Mannheim, 23. Juli 2014. (red) Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz leitete gestern souverän die konstituierende Sitzung des neuen Gemeinderats, dem erstmals seit den 1970-er Jahren wieder ein Vertreter der NPD angehört. Um einen geordneten Ablauf sicherzustellen, war die Polizei mit rund 40 Beamten sowie Beamten der Abteilung Staatsschutz im Einsatz – denn in Dortmund beispielsweise kam es zu Tumulten. In Mannheim blieb es ruhig – man hofft, dass das so bleibt.
Von Hardy Prothmann
Die Fraktionsvorsitzende und der Oberbürgermeister stellten sich kurz vor der Sitzung Fragen der Presse. Die wichtigste: Wie geht man mit dem NPD-Vertreter Christian Hehl um? Die Antworten gleichen sich: Ignorieren, nicht einbinden, nicht beteiligen.
Doch was, wenn ein vernünftiger Antrag zum Wohl der Stadt und seiner Bürger/innen vom rechtsradikalen Stadtrat kommen sollte? Kann man das auch ignorieren? Grünen-Fraktionschef Dirk Grunert sagt: “Wir werden keinem Antrag der NPD zustimmen”, und SPD-Fraktionschef Rolf Eisenhauer meint: “In einem solchen Fall kann ein Antrag auch von anderen Stadträten gestellt werden.”
Wie wird sich Hehl verhalten?
Noch ist völlig unklar, ob und wie sich der NPD-Stadtrat Hehl “einbringen” wird. Gestern saß er in einem schlecht sitzenden Anzug an seinem Platz und spielte die meiste Zeit mit seinem Handy. Man hatte den Eindruck, als warte er auf “Instruktionen”. Einmal schlug er sich selbst für den Sportausschuss vor, um dann “gegen sich” abzustimmen.
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz leitete die Sitzung souverän und bezog auch Stellung zum rechtsradikalen Vertreter: Nicht der Mensch würde abgelehnt, wohl aber die menschenverachtende Ideologie. Die damit verbundene Hoffnung, ein Christian Hehl könne im Laufe der kommenden fünf Jahre seine Haltung verändern, muss man sich nicht machen. Der Oberbürgermeister verpflichtete die Gemeinderäte mit ihrem Bekenntnis zur Treue der Verfassung und des eigenen Gewissens.
Viel eher hofft man wie sein Tischnachbar Wolfgang Taubert (Mittelstand für Mannheim) darauf, dass er einfach nicht erscheint. Dazu ist er aber verpflichtet.
160 Zuschauer, ganz überwiegend über das Bündnis gegen Rechts organisiert, besetzten den Zuschauerrang bis zum letzten Platz. Trotzdem hatten es einige Rechtsradikale, darunter der Kreisvorsitzende Jan Jaeschke, ebenfalls in den Zuschauerbereich geschafft. Vor dem Ratssaal kontrollierte die Polizei die Besucher – eine Person durfte nicht durch, da sie sich weigerte, eine Wasserflasche abzugeben – die hätte ein mögliches Wurfgeschoss sein können.
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz zog die Sitzung zügig durch und behandelte die Formalitäten routiniert. Ausschüsse, Aufsichtsräte und Beiräte wurden wie in der Sitzungsvorlage vorgeschlagen gewählt – bis auf drei Ausschüsse, wo Herr Hehl durch Gegenstimme eine förmliche Abstimmung nötig machte. Anträge aus dem Gemeinderat wurden in die entsprechenden Ausschüsse verwiesen.
Vorbildlichkeit gefragt
Bei aller Souveränität des Oberbürgermeisters störte es doch, dass Beifall der Bürger nach der Ansprache des Oberbürgermeisters oder das Zeigen von Plakaten nicht zu einem Ordnungsruf des Oberbürgermeisters führten: Beides ist nicht gestattet und sollte auch nicht als “Ausnahme” dann gelten dürfen, wenn es gerade “gefällt” und nur mit einem Hinweis abgetan werden, “das sei unüblich”.
Das wird die vordringlichste Herausforderung für die Verwaltung und den Gemeinderat sein: Sich durchweg vorbildlich demokratisch zu verhalten und den Vertreter der verfassungsfeindlichen NPD mit politischen Mitteln zu bekämpfen. Achtung und Rechtstreue vor der Verfassung setzen voraus, das man keine Willkür walten lässt – selbst nicht, wenn man von sich glaubt, sich für “die gute Sache” einzusetzen. So gesehen hat der “Störer” unter Umständen sogar eine positive Funktion – den Rest des Gremiums zu sensibilisieren. Doch statt mit souveräner Ruhe zu reagieren, wird gegen ein demokratisch gewähltes Gemeinderatsmitglied dauerdemonstriert und sogar bis vor seine Wohnung gezogen – eine Aufmerksamkeit, die ein Mann ohne jegliches politisches Wirken eigentlich nicht verdient hat.
Wer behauptet, die Wahl des NPD-Vertreters habe keine Auswirkungen auf die Arbeit des Gemeinderats, sagt nur die halbe Wahrheit. Die “gute Sache” sind unsere Verfassung und die Rechtsstaatlichkeit. Die Gemeinde hat weitreichende Möglichkeiten durch den Grundsatz der Selbstverwaltung – Christian Hehl hat durch Änderungen der Geschäftsordnung und Hauptsatzung bereits wie andere Einzelstadträte oder solchen, die keine Fraktion bilden können, früher zugestandene Unterstützungen versagt bekommen, die aber auch andere einschränken. Das ist nach der Gemeindeordnung möglich und das kann man aushalten, ist natürlich aber kein guter Zustand. Man hat sich selbst beschnitten – was aber das kleinere Übel darstellt.
Konservatives bis rechtsextremes Potenzial
Auch der Verweis auf nur 1,1 Prozent der Stimmen, die der NPD nach dem neuen Verfahren einen Sitz einbrachte, geht fehl. Das Verfahren wird auch in Zukunft kleinere Parteien oder Wählervereinigungen begünstigen. Es gibt ein rechtes Potenzial – nicht nur in Mannheim, sondern überall im Land. Nach aktuellen Studien hat ein Viertel aller Deutschen fremdenfeindliche Einstellungen, quer durch alle Berufs- und Altersgruppen, dazu kommen antisemitische Einstellungen insbesondere bei radikalen Moslems. Rechtsradikal, verfassungs- und menschenfeindlich ist nicht nur die NPD. Auch Rassismus ist keine Exklusiveigenschaft der Mini-Partei.
Der NPD-Sitz kann geeignet sein, das rechtsextreme Lager zu stärken – das sollte man nicht unterschätzen. Und die großen Parteien CDU und SPD verlieren seit Jahren deutlich an Zustimmung. Hier muss man sich also an die eigene Nasenspitze fassen und Wege finden, die politische Partizipation der Bevölkerung auch außerhalb von “Aufregerthemen” zu stützen. Insbesondere die Entwicklung der konservativen AfD, die immerhin vier Sitze im Mannheimer Gemeinderat und damit Fraktionsstärke hat, gilt es zu verfolgen, rekrutiert die neue Partei doch fast zur Hälfte ihre Mitglieder aus “alten” Parteien, die sich weder bei SPD noch bei CDU zu Hause fühlen.
Skandal bleibt aus
Dirk Grunert meint, er werde sich anschauen, wie die AfD sich verhält, sei aber sehr skeptisch, weil er ein starkes rechtes Potenzial sieht: “Trotzdem muss man die beiden unterscheiden, um die NPD nicht aus dem Fokus zu verlieren.” Das ist ein richtiger Ansatz: Unterscheiden. Das heißt, differenzieren und kritisch sein. Kritik heißt wörtlich “unterscheiden”. Ignoranz kommt übrigens von ignorantia, Unwissenheit. Die Verbform lautet ignorare, nicht wissen oder nicht wissen wollen. Das sollte sich keine starke Demokratie bewusst leisten wollen.
Insbesondere Medien in Zusammenspiel mit der Politik sollten von den Menschen ebenfalls kritisch beobachtet werden. Wenn man den Auftrieb der Fotografen und Reporter gestern erlebte, dann war klar, dass es eine große Erwartungshaltung, wenn nicht sogar Hoffnung gab, es möge doch bitte ein schöner Skandal passieren, damit man reißende Schlagzeilen und “ausdrucksstarke” Bilder veröffentlichen kann. Der Vertreter der Rhein-Neckar-Zeitung verließ die Sitzung vorzeitig mit den Worten: “Ich hätte mir das spannender vorgestellt, das ist ja voll langweilig.” Wie schade für die entgangene Schlagzeile.