalte, hatte der eine Neffe noch behauptet, er wisse es. Nach dem Auftritt des Richters sagt der Zeuge ein paar Stunden später nur noch:
In Bulgarien.
Es ist gut möglich, dass es an der herablassenden Art von Richter Meinerzhagen, mit der er den Zeugen zuvor anblaffte, liegt, dass dieser nun keine Lust mehr hat, dem Gericht weiter zu helfen. Der dritte Verhandlungstag lässt weder Gericht, noch Polizei in einem guten Licht da stehen. Statt weiteren Erkenntnissen im Mordfall wird bis jetzt nur deutlich, dass die Verwaltung grobe Schnitzer macht, sich der Vorsitzende Richter unangemessen herrisch aufführt und dass bei der zunächst als großem Erfolg angesehenen Arbeit der Polizei offenbar grobe “Schnitzer” passiert sind.