Mannheim/Rhein-Neckar, 24. April 2014. (red/ms) Am zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder von Gabriele Z. wurden am Mittwoch ehemalige Mitbewohner, Nachbarn und Arbeitskollegen des Angeklagten als Zeugen befragt. Sie wurden vom Gericht geladen, um ein Bild von der Person Emil S. zu zeichnen. Ihre Meinungen gehen dabei auseinander. Ein Zeuge will den Angeklagten als Gutmensch darstellen, ein anderer ist „froh, wenn er bald weggesperrt wird“. In einem sind sich aber alle einig: Von sich aus hat Emil S. so gut wie nie etwas gesagt. Ein Alibi geben die Zeugen dem Tatverdächtigen für die Tatzeit nicht.
Von Minh Schredle
Die Verhandlung fand im Sitzungssaal Nummer 2 statt. Der ist wesentlich kleiner als Nummer 1, in dem der Prozess startete. Hier finden gerade einmal 30 Zuschauer Platz – aber das reicht aus, denn das Interesse scheint nach dem Auftakt schlagartig abgenommen zu haben. Viele wollten sich wohl nur ein Bild von dem Angeklagten machen, sehen, wer als Tatverdächtiger zu den Überfällen auf die Frauen in Speyer und Grünstadt und dem Sexualmord in Mannheim angeklagt ist.
Auch die Medien sind deutlich desinteressiert. Zu Beginn des zweiten Verhandlungstages sind nur noch vier andere Journalisten anwesend. Am Ende bin ich allein. Andere Zeitungen scheint es nicht zu interessieren, was der letzte Zeuge zu sagen hatte.
Die ersten drei Zeugen zeichneten nämlich ein überwiegend positives Bild vom Angeklagten. Der vierte und letzte Zeuge hat eine starke Abneigung gegen ihn. In ein paar Details weicht seine Aussage von denen der zuvor Befragten ab.

In dieses Haus in Grünstadt war der Tatverdächtige Emil S. zusammen mit türkischen Bauarbeitern erst eine Woche vor der Tat gezogen. Auch in Grünstadt wurden nach dem Mord zwei junge Mädchen überfallen. Zuvor lebte der Bautrupp in Speyer – auch hier wurde eine Frau im August 2013 überfallen.
Wortkarg und verschlossen
In einer Hinsicht gleichen sich alle Darstellungen: Emil S. soll ein schweigsamer Mensch sein. Anderen gegenüber verschlossen. Kontaktscheu. Er erzählte nie etwas von sich aus – das sagen alle Zeugen aus. Wenn man etwas wissen wollte, musste man ihn fragen. Und auch dann seien häufig ausweichende Antworten gekommen.
Er schien auch keinerlei Interesse an Gesprächen zu haben. Wenn seine Mitbewohner nach einem Wochenende aus Berlin zurückkamen, stellte er ihnen keine Fragen. Kein „Wie war die Fahrt?“ oder „Hat es euch gefallen?“. Immer nur eine zurückhaltende Begrüßung. Manchmal hätte er Tee vorbereitet – mehr Verbindlichkeit war nicht drin.
In seiner Freizeit sei er selten mitgegangen, wenn seine Mitbewohner etwas unternahmen. Er verbrachte viel Zeit in Internetcafés. Was er da getan hat, weiß keiner der Zeugen. In der Arbeiter-Wohngemeinschaft habe er sich oft abgekapselt und über Kopfhörer Musik gehört. Oft soll er auch regungslos auf seinem Bett gesessen haben, ohne irgendetwas zu sagen.
Keine fünf Euro Stundenlohn
Zwischen 07:00 Uhr und 16:00 Uhr habe er gearbeitet. Manchmal auch samstags. Für einen Tag Arbeit im Straßenbau bekam er 50 Euro. Er sei oft über das Wochenende nach Mannheim gefahren, seine Tochter besuchen, die dort lebt. Die Zeugen vermuten, dass er ihr auch Geld gegeben habe.
Sein Chef und Mitbewohner, der Emil als Selbstständigen ohne Steuernummer beschäftigte, sagte aus, er habe nie ein Problem mit dem Angeklagten gehabt. Er sei die meiste Zeit über sehr ruhig gewesen, „ließ einen in Frieden“ und erledigte seine Arbeit zuverlässig. Im Juli sei man nach Speyer gezogen. Dort soll Emil S. im August eine 48-jährige Frau brutal überfallen haben. In die Unterkunft in Grünstadt sei man erst ein Wochenende vor dem Mord an Gabriele Z. gezogen.
Gelegentliche Wutausbrüche
Manchmal kam es dabei jedoch zu Wutanfällen, wie zwei seiner Kollegen berichten. Etwa wenn er Anweisungen bekam, die ihm nicht passten. Dann schleuderte er oft seine Schaufel zu Boden und fluchte. Nach ein paar Minuten sei er dann wieder ruhig gewesen. So wie immer. Ein Arbeitskollege merkt dazu an:
Ist so etwas nicht normal?
Es ist der Zeuge, der den Angeklagten am positivsten darstellt. Er nennt Emil in seinen Schilderungen durchgängig „Freund“ und stellt ihn als Gutmenschen dar: Emil soll alten Frauen über die Straße geholfen oder ihre Einkaufstüten getragen haben. Wie glaubwürdig dieses Bild ist, ist fraglich: Denn die anderen Zeugen erwähnen so etwas nicht – und die sind die Mitbewohner des Angeklagten gewesen.
Zeuge mit Erinnerungslücken
Die Zeugen sind allesamt Türken, die nur gebrochenes oder gar kein Deutsch sprechen. Deswegen übersetzte eine Dolmetscherin. Untereinander konnten die Bauarbeiter sich mit Emil S. – soweit er etwas sagte – unterhalten: Er spricht „fließend“ türkisch. Beim letzten Zeugen handelte es sich um einen ehemaligen Mitbewohner des Angeklagten. Sie hätten sogar im gleichen Zimmer geschlafen, sagt er. Trotzdem weiß der Zeuge fast nichts über ihn – oder hat es vergessen.
Zu Beginn seiner Aussage, spricht der Zeuge konsequent von einem „Sergej“, bis der Vorsitzende Richter, Dr. Ulrich Meinerzhagen, nachfragt, wer das denn sein soll. Er zeigt mit dem Finger auf den Angeklagten. Als man ihm den richtigen Namen verrät, greift er sich an den Kopf und sagt:
Ja, jetzt erinnere ich mich wieder.
Nicht das einzige „Detail“, das dem Zeugen entfallen ist. Meistens kann er die Fragen des Gerichts nicht mehr beantworten. Er sagt, er könne sich nicht einmal mehr erinnern, was er letzte Woche gemacht habe, so viel sei zu tun. Wie solle er dann beantworten, was vor mehreren Monaten geschah?
„Was ich damals sagte, wird schon richtig sein“
Fast immer verweist er auf seine Vernehmung bei der Polizei am 21. Oktober 2013. Er kann sich zwar an nichts mehr erinnern, ist aber überzeugt:
Was ich da gesagt habe, ist alles zu 100 Prozent wahr.
Wenn man ihm die entsprechende Stelle aus dem Protokoll vorliest, nickt er und meint:
Ja, genau so war es.
Er kann sich dann zwar meistens immer noch nicht daran erinnern, will aber wissen, dass er in einer solchen Situation nicht lügen würde. Trotz all der Gedächtnislücken erwähnt er ein bedeutendes Detail: Er habe den Angeklagten nach dem 03. Oktober mit einem Smartphone herumspielen sehen:
Ich bin froh, wenn der bald weggesperrt wird.
Eine glaubwürdige Aussage?
Die anderen Zeugen sagen aus, Emil S. habe zwei Mobiltelefone gehabt: Alte Modelle von Samsung und Nokia. Später fand die Polizei das Handy von Gabriele Z. in der Grünstädter Wohnung – ein Smartphone der Marke Huawei. Um die letzten Zweifel zu beseitigen, wäre eine glaubwürdige Aussage, dass man den Angeklagten nach dem Tatabend mit dem Gerät gesehen habe, wünschenswert. Die Aussagen des letzten Zeugen sind aber alles andere als glaubwürdig.
Der Richter zeigt dem Zeugen ein Bild von Gabrieles Handy und fragt ihn, ob es so eines gewesen sei. Der Zeuge will sich erinnern und bestätigt das. Hier hätte man meiner Meinung nach geschickter vorgehen können: Wenn man dem Zeugen mehrere Bilder von Smartphones gezeigt hätte und ihn das richtige darunter auswählen lassen, hätte man eher sehen können, ob es der Wahrheit entspricht.
Rassist mit Erinnerungslücken
Grund an der Glaubwürdigkeit zu zweifeln, gibt es genug: Denn der Zeuge hat nicht nur ein Gedächtnis wie ein Sieb, er hat auch noch eine Abneigung gegen den Angeklagten und ist ein Rassist. Als die Verteidigerin Inga Berg ihn fragt, ob er generell etwas gegen Bulgaren habe, antwortet er ohne zu zögern. Der Dolmetscherin ist es sichtlich unangenehm zu übersetzen:
Ja. Die verdienen hier ihr Geld nur an den Türken und danach scheißen sie uns noch in den Hals.
Keiner der Zeugen gibt dem Angeklagten für den Mordabend am 03. Oktober ein Alibi – im Gegenteil. Sein Chef und ein weiterer Mitbewohner sagen aus, dass Emil S. spät an diesem Abend zurück in die Unterkunft nach Grünstadt gekommen sei. Der letzte Zeuge erzählt noch, dass Emil S. einen stark geschwollenen Finger gehabt habe.
Die Beweislage gegen Emil S. ist erdrückend. Es gibt Spermaspuren von ihm an der Toten, einen Fahrschein von Mannheim nach Grünstadt, der nach der Tat gelöst worden ist und man fand das Handy des Opfers in seiner Wohnung, ebenso die Tasche der jungen Mädchen, die in Grünstadt überfallen worden sind. Dennoch muss jeder Zweifel beseitigt sein, wenn man einen Mann lebenslang ins Gefängnis stecken und für die grausame Tat zweifelsfrei verantwortlich machen will. Das 48-jährige Opfer aus Speyer beispielsweise hat ihn so schlecht beschrieben, dass eine überhaupt nicht übereinstimmende Phantomzeichnung erstellt worden war – sie wird ihn nicht tatsächlich identifizieren können. Auch hier wurden aber DNA-Spuren sichergestellt.
Das Gericht nimmt Sorgfalt sehr ernst: Trotz eines scheinbar eindeutigen Sachverhalts stehen nach Planung noch 21 Verhandlungs bevor. Bis zum Urteil sollen noch 56 Zeugen befragt werden. Erst mit dem Richterspruch entscheidet sich, ob der Angeklagte schuldig ist.