Rhein-Neckar/Südwesten, 23. November 2018. (red/pro) Im Vorfeld der Kommunal- und Europawahl läuft es für die SPD, euphemistisch ausgedrückt, gar nicht gut. Die aktuelle Mitgliederbefragung? Ein Desaster mit Folgen. Die Aufstellung der Europaliste? Quell des Zorns. Umfrageergebnisse? Im Keller bei 11 Prozent. Die SPD ist eine Partei, die alles richtig machen will. Vielleicht ist das der entscheidende Fehler.
Kommentar: Hardy Prothmann
2016 verlor Dr. Stefan Fulst-Blei (50) das letzte Direktmandat der SPD im Südwesten. Der völlig unbekannte AfD-Kandidat Rüdiger Klos gewann den Mannheimer Norden. Bei der Bundestagswahl 2017 konnte Stefan Rebmann sein Mandat nicht verteidigen, den Wahlkreis Mannheim gewann Nikolas Löbel (32, CDU). Vom geplatzten Schulztraum wollen wir gar nicht mehr reden. Aktuell sieht es schlecht aus für Peter Simon (51) – Platz 28 auf der Europawahlliste heißt, keine Chance auf ein erneutes Mandat für den Europaabgeordneten aus Mannheim. Die Kommunalwahl 2019 hat nur ein Thema: Wie viele Plätze gewinnt die AfD auf Kosten der SPD? Laut Umfragen kommt die SPD im Südwesten aktuell nur noch auf 11 Prozent.
Schlimmer gehts nimmer? Doch, für die SPD geht es immer noch schlimmer. Vor dem morgigen Landesparteitag in Sindelfingen sollten die Mitglieder per Befragung entscheiden, wer die Landes-SPD künftig führen soll. Das Ergebnis ist ein Desaster. Es ging fifty-fifty aus, nun ja, die aktuelle Landeschefin Leni Breymaier (58) erhielt 39 Stimmen mehr als Dr. Lars Castellucci (44): Leni Breymaier 48,46% (9176 Stimmen), Lars Castellucci 48,25% (9137 Stimmen), Enthaltungen 3,29% (623 Stimmen).
Drei Mal musste ausgezählt werden – noch bevor das Ergebnis feststand, zog Frau Breymaier zurück. Der “Verlierer” Castellucci wurde so zum Gewinner – auf kurze Zeit. Denn er bekommt Konkurrenz. Jetzt will der Fraktionschef der SPD im Stuttgarter Landtag, Andreas Stoch (49), ebenfalls kandidieren. Egal wer gewinnt – es wird keinen Gewinner geben, sondern die Zerrissenheit der Südwest-SPD wird nur weiter zementiert.
Ein Dr. Fulst-Blei poltert derweil durch die Medien und hat ein Schlagwort: “Ich bin stinksauer.” Er meint damit die Europawahlliste und seine Bundeschefin Andrea Nahles, die ein eindeutiges Votum der Landesdelegierten für Herrn Simon und Evelyne Gebhardt (64) einfach ignoriere. Zum Zuge kommen soll die Breymaier-Vertraute Luisa Boos (33), ihres Zeichens Generalsekretärin der Südwest-SPD und nur durch Protektion von Frau Breymaier ins Amt gekommen. Die wiederum soll als Mitglied im Bundesvorstand gegen die Platzierungen der Europaliste gestimmt haben.
Die SPD in Mannheim besetzt ihre Kommunalwahlliste streng nach Männlein-Weiblein, mit Migrationshintergrundbeimischung und nicht nach Kompetenzen. Nach Europa sollen mehr Frauen und jüngere Politiker geschickt werden, als wenn das Kompetenzen darstellen würde. Die Partei will sich insgesamt verjüngen, was mit dem 44-jährigen Dr. Castellucci der Fall wäre. Nur, was das mit der Erneuerung bringen soll, bleibt unklar, denn er ist bereits seit 2005 stellvertretender Landesvorsitzender und damit maßgeblich an allem, was seither geschah, beteiligt.
Zwei Jahre Vorsitz von Leni Breymaier haben der Partei im Südwesten nichts gebracht, als noch schlechtere Umfragewerte. 2016 rutschte die Partei um rund zehn Prozentpunkte auf 12,7 Prozent ab, das historisch schlechteste Ergebnis für die Sozialdemokraten in Baden-Württemberg.
Als der neue Juso-Chef Kevin Kühnert im März in Mannheim war, interessierten sich über 250 Teilnehmer für seinen Auftritt, als am selben Tag die SPD zum Kreisparteitag einlud, wo Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz, Leni Breymaier, Dr. Stefan Fulst-Blei wie auch Peter Simon anwesend waren, kamen gerade mal 150 Mitglieder zur “Prominenz”. Wer schon damals nicht verstanden hat, dass etwas gewaltig schief läuft, wird das auch heute nicht verstehen. (Hier ein Tipp: Man schaue sich die Zugriffszahlen auf SPD-Videos an – offensichtlich wird so gut wie niemand erreicht.)
Die SPD (nicht nur) im Südwesten fällt überwiegend durch Beschäftigung mit sich selbst auf und öffentlichen Personaldebatten, Flügelkämpfen – und so wirkt es – Postengeschacher. Führung findet nicht statt. Alles soll basisdemokratisch entschieden werden. Frauen vor, Migranten auch, politische Korrektheit geht über alles. Die SPD will Partei für alle sein und ist es für immer weniger Menschen.
Das Nachahmen der Grünen führt zu Verlusten ähnlich wie bei CDU/CSU, wenn diese die AfD nachmachen wollen. Das klassische Klientel der Arbeiter orientiert sich als “kleiner Mann” schon längst mehr und mehr Richtung AfD. Und wenn es um stabile Wirtschaft geht, traut man der CDU und auch den Grünen mehr zu als der SPD, die jetzt auch noch darüber diskutiert, Hartz IV abschaffen zu wollen.
Wer auch immer morgen das Rennen mach, Castellucci oder Stoch, hat einen massiven Scherbenhaufen zusammenzukehren. Und vor allem eine wichtige Aufgabe: Knallhart durchzugreifen. Innerparteiliche Demokratie mag gut und schön sein, geschlossenes Auftreten mit klaren Zielen, ist schöner und überzeugender. Dabei sollte die SPD sich auf klare Ziele konzentrieren und nicht im Abbruch meinen, es allen recht machen zu müssen. Das wäre dann ein Aufbruch.
Dabei sollte man sich auch auf die Menschen konzentrieren, die Wähler sein können. Das sind immer noch zu gut 90 Prozent Deutsche und nicht im Land lebende Ausländer. Das sind zunehmend mehr ältere Menschen und nicht jüngere. Das sind viele, die langsam aber sicher den Status “Mittelstand” verlieren und sich Sorgen um die Zukunft machen. Das sind junge Familien und Alleinerziehende und nicht überwiegend LSBTTIQ. Wer sich zu viel um Minderheiten kümmert, wird selbst zur Minderheit, hat man den Eindruck. Der demonstrative Kampf gegen eine andere Partei, die mittlerweile viel erfolgreicher ist, ist nicht das, was die Menschen von der SPD erwarten.
Wer sich hingegen “stinksauer” und “maßlos enttäuscht” zeigt, hat nicht verstanden, dass Verlierer nicht zu Siegern werden.