Rhein-Neckar/Berlin, 23. August 2016. (red/pro) Über die angebliche Vergewaltigung der Gina-Lisa Lohfink (29) haben die Medien rauf und runter berichtet. Leider überwiegend notgeil – die Sensationslust hat meistens das Hirn ausgeschaltet. Sex-Skandal, Vergewaltigungsvorwurf, Voyeurismus, Sexualstrafrechtsdebatte – das sind alles Stoffe, aus denen eher kein Qualitätsjournalismus entsteht. Damit blieb auch eine wesentliche gesellschaftliche Debatte über das eigentliche Problem aus: Das heißt alkoholbedingte Demütigung und Deprivatisierung der eigenen Intimität.
Kommentar: Hardy Prothmann
Gestern hatte ich auf Facebook kommentiert, ich sei froh, nicht über den Fall Lohfink berichten zu müssen, da das nicht unser Berichtsgebiet ist. Darüber habe ich nachgedacht und mich anders entschieden. Der Fall Gina-Lisa Lohfink ist überall. Und es hat nicht unbedingt etwas mit Sex zu tun, sondern einer unbedingten Gier zum Gaffen sowie einer grassierenden Sensationsgeilheit. Auf der Strecke bleiben Selbst-Wertschätzung und Intimität.
Gina-Lisa ist nicht allein
Gina-Lisa Lohfink ist nicht allein. 2013 wurde in Nordbayern ein Fall bekannt – eine 16-Jährige hatte auf einem Parkplatz vor einer Diskothek Sex mit einem Mann. Auf der Motorhaube eines Autos. Dutzende Personen filmten die “Szenerie” mit ihren Mobiltelefonen – ratzfatz verbreiteten sich die Videos über soziale Netzwerke und Whatsapp.
Das Mädchen wandte sich an eine Zeitung – die kam groß mit der Story heraus. K.o.-Tropfen seien im Spiel gewesen! Das muss eine Vergewaltigung gewesen sein! Die Wahrheit: Es waren weder K.o.-Tropfen im Spiel, noch war es eine Vergewaltigung. Das hemmungslösende Mittel war schlicht und ergreifend Alkohol. Gepaart mit einer vermutlich frühen Selbstentfremdung einer 16-jährigen, die später zitiert wird, sie sei “sexuell freizügig”.
Zwischen den Extremen Vollschleier und Parkplatzsex
Während Deutschland erregt über ein Vollverschleierungs-Verbot oder nicht debattiert, findet die eigene Nabelschau nicht statt. Was ist eigentlich mit einer Gesellschaft los, in der junge Menschen sich ihre Hemmschwellen und Scham wegsaufen, um es dann auf dem Parkplatz zu treiben? Wird man “prominent”, wenn man ein bisschen bekannt ist und dann Sex-Clips im Internet auftauchen? Wird man so berühmt? Will man so berühmt werden? Und was haben eigentlich die Videofilmer für ein Problem im Kopf?
Statt berühmt wird man berüchtigt. Wieder nüchtern und sofern noch vorhanden, folgt dann die Scham. Man wollte das nicht. Deshalb müsse es eine Vergewaltigung sein. Aus Sicht von Feministinnen sind die Männer immer die Vergewaltiger, Alice Schwarzer lässt grüßen. Deren verschrobenes Argument: Durch die Verurteilung der Gina-Lisa Lohfink drohe jetzt die Gefahr, dass Frauen Vergewaltigungen nicht anzeigen. Frau Schwarzer: Es war keine Vergewaltigung. Und wo es keine Vergewaltigung gibt, gibt es auch nichts anzuzeigen und strafzuverfolgen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es ist vertrauensbildend, dass vor deutschen Gerichten nicht einfach Angeklagte durch die Anklage verurteilt werden. Und bei entsprechender Beweislage eben freigesprochen werden.
Tatsache ist, dass Frau Lohfink (damals 25) wegen falscher Verdächtigung verurteilt worden ist – das ist die härtere Strafe als nur “Vortäuschen einer Straftat”. Wer sich Fakten verweigert, wie Frau Schwarzer, will keine Debatte, sondern die Hoheit überm Feministinnenstammtisch behalten.
Sicher, Frau Lohfink wollte angeblich nicht, das gefilmt wird – warum hat sie es zugelassen?
Zunehmende Selbstentfremdung
Das eigentliche Problem ist kein juristisches, sondern eine offenbar weit verbreitete Selbstentfremdung. Pornos kann man überall im Internet finden. Was früher “nur für Erwachsene” war und unter der Ladentheke verkauft wurde, ist heute in allen Varianten nur einen Klick entfernt. Wer denkt, dass Jugendliche nicht danach suchen und sich das nicht anschauen, der glaubt auch noch an die heilige Jungfrau. Jedes Mobiltelefon mit Internetzugang kann ein Pornokino sein.
Wer in jungen Jahren durch wild rammelnde Porno-Darsteller geprägt wird, entwickelt möglicherweise ein sexuelles Selbstbild, dass nichts mit Intimität und selbstbewusster Sexualität zu tun hat. Die Glieder der Männer müssen immer groß und steif sein und die Frauen sind immer willig. Das setzt sowohl junge Männer wie auch junge Frauen unter einen absurden Handlungsdruck, dem manche dann nachgeben. Und nach der Party ist der Kater groß. Die Scham kommt hilflos empor. Die Suche danach, wer verantwortlich gemacht werden kann. Die Fotos und Videos bleiben im Netz und dokumentieren den “Ausfall”.
Klären Sie Ihre Kinder auf oder schämen Sie sich noch?
Haben Sie Kinder? Reden Sie mit diesen darüber, dass die Neugier vielleicht verlockt, sich Filmchen anzuschauen, dass dies aber mit großen Gefahren verbunden ist, ein problematisches Verständnis von Sexualität zu entwickeln? Sind die Internetzugänge zu Hause geschützt, ebenso das Mobiltelefon? Auch in den Haushalten der Freunde, wo ihre Kinder zu Besuch sind? Reden Sie mit anderen Eltern darüber? Oder ist die Scham zu groß? Ihre Kinder tun sowas nicht?
Thematisieren Sie mit Ihren Kindern, dass es ein Recht am persönlichen Bild und Ton gibt? Dass die eigene Sexualität oder die von anderen weder auf eine Motorhaube noch ins Internet gehörten? Thematisieren Sie, dass, nicht alles, was machbar ist, auch gemacht werden sollte? Dass solche Aufnahmen möglicherweise Straftaten darstellen – spätestens dann, wenn diese über entsprechende Dienste verteilt werden? Thematisieren Sie, welche Folgen das haben kann? Juristische wie persönliche? Würden Sie noch jemandem trauen, der Aufnahmen von ihnen in intimen Situationen gemacht hat und diese verteilt? Was macht das mit den betroffenen Personen, wenn solche Aufnahmen “rund” gehen? Wie wirkt sich das auf Schule oder Beruf aus?
Betroffen sind fast ausschließlich Jugendliche und junge Erwachsene.
Das Problem ist Alkohol
Die Bedrohung durch K.-o.-Tropfen ist bei uns auch schon mehrmals thematisiert worden. Heute hat mir ein Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberfranken auf Nachfrage bestätigt, dass kein Fall im Präsidiumsbereich bekannt ist, wo angeblich verabreichte Tropfen nachgewiesen werden konnten:
Was wir in jedem Fall immer nachweisen konnten, war der übermäßige “Genuss” von Alkohol. Wenn da niemand mit klarem Kopf dabei ist, läuft das so ab und dann greift auch keiner ein.
Es sind nicht geheimnisvolle Tropfen, sondern es ist ganz banal Alkoholmissbrauch. Das bestätigt auch das Polizeipräsidium Mannheim – es gab Verdachtsfälle, nie einen Nachweis und immer zu viel Alkohol.
Dazu kommt ein Handlungsdruck, “freizügig” zu sein, statt seine Intimität zu verteidigen. Der eigene Körper, die eigene Sexualität wird erst entwertet und dann deprivatisiert – der öffentliche Kick ersetzt das Kribbeln im Bauch.
-Anzeige- |
Oder Köln – Männer aus muslimischen Gesellschaften mit vollständig verkorksten Sexualvorstellungen, gießen sich einen auf die Lampe und werden zum entfesselten Mob auf Schlampenjagd. (Lesen Sie hier unser Interview mit Julia Neigel: “Die Schwächeren brauchen Schutz” – in diesem Fall waren es Schwächere, in vielen Fällen gibt es aber nicht Täter und Opfer, sondern einfach nur alkoholisiert enthemmte “Teilnehmer”)
Und die Medien – viele machen fröhlich mit. Freilich ohne Aufklärungsdrang, ohne Problematisierung. Es reicht die geile Sensation.
Alle Bereiche der Gesellschaft betroffen
Die ergreift alle Bereiche der Gesellschaft. Jugendliche entdecken sich nicht mehr verliebt, sondern fallen durch enthemmten Parkplatzsex auf. F-Promis schieben mal eben einen Dreier. Oder auch eine enttäuschte Geliebte – Sie erinnern sich an Frau Lamparter? Die 26-Jährige veröffentlichte auf Facebook empörte Schreiben – mit in diesem Fall nicht intimen Fotos, hier reichte die schmutzige Fantasie der Presse aus – an ihren vermeintlichen Ex-Geliebten Alexander Bonde (41), der daraufhin im Frühjahr als grüner Landwirtschaftsminister zurücktrat.
In Mannheim soll angeblich zu Jahresbeginn eine junge Frau vergewaltigt worden sein. Sie selbst machte den Fall über Facebook öffentlich. Löschte die Posts dann wieder. Verstrickte sich in widersprüchlichste Aussagen und zementierte damit nur ihre Unglaubwürdigkeit und öffentliche Enthemmung. Auf die folgte Wut, mal gegen die, mal gegen jene. Irgendeiner muss schuld sein. Es fand sich aber kein Schuldiger – das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.
Ein vollständig absurder Fall, weil die Frau aus Sorge vor Fremdenfeindlichkeit die drei angeblichen Täter nicht als Flüchtlinge “outen” wollte, es dann aber doch tat. Sie kreischte gegen eine erfundene Vergewaltigung, gegen Fremdenfeinde und auch gegen Ausländer, was angeblich wieder falsch verstanden worden ist. Zurück bleibt der Eindruck einer kompletten Orientierungslosigkeit.
Als Journalist stelle ich Öffentlichkeit her – ist es da nicht absurd, wenn ich dazu auffordere, nicht alles öffentlich zu machen? Nein, ist es nicht. Öffentlich soll sein, was tatsächlich von öffentlichem Interesse ist. Private Intimität ist das nicht. Einer der wenigen Fälle, wo eine “Sex”-Geschichte nicht für irgendjemanden negativ ausging, ist das Sex-Video von Paris Hilton. Das ging sogar um die ganze Welt – alle Gazetten ließen sich drüber aus. Das war so gewollt und geplant – Frau Hilton ist ein Profi und nutzte das Video zur geschäftlichen Selbstinszenierung. Das Privatleben solcher Leute wird von diesen selbst öffentlich instrumentalisiert – sofern sie Profis sind, können die meisten gut damit umgehen.
Die 16-Jährige auf dem Parkplatz in Trockau konnte es nicht. Die ehemalige Nachwuchspolitikerin Lamparter ebenso wenig wie die junge Frau aus Mannheim, ebenfalls politisch engagiert. Frau Lohfink kann es auch nicht. Die allermeisten können es nicht und sollten sich und andere nicht in Versuchung führen.
Private Sex-Videos haben eine einzige “befriedigende” Seite
So widerlich Sex-Videos sind, so bedrückend die Folgen für meist alle Beteiligten. Es gibt jemand, für den sie nützlich sind – Strafverfolgungsbehörden.
Im Fall Parkplatz-Sex in Trockau wie auch im Fall Gina-Lisa Lohfink waren die Videos unappetitlich und stellen einen schweren Eingriff in welche wie immer geartete Intimsphäre dar. Aber in beiden Fällen konnte klar nachgewiesen werden, dass eben keine Vergewaltigung vorlag, sondern der Sex einvernehmlich stattfand.
Wie gesagt: Eigentlich hätte das Rheinneckarblog gerne auf Berichterstattung zu Frau Lohfink verzichtet. Sie persönlich ist nicht von öffentlichem Interesse – das Prinzip dahinter schon und wenn sich daraus eine reflektierte Debatte entwickelt, die anderen jungen Menschen die enthemmte Öffentlichkeit erspart, wäre etwas gewonnen.
Schätzen Sie diese Art von Artikeln? Die Transparenz? Die Analyse? Die Haltung?
Dann machen Sie andere Menschen auf unser Angebot aufmerksam. Und unterstützen Sie uns als Mitglied im Förderkreis – Sie spenden für unabhängigen, informativen, hintergründigen Journalismus. Der kostet Geld und ist ohne Geld nicht leistbar. 2016 wird für uns existenziell ein entscheidendes Jahr. Wenn Sie künftig weitere Artikel von uns lesen wollen, dann honorieren Sie bitte unsere Arbeit. Hier geht es zum Förderkreis.” Sie können auch per Paypal spenden. Wenn Sie eine Überweisung tätigen wollen, nutzen Sie das Förderkreis-Formular (erleichtert uns die Verwaltung). Dort können Sie einen Haken setzen, dass Sie nur überweisen wollen. Alle Spender erhalten eine Rechnung.