Rhein-Neckar, 23. Oktober 2014. (red/ld/aw) Seit April 2013 dürfen die Kommunen in Baden-Württemberg nur noch Unternehmen beauftragen, die ihren Mitarbeitern einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde bezahlen. Dazu verpflichten sich die Unternehmen, wenn sie sich um einen Auftrag bewerben. Zudem willigen sie in Kontrollen ein. Beanstandungen habe es noch keine gegeben, sagen die angefragten Kommunen in unserem Berichtsgebiet – und deshalb hat es auch noch keine Kontrollen gegeben. Da stellt sich die Frage: Wie effektiv ist dieses gepriesene Tariftreuegesetz?
Von Lydia Dartsch
Seit dem 10. April 2013 gilt in Baden-Württemberg das Tariftreue- und Mindestlohngesetz (TMLG) für öffentliche Aufträge. Öffentliche Aufträge ab einem Wert von 20.000 Euro dürfen daher seit dem 01. Juli nur noch an Unternehmen vergeben werden, die ihren Arbeitnehmern mindestens 8,50 Euro pro Stunde bezahlen. Damit wollte die grün-rote Landesregierung gegen Dumpinglöhne vorgehen.
![Der Landtagsabgeordnete Uli Sckerl (Grüne)](https://istlokal-medien.de/rheinneckarblog1/files/2011/03/sckerl_b90.jpg)
Der Landtagsabgeordnete Uli Sckerl (Grüne)
Bisher mussten Kommunen das günstigste Angebot annehmen. Der Wettbewerb sei bis dahin immer auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen worden, sagte Hans-Ulrich Sckerl, Landtagsabgeordneter von Bündnis ’90/Die Grünen im Interview mit uns. Damals zeigte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen erfreut über die neue Gesetzesgrundlage:
Für Beschäftigte, die Kommunen und letztlich auch das Land haben wir mit der erfolgreichen Umsetzung dieses Vorhabens verlässliche Bedingungen für effizientes und faires Wirtschaften geschaffen.
Mit einer absoluten Lohnuntergrenze von 8,50 Euro und dem Bekenntnis zu den geltenden Tarifverträgen wollte Grün-Rot ein klares Zeichen gegen Lohndumping und unfairen Wettbewerb um öffentliche Aufträge setzen. Besonders betont wurden dabei auch die Vorteile für die Kommunen:
Das Unterbieten um jeden Preis bei den Angeboten gehört nun in Baden-Württemberg der Vergangenheit an. Dies ist gut für die Beschäftigten, aber auch für Städte und Gemeinden.
Die neue Regelung setze einen klaren Rahmen, schütze den fair zahlenden Mittelstand vor Ort und wirke sich auch positiv auf Zuverlässigkeit und Qualität aus.
Ob Dumpinglöhne bei öffentlichen Aufträgen nun wirklich von gestern sind, darüber lässt sich streiten. Laut den neuen Regeln des Vergabehandbuchs muss der bietende Unternehmer mit seiner Unterschrift versichern, dass seine Mitarbeiter nach dem Mindestlohn bezahlt werden. Er versichert ebenfalls, dass das von ihm beauftragte Subunternehmen seine Mitarbeiter ebenfalls über der Lohngrenze bezahlt. Nachweisen müssen die Unternehmen das erst einmal nicht.
Mindestlohnverpflichtung auch für Nachunternehmer und Verleihfirmen
„Auf die Erklärung wird bestanden“, teilte die Stadt Schwetzingen auf unsere Anfrage mit. Die Stadt wickle ihre Aufträge über die Vergabeplattform der Metropolregion Rhein-Neckar ab, heißt es weiter in der Antwort. „Die Verpflichtung wird als zusätzliche Vertragsbedingung in die Ausschreibung mitaufgenommen und ist somit Bestandteil jedes Vertrages“, schreibt Markus Dorn vom Laudenbacher Bau- und Umweltamt. Ebenso lautet die Antwort von Karls Engelsdorfer von der Gemeinde Hemsbach.
Gemäß TMLG haben sich die an Ausschreibungen beteiligten Firmen bereits bei Angebotsabgabe schriftlich zu verpflichten, dass TLMG zu erfüllen.
Damit werde verbindlich erklärt, dass die Beschäftigten der Bewerber bei einer Ausführung der geforderten Leistungen „Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts von mindestens 8,50 Euro pro Stunde brutto“ einhalten. Dies gelte „vollumfänglich auch für Nachunternehmer, Verleihfirmen und Verleihfirmen der Nachunternehmer“, so Kern. Angebote ohne diese Verpflichtung würden sogar vom Wettbewerb ausgeschlossen.
Dagegen wird in Mannheim nur bei Aufträgen über einem Volumen von 20.000 Euro eine Verpflichtungserklärung verlangt, teilt Carolin Bison vom Medienteam der Stadt mit. Allerdings liege nur ein Zehntel der insgesamt 8.200 Aufträge über dieser Summe, heißt es in der Antwort weiter. Unterlagen würden nur in Verdachtsmomenten eingefordert. „Nötig“ seien Kontrollen aber noch nicht gewesen.
Mannheim verlangt Unterlagen bei Verdacht
Auch in Heidelberg wird die Eigenerklärung erst ab einem Auftragsvolumen über 20.000 Euro verlangt, sagt Timm Herre, stellvertretender Pressesprecher: „Wir halten die Vorgaben des Gesetztes vollumfänglich ein“, heißt es in der Antwort auf unsere Anfrage. Wer sich um einen öffentlichen Auftrag bewirbt, muss sich zudem im Formular zur Einhaltung der Bedingungen verpflichten. Entsprechende Vertragsmuster stelle das Regierungspräsidium Stuttgart bereit.
Um die Einhaltung kontrollieren zu können, erklären sich die Unternehmen bereit, Unterlagen vorzulegen, die belegen, dass sie sich an die Anforderungen TMLG halten. Nachweise müssten sie dafür nicht erbringen, sagt Gregor Völker vom Bauamt Ladenburg:
Bei Verdachtsmomenten werden weitere Unterlagen von den Bietern eingefordert.
Ergebnis unserer Umfrage: Erforderlich war bislang in keiner der angefragten Kommunen eine Überprüfung durch Verdachtsmomente.
Dossenheim hat externe Firma mit Prüfung beauftragt
Darüberhinaus prüft die Gemeinde Laudenbach, ob die anbietende Firma bereits einen Eintrag im Gewerbezentralregister habe und lässt sich vom RP Karlsruhe zusätzliche eine Bescheinigung ausstellen, dass keine Vergabesperren vorliegen.
In Dossenheim hat die Gemeindeverwaltung sogar eine externe Firma mit der Überprüfung des Qualitätsmanagements beauftragt. Diese nehme die ausführenden Firmen mehrmals im Jahr in Augenschein und kontrolliert auch die Tariftreue, erklärt Ulrike Trunk, Mitarbeiterin der Gemeindeverwaltung Dossenheim. Ebenso wie in den anderen Gemeinden wurden die gesetzlichen Bestimmungen rechtzeitig in die Verträge eingearbeitet. Eine interkommunale Zusammenarbeit gebe es zwar auch in Dossenheim noch nicht, aber:
Es gibt regelmäßige Treffen der Bürgermeister und der Hauptamtsleiter, bei denen entsprechende Probleme angesprochen werden können, wenn sie auftreten sollten.
Gemeinden dürfen sich nicht über Verfehlungen austauschen
Bei einem Verstoß werden Vertragsstrafen zwischen 1 und 5 Prozent der Auftragssumme fällig. Die Kommunen können zudem wegen wichtiger Gründe kündigen. „Außerdem müssen wir bei Feststellung eines Verstoßes die nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden der Zollverwaltung einschalten“, teilt Herr Völker aus Ladenburg mit.
In Mannheim, Heidelberg, Hirschberg, Laudenbach und Hemsbach habe es aber bislang noch keine Beanstandungen gegeben. „Die meisten Firmen, die für Ladenburg arbeiten, sind uns langjährig bekannt“, sagte Herr Völker. Auch in Dossenheim, Weinheim, Edingen-Eckarhausen, Ilvesheim und Schwetzingen sei dies noch nicht vorgekommen, teilten uns die Verwaltungen mit. Wie es in Schriesheim aussieht, bleibt offen. Antworten auf unsere Fragen erhielten wir dort nicht.
Einen Austausch zwischen den Kommunen über Unternehmen, die gegen Vorgaben verstoßen, gibt es aber nicht, wie alle versichern. Aufgrund von stringenten vergaberechtlichen Vorschriften sei es öffentlichen Auftraggebern nicht gestattet, Listen über Verfehlungen von Bietern zu führen, heißt es aus Schwetzingen. Dadurch sei auch das Entstehen eines interkommunalen Austausches nicht zu erwarten.
In Hirschberg greift man dagegen auf die Melde- und Informationsstelle in den Regierungspräsidien zurück. Hier würden Verstöße von Firmen gemeldet und Informationen über zu beauftragende Firmen abgefragt. Außerdem könne man beim Gewerbezentralregister Auskünfte über Firmen einholen, bevor ein Auftrag vergeben wird, sagt Karl Martiné auf Anfrage.
Überprüfung frühestens 2017
Ob das TMLG ein effektives Mittel gegen Dumpinglöhne ist, bleibt abzuwarten – trotz der zuversichtlichen Meldungen aus den Kommunen. Erst im Jahr 2017 ist eine Überprüfung durch die Landesregierung geplant. Prognosen über die Wirksamkeit könnten noch nicht angestellt werden, heißt es beispielsweise aus Heidelberg:
Insgesamt wird sich in der praktischen Anwendung zu zeigen haben, ob Umgehungskonstruktionen gesucht und gefunden werden, sodass dann entsprechend gegengesteuert werden kann.
In Hirschberg hält man das Gesetz zumindest für eine „von vielen Bausteinen um „Dumpinglöhne“ zu verhindern“. Welches die weiteren Bausteine sein sollen, lässt die Verwaltung offen. Deutlichere Worte findet Carolin Bison für die Stadt Mannheim. Das TMLG helfe nur bedingt. Zwar werde auf die Löhne Einfluss genommen werden, die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung für den jeweiligen Einzelauftrag bezahlt werden, aber:
Welche Löhne der Unternehmer im Zusammenhang mit anderen Aufträgen bezahlt, ist nicht kontrollier- und beeinflussbar. Auch darf der Aufwand, der mit regelmäßigen Kontrollen verbunden wäre, nicht unterschätzt werden. Dieser bindet zusätzliche personelle Ressourcen.
Keine Kontrollen. Keine Beanstandungen. Das TMLG wirkt wie eine gut gelaunte lahme Ente.