Rhein-Neckar, 23. Januar 2017. (red/pro) Fake News, Fake News, Fake News – die Kakophonie schmerzt. Vor allem, weil die, die lamentieren, oft genug selbst Fake-News produzieren, aber mit dem Finger immer nur auf andere von sich selbst weg zeigen. Die Journalismus-Branche ist in allergrößten Schwierigkeiten – mit den Schlawinern auch alle, die sich um gute Qualität bemühen, also das RNB zum Beispiel. In Schwierigkeiten ist auch die Gesellschaft, weil es keine Demokratie ohne eine unabhängige Medienlandschaft gibt. Definitiv nicht. Damit ist jeder – ob man will oder nicht – mit verantwortlich, wie sich diese Gesellschaft entwickelt.
Von Hardy Prothmann
Die Küche ist sein Lieblingsort – der Ort, an dem das Fleisch geklopft, der Fisch entgrätet, das Gemüse gegart und das Essen abgeschmeckt wird. Man muss ihn am Küchentisch erleben. Man muss erleben, wie er ein großes Essen vorbereitet. Bei Voßkuhles setzt man sich nicht an die gedeckte Tafel und wartet, was aufgetragen wird. Eine Einladung bei dem kinderlosen Juristenpaar (…) beginnt in der Küche: Der eine Gast putzt die Pilze, der andere die Bohnen, der dritte wäscht den Salat(…) Jeder hat seinen Part, jeder hat was zu schnippeln, zu sieden und zu kochen, jeder etwas zu reden (…) Voßkuhle selbst rührt das Dressing. Man ahnt, wie er als oberster Richter agiert.
Dieses Zitat stammt aus der Süddeutschen Zeitung. Einer Qualitätszeitung. Wir zitieren laut einem Bericht des Tagesspiegel, weil wir das Original nicht mehr im Netz gefunden haben. Es handelt sich um eine Passage des sehr bekannten Journalisten Heribert Prantl in einem Porträt über den Vorsitzenden des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Wer die Zeilen liest, gewinnt den Eindruck, Herr Prantl habe höchstselbst irgendetwas in der Küche des Verfassungsrichters geschnippelt. Hat er aber nicht.
Heribert Prantl und Fake News
Die Antwort der Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts auf eine Anfrage folgte damals, im Sommer 2012, sehr zügig und sehr eindeutig:
Ich kann Ihnen versichern, dass Herr Prantl weder für diesen Artikel noch zu einem anderen Zeitpunkt von Herrn Voßkuhle zu einem privaten Essen eingeladen wurde, geschweige denn aus persönlicher Anschauung mit den Kochgewohnheiten des Präsidenten vertraut sein kann.
Hat der sehr bekannte Heribert Prantl, Top-Journalist, Jurist, selbst ehemaliger Richter, also eine Fake, eine gefälschte Nachricht verbreitet? Das weiß ich nicht. Ich kenne seine Quelle nicht. Ich weiß nur, dass er nicht aus eigener Anschauung berichtet hat – aber er hat so getan, als ob. Ob vorsätzlich oder weil er einen Fehler gemacht hat, ist unklar. Die Medienjournalistin Ulrike Simon schrieb damals in der Frankfurter Rundschau:
Ein klärender Halbsatz hätte dem Text in keiner Weise geschadet. Hat ihn Eitelkeit zu diesem Fehler verleitet? Er habe sich nichts dabei gedacht, widerspricht Prantl. Das Porträt sei schnell geboren gewesen, er habe es erst am Produktionstag geschrieben.
Schnell sollte ein Unwort für Journalismus werden
“Schnell geboren” also. “Schnell” sollte das Unwort des Jahres für Journalisten werden. Denn Fehler passieren meistens, wenn es schnell zugehen soll.
Wie auch am 17. Januar 2017, als Spiegel online, Zeit online, sogar die ARD meldeten, das Bundesverfassungsgericht habe die NPD verboten. Das Gegenteil war richtig – die NPD wurde nicht verboten.
Kurz drauf kamen von einigen Medien Richtigstellungen über “bedauerliche Fehler”, andere setzten einen Löschapparat in Gang, formulierten um, löschten Tweets und Facebook-Kommentare und taten so, als sei der Fehler nie passiert. Wie Verbrecher es machen, versuchte man schnell und lückenlos Spuren zu verwischen – das gelingt aber fast nie.
“Die Medien” sind seit langer Zeit unter enormem Druck – denn das Internet ist ein Publikationsraum, der ihre über viele Jahrzehnte exklusive Existenz bedroht, die fantastische Einnahmen bescherte. Es gibt viel mehr Konkurrenz und Angebote, die Exklusivität schwindet, die Preise verfallen. Abos werden gekündigt, Printprodukte immer weniger gekauft.
Und Sie, ja, genau Sie, der Sie diesen Text gerade lesen, freuen sich, weil Sie “Geld sparen”. Und weil Sie, ja genau Sie, mit einem Mal in der Lage sind, zu teilen, was Sie, genau Sie, teilen wollen und was nicht. Sie, genau Sie, übernehmen damit Verantwortung und wenn man Sie, genau Sie, dafür in die Pflicht nehmen würde, würden genau Sie diese zurückweisen mit Hinweis auf die “Quelle”.
Und Sie, genau Sie, müssen sich die Frage gefallen lassen, welche Verantwortung Sie persönlich tragen – schließlich stellen Sie, genau Sie, mir und anderen Journalisten diese Frage und nutzen ganz überwiegend meine Leistung und die von Kollegen, um Ihre Sicht, und nur Ihre Sicht zu bestätigen.
Sie, genau Sie, sind mit verantwortlich für Fake News
Umgekehrt ausgedrückt, entziehen Sie, genau Sie, der Sie dies lesen, dem Medienmarkt Geld, mit dem die journalistische Arbeit bezahlt wird. Und möglicherweise sind genau Sie, der Sie diesen Text lesen, einer von jenen, die sich über die zunehmend schlechte Qualität beschweren. Fällt Ihnen auf, dass Sie selbst an dieser Entwicklung beteiligt sind?
Wir haben einige hundert Leser/innen, die für unsere Arbeit bezahlen – die meisten sind Förderkreismitglieder, viele haben den Förderkreispass bestellt und bezahlt, um pauschal auf unsere seit Ende September teils gebührenpflichtigen Artikel zuzugreifen.
Wenn ich Sie, genau Sie anspreche und frage, warum Sie das (noch) nicht tun, dann spreche ich den größten Teil unserer Leserschaft an, denn der mit Abstand größte Teil zahlt bislang genau nichts, will aber immer Top-Qualität, schreibt emails und Kommentare, auf die wir antworten sollen und darunter gibt es auch welche, die sich von unserer Haupteinnahmequelle Werbung “genervt” fühlen.
Wechseln wir mal die Rollen
Wechseln wir mal die Rollen – Sie, ja genau Sie, sind jetzt ich. Stellen Sie sich das mal vor. Sie sind Chefredakteur eines regionalen journalistischen Angebots, das viel beachtet wird, das Themen setzt, das sich mit allen möglichen Leuten anlegt, kein Blatt vor den Mund nimmt, das einen hohen Qualitätsanspruch hat und es genau mit Ihnen zu tun hat. Mit Leuten, die beste Qualität erwarten, aber nichts zahlen wollen. Mit zunehmender Konkurrenz um Sie herum. Mit einer nahezu hysterischen Medienwelt, die im Sekundentakt versucht, Aufmerksamkeit zu erregen und noch die blödesten Blödheiten aufbläst. Was würden Sie machen?
Sie würden das machen, was viele Medien machen – sich auf einen kreischende Konkurrenzkampf einlassen, den niemand gewinnen kann. Das ist die Lage.
Mal ganz abgesehen davon, dass Sie, genau Sie, für diese Arbeit in den vergangenen fünf, sechs Jahren, mal eben so über 40.000 Euro für juristische Auseinandersetzungen zahlen mussten. Nicht ich, sondern Sie, genau Sie. Aus eigener Tasche. Würden Sie, genau Sie das machen? Für Ihre Überzeugung?
Ich weiß, dass Sie, genau Sie, noch nicht einmal vier Euro für unsere Arbeit bezahlt haben – schon gar nicht das Tausendfache davon. Sie, genau Sie, nutzen unsere Arbeit ohne sich daran zu beteiligen, weil Sie, genau Sie, irgendwie denken, dass Sie einen Anspruch darauf hätten.
Den haben Sie aber nicht. Wenn wir unsere Arbeit nicht mehr finanzieren können, wenn andere Medien den Bach runtergehen, dann können Sie, genau Sie nichts mehr teilen, was nicht angeboten wird. Für Sie, genau Sie, bleiben nur Fake News Katzenbilder und sonstiger Trash.
Herausforderungen ernst nehmen
Sie sind aber nicht ich. Ich lasse mich als verantwortlicher Redakteur nicht darauf ein, sondern ich mache das, was Sie nie gelernt haben – das ist kein Vorwurf, denn Sie sind ja kein Journalist. Ich und mein Team halten uns an journalistisches Handwerk und informieren unsere Leserschaft so gut es geht. Wir produzieren keine kreischenden Aufregernews, keine Fakes, keine wie auch immer gepimpten Stories.
Wir nehmen die Herausforderungen ernst. Ob die AfD oder die Probleme mit der Zuwanderung oder die Verbindung aus beidem. Aber auch den Hass und die Wut der anderen Parteien auf die AfD und die eigene Hilflosigkeit, weil die etablierten Parteien gerupft werden wie noch nie. Wir sammeln Informationen, analysieren diese, bringen sie in Zusammenhang und veröffentlichen nicht “schnell”, sondern dann, wenn wir diese gecheckt haben. Dabei lassen wir uns vor keinen Karren spannen.
Fehler machen alle – der Weg zur Fälschung ist nicht weit
Wir folgen dabei einem einfachen Leitfaden – dem Rechtsstaat. Unsere Aufgabe ist, Sie so korrekt wie möglich zu informieren. Dabei machen wir wie alle Fehler. Aber wir – darauf bin ich sehr stolz – machen sehr wenige Fehler. Und wenn wir welche machen, berichten wir darüber transparent und kennzeichnen diese Fehler als das, was sie sind: Fehler.
Fake News hingegen sind etwas anderes. Zum einen Systemfehler, weil es “schnell” gehen soll und die notwendige Sorgfalt und Kontrolle fehlt, zum anderen, weil nicht das Handwerk, sondern eine Ideologie handlungsleitend ist. Dann werden Fehler schnell zur Fälschung. Und mitunter werden Fälschungen zum System. Insbesondere die Süddeutsche Zeitung weiß, wovon ich rede, wenn ich auf Tom Kummer hinweise.
Fake News sind postfaktische Propaganda
Fake News ist nur ein neues Wort für Propaganda. Das betrachten wir mit großer Sorge. Propaganda blüht immer dann, wenn man im Krieg ist oder kurz davor. Anscheinend ist diese Gesellschaft im Krieg oder kurz davor. Davor warnen wir seit Jahren eindringlich. Krieg bedeutet immer Tod und Verderben – meist begründet als “Befreiungsschlag”, um Tod und Verderben zu vermeiden. Ein nettes Adjektiv dafür ist “postfaktisch”.
“Die Medien” sind in einem sehr schlechten Zustand und beeinflussen in fataler Weise die Gesellschaft, die sich ebenfalls in immer schlechtere Zustände entwickelt. “Die Medien” puschen ideologisch rechte und nationalistische Tendenzen ebenso wie linksextreme Auswüchse. Sie zeigen auf andere und sind doch selbst die treibenden Akteure.
Keiner ist nicht beteiligt
Das RNB ist auch daran beteiligt. Leider. Nicht an Fake News, die gibt es bei uns nicht. Aber an der Aufregung – weil unsere Berichte von anderen in Fake News verwandelt werden. Insbesondere von Extremisten. Wir können aber nichts dafür, wenn Extremisten unsere Berichte wie auch immer verwenden – die machen das einfach. Je nach Ideologie.
Im Gegensatz zu anderen Medien betreiben wir sehr viel Selbstkritik und -reflexion. Und vor allem haben wir eine Haltung – wir stehen für eine gewaltfreie, offene, ehrliche, transparente politische Debatte ein. Leider stellen wir zunehmend fest, dass diese immer seltener möglich ist. Stattdessen heißt es immer öfter: Wenn Du nicht für mich bist, bist Du gegen mich. WTF (what the fuck). Das ist irre – wir versuchen die Ordnung aufrecht zu erhalten, als Teil von vielen. Ob anständige Bürger, Behörden, Polizei, Justiz. Trotzdem oder gerade deswegen werden wir instrumentalisiert.
Verlockende Angebote
Ich bekomme sehr viele Angebote, sehr lukrative Angebote, um mich nicht der Öffentlichkeit, sondern speziellen Interessen zu verdingen. Diese Angebote haben ihren Preis, der ist hoch und würde bezahlt werden.
Ich bekomme diese Angebote, weil gewisse Leute meine Arbeit verfolgen, analysieren, wie erfolgreich ich bin, als Chef eines kleinen Teams sehr intensiv auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Die Angebote, die ich erhalte, wollen diesen Erfolg für eigene Ziele nutzen, die nicht immer im Sinne des Gemeinwohls sind, aber zulässig.
Was wollen Sie, ja genau Sie, von mir? Unabhängigen Journalismus? Warum bezahlen Sie dafür nicht – andere bieten sehr, sehr viel Geld. Mehr als mein kleines Unternehmen verdient und über das ich meine Mitarbeiter bezahle. Das ganze Geld könnte ich nur für mich verwenden.
Warum sollte ich weiter für Sie, genau Sie, berichten, wenn andere mir viel mehr Geld bieten, um genau Sie nicht unabhängig, sondern gezielt zu beeinflussen? Ich würde auch für Sie, genau Sie da sein – aber mit anderen Zielen. Der Unterschied wäre – jemand bezahlt mich sehr, sehr gut dafür. Anders als Sie, genau Sie.
Ich habe nun über viele Jahre das Angebot des RNB aufgebaut und wir sind eine feste Größe. Bei uns finden Sie keine Fake News, sondern ehrlichen und transparenten Journalismus. Wie nirgendwo sonst. Dafür habe ich erhebliche persönliche Einschränkungen hingenommen, finanzielle wie persönliche. Das RNB ist besser als viele Medien in der Region – nicht, was die Summe an “News” angeht, sondern die inhaltliche Tiefe.
Was ist Ihre Verantwortung?
Sie, ja genau Sie, der Sie nur nutzen, aber nicht zurückgeben, sind mit dafür verantwortlich, was wir (nicht) leisten können. Wenn Sie nur erwarten, aber nie zurückgeben, verhalten Sie, genau Sie, sich asozial und verantwortungslos.
Sie, also alle, die uns unterstützen, sind nicht gemeint. Sie sind großartig und haben verstanden, warum man für Journalismus nicht zahlen muss, sondern das gerne tut.
Mögen Sie eigentlich den Postillon? Ich mag den, der ist nicht immer lustig, aber oft. Mögen Sie die Heute-Show? Ich gucke das gerne – nicht immer lustig, aber oft unterhaltend. Wissen Sie, was mich wirklich stört? Wenn Satire mit Journalismus verwechselt wird. Und noch mehr stört mich, wenn Mister “Ziegenficker”-Schmalbrust von vielen Medien als Retter der Meinungsfreiheit stilisiert wird. Da bekomme ich persönlich das Kotzen. Satire ist Fake News – aber offenbar nehmen das immer mehr Menschen “ernst”.
Leider auch Journalisten, die sich fragen lassen müssen, ob sie eigentlich noch den Unterschied zwischen Fake News und Real-News kennen. Mit denen habe ich, hat das RNB aber nichts zu tun. Andere Baustelle.
Appell an verständige Leute
Bei uns lesen sehr, sehr viele Journalisten mit. Mein Appell: Konzentriert Euch aufs Handwerk und auf Relevanz, statt auf Reichweite. Der Appell wird zwar gehört werden, aber verworfen, weil viele Medien nur über Reichweite Geld verdienen oder ihren Erfolg über Reichweite definieren – wie die öffentlich-rechtlichen Medien, die per Zwangsgebühr bestens ausgestattet sind, aber ihr Heil in Quoten und damit in Massen-Trash suchen.
Wir verkaufen unsere Werbeplätze zum Festpreis – Kunden profitieren von unserer zunehmenden Reichweite, aber vor allem von der Relevanz.
Sie, genau Sie, entscheiden mit, was wir leisten können. Weil wir Relevanz herstellen wollen. Die Masse folgt immer den Demagogen. Massenmedien bedienen immer Demagogie. Wir wollen interessierte Leser/innen und Entscheider erreichen, die unsere Arbeit weiterreichen. Klare Fakten, klare Einordnung und die klare Ansage, was wichtig ist und worüber man demokratisch streiten sollte.
Was mich sehr nachdenklich stimmt, ist die Ablehnung von anderen Meinungen. Nicht die Ablehnung an sich, sondern die Absolutheit und die Vehemenz. Alles, was nicht ins eigene Weltbild, in die eigene Ideologie passt, wird als “Fake” verurteilt und als “News” verbreitet – damit entstehen täglich millionenfach sehr viele Fake News, durch News-Laien. Über das Internet.
Journalismus, wie wir ihn bieten, ist ein Bollwerk gegen diese Fälschungen.
Medien, die Fake News erzeugen und bedienen, schaffen sich selbst ab.