Heidelberg, 24. März 2016. (red/pm) Seit 1. Januar 2015 dürfen Kneipen und Gaststätten länger öffnen: Wochentags bis 03:00 Uhr, in den Nächten auf Samstag und Sonntag bis 5 Uhr. Die Klagen über Ruhe- und Ordnungsstörungen habe in der Altstadt zugenommen. Der Gemeinderat hat nun zwei konkrete Maßnahmen beschlossen, um die Lärmprobleme künftig in den Griff zu bekommen.
Information der Stadt Heidelberg:
Kneipen und Gaststätten in der Heidelberger Altstadt dürfen weiterhin an Wochentagen bis 03:00 Uhr und am Wochenende bis 05:00 Uhr Gäste bewirten. Der Gemeinderat hat in seiner Sitzung am Mittwoch, 23. März, beschlossen, dass die Probephase für die Sperrzeiten um zwei Jahre verlängert wird. Zudem soll der „Runde Tisch Pro Altstadt“ wieder tagen und eine Selbstverpflichtungserklärung für Wirte erarbeiten. Der Gemeinderat hat außerdem beschlossen, dass auf Basis eines neuen Lärmgutachtens ein Programm für Lärmschutzfenster aufgelegt werden soll.
In der Altstadt dürfen Kneipen und Gaststätten seit 1. Januar 2015 entsprechend der baden-württembergischen Landesregelung länger öffnen: Wochentags bis 03:00 Uhr, in den Nächten auf Samstag und Sonntag bis 05:00 Uhr. Vorher hatte in der Kern-Altstadt eine Sonderregelung gegolten, nach der Gaststätten spätestens um 02:00 Uhr beziehungsweise um 03:00 Uhr schließen mussten. Von der Einführung der Landesregelung hatte sich eine Mehrheit der Gemeinderatsmitglieder versprochen, dass die Besucherströme nachts entzerrt werden und dass dadurch in den Altstadtgassen mehr Ruhe einkehrt.
Kommunaler Ordnungsdienst und Polizei: Es ist in mehr Straßen länger laut
Die Berichte des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD) und der Polizei zeichnen für das Jahr 2015 allerdings ein anderes Bild, nämlich dass Ruhe- und Ordnungsstörungen in der Altstadt zugenommen haben. Die Stadtverwaltung kommt zu dem Fazit, dass die landesweite Sperrzeitregelung nicht zu der erhofften Entzerrung des Gästeaufkommens geführt hat. Der Bericht des KOD zeigt, dass durch die Sperrzeitverkürzung bis 05:00 Uhr nun auch verstärkt in den letzten beiden Stunden alkoholisierte Ruhestörer und sich laut unterhaltende Gäste oder Passanten in den Altstadtstraßen anzutreffen sind und die Nachtruhe stören. Dabei ist häufig ein hohes Aggressions- und Gewaltpotenzial festzustellen. Eine Zuordnung dieser Personen zu bestimmten Gaststätten ist jedoch in den meisten Fällen nicht möglich. Daher kommen in der Regel auch keine Einzelmaßnahmen gegen bestimmte Gaststätten wegen Lärm oder Ruhestörungen durch Gäste, die sich im Umfeld der Gaststätten aufhalten, in Betracht.
Selbstverpflichtungserklärung der Wirte
Der Gemeinderat hat nun zwei konkrete Maßnahmen beschlossen, um die Lärmprobleme künftig in den Griff zu bekommen. Zum einen eine Selbstverpflichtungserklärung. Gemeinsam mit den Gastronomiebetrieben, der Anwohnerschaft und der Polizei soll die Stadtverwaltung eine solche Erklärung für Wirte erarbeiten. Ziel ist der verantwortungsvolle Umgang mit Alkohol und der Verzicht auf Werbe- und Vermarktungskonzepte der Gastronomie, die typischerweise zu einem verstärkten Konsum von Alkoholika führen (zum Beispiel Flatrate-Partys, Billigangebote von alkoholischen Getränken, Happy Hour ab Mitternacht). Die Namen der Gastronomiebetriebe, die diese Selbstverpflichtung unterzeichnen, sollen in einer „Positivliste“ veröffentlicht werden. Flankiert werden soll die Maßnahme durch Öffentlichkeitsarbeit, unter anderem zu den Themen Gewaltprävention, Alkoholkonsum und Lärm.
Programm für Lärmschutzfenster und 58-Punkte-Plan
Des Weiteren soll ein Konzept für ein Förderprogramm zu Lärmschutzfensternvon der Verwaltung erarbeitet werden . Über das Konzept soll dann bei den Haushaltsberatungen 2017/2018 vom Gemeinderat entschieden werden.
Die unterschiedlichen Nutzungsinteressen in der Altstadt haben in den vergangenen Jahren zunehmend zu Konflikten geführt. Ende 2009 hatte die Stadt den „Runden Tisch Pro Altstadt“ initiiert, um alle Akteure an einer Lösungsstrategie zu beteiligen. Nach vier Treffen des „Runden Tisches“ war im März 2010 ein 58 Punkte umfassendes Handlungskonzept geschnürt worden mit präventiven und repressiven Handlungsansätzen. Die meisten Themen wurden zwischenzeitlich erfolgreich bearbeitet. Nur wenige Punkte konnten aus rechtlichen oder anderweitigen Gründen nicht umgesetzt werden. http://www.heidelberg.de/hd,Lde/HD/Rathaus/Beschwerdetelefon+gegen+Kneipenlaerm.html
Dokumentation:
Sperrzeitregelung in der Heidelberger Altstadt: Zahlen, Fakten und Einschätzungen zum Jahr 2015
Beschwerden und Ordnungswidrigkeiten im Jahr 2015
Beschwerden von Bürgern über Gaststättenlärm
75 Beschwerden über zu hohe Lärmbelastungen durch Gaststätten und deren Besucher
70 Prozent der Beschwerden bezogen sich auf das Wochenende
davon betrafen knapp 55 Prozent den Zeitraum zwischen 0 und 3 Uhr
und gut 30 Prozent den Zeitraum zwischen 3 und 5 Uhr
Der räumliche Schwerpunkt der Beschwerden lag im Bereich Marktplatz, Fischmarkt, Haspelgasse, Untere Straße, Kettengasse sowie Hauptstraße im Abschnitt zwischen Oberbadgasse und Dreikönigsstraße
Beschwerden von Bürgern über Lärmbelästigungen im öffentlichen Raum
41 Beschwerden über Lärmbelästigungen im öffentlichen Raum
32 Beschwerden betrafen das Wochenende
davon betrafen etwa zwei Drittel den Zeitraum zwischen 0 und 3 Uhr
und ein Drittel den Zeitraum zwischen 3 und 5 Uhr.
Schwerpunkt der Beschwerden war das dritte Quartal
Wildpinkeln
118 Anzeigen durch den Kommunalen Ordnungsdienst wegen unerlaubten Wildpinkelns
Davon betrafen 87 Prozent das Wochenenden zwischen 22 und 3 Uhr
Zwei Drittel der Anzeigen erfolgten in den Frühjahrs- beziehungsweise Sommermonaten
Ordnungswirigkeitenanzeigen durch Bürger
70 Ordnungswidrigkeitenanzeigen
davon betrafen 32 Lärm, ausgehend von Gaststätten und
38 Lärm im öffentlichen Raum
Vergleich der Jahre 2014 und 2015
Die Anzahl der Beschwerden hat 2015 gegenüber 2014 zugenommen. 2014 gingen insgesamt 33
Beschwerden wegen Gaststättenlärms und Lärm im öffentlichen Raum ein; 2015 waren es 111
Beschwerden.
Erfahrungen des Kommunalen Ordnungsdienstes
Die neue Sperrzeitregelung wird derzeit von 13 Betrieben in der Kernaltstadt voll ausgeschöpft.
An den Wochenenden waren ab 2 Uhr häufig stark alkoholisierte Personen und Personengruppen anzutreffen, die teilweise eine hohe Aggressivität an den Tag legten.
Eine deutliche Lärmentwicklung im öffentlichen Raum durch lautstarkes Unterhalten, Rufen, Grölen oder Schreien Einzelner war festzustellen.
Darüber hinaus gab es Probleme mit Vandalismus und durch eine starke Verunreinigung der Straßen, insbesondere durch zerschmetterte Flaschen und weggeworfene Imbissverpackungen.
Störungen zwischen 3 Uhr und 5 Uhr, welche vor der Sperrzeitverkürzung in der Regel nur im Bereich der Discobetriebe mit erlaubten längeren Öffnungszeiten stattfanden, dehnen sich nun auf sämtliche Straßenräume aus, wo Gaststättenbetriebe von der Sperrzeitverkürzung Gebrauch machen.
Auswertung der Polizeistatistik
Im Bereich der Ordnungsstörungen „Lärm und Gaststättenlärm“ stellt die Polizeistatistik eine Steigerung um 35 Fälle (11,26 %) von 301 in 2014 auf 336 in 2015 fest.
Der Schwerpunkt der Ordnungsstörungen ist nach wie vor das Wochenende.
Im Zeitraum zwischen 4:00 Uhr und 6:00 Uhr gab es samstags eine Zunahme von 11 Fällen in 2014 auf 14 in 2015 (+27,7 %)
und sonntags von 8 Fällen in 2014 auf 21 in 2015 (+162,5 %).
Die Straftaten in der Altstadt nahmen um 520 Fälle (+22,42 Prozent) von 2.319 im Jahr 2014 auf 2.839 im Jahr 2015 zu.
Straftaten mit Bezug zum öffentlichen Raum wie räuberische Erpressung, Körperverletzung, gefährliche/schwere Körperverletzung, und Sachbeschädigung
haben sich um 142 Fälle (+33,1 Prozent) von 429 im Jahr 2014 auf 571 im Jahr 2015 erhöht.
413 (72,32 Prozent) dieser 571 Straftaten im Jahr 2015 ereigneten sich zwischen Freitag und Sonntag.
Von den 413 Straftaten (Freitag-Sonntag) entfielen 76 auf den Zeitraum 3 bis 4 Uhr; 25 auf den Zeitraum 4 bis 5 Uhr und 21 auf den Zeitraum 5 bis 6 Uhr.
Für den Fall einer Verlängerung der Sperrzeit auf die Zeiten von 2014 erwartet die Polizei, dass in den frühen Morgenstunden zwischen 4 und 6 Uhr sowohl die Straftaten als auch die „Störungen der Bevölkerung“ zurückgehen.
Bewertung der Entwicklung im Jahr 2015 durch die Vereine und Initiativen
LindA und Verein Alt Heidelberg:
Nach Auffassung der Anwohnerinitiative LindA und des Vereins Alt Heidelberg hat sich die Lärmbelastung durch die neue Sperrzeitregelung nicht verringert oder entzerrt, vielmehr habe sie sich bis in die frühen Morgenstunden hinein verlängert.
DEHOGA:
Die DEHOGA Baden-Württemberg ist der Auffassung, dass die Verkürzung nicht zu mehr gastronomiebedingter Lärmentwicklung in der Altstadt geführt hat, vielmehr habe sie zu einer Entzerrung der Gästeströme geführt.