Mannheim, 23. Juni 2014. (red/ld) An einem internationalen Campus wie der Universität Mannheim kommt Diskriminierung nicht vor, sollte man meinen. Sie sei zwar selten, aber sie passiere, sagt Farah Ahdour, die das Fotoprojekt „#AuchichbinDeutschland“ an die Uni Mannheim geholt hat und darin 30 Komiliton/innen über die Vorurteile berichten lässt, denen sie im Alltag begegnen. Dabei seien Vorurteile eigentlich normal, sagt sie. Man müsse sich ihrer aber bewusst sein und sie hinterfragen.
Von Lydia Dartsch
„Wissen Deine Eltern, dass Du hier bist?“ steht auf dem Schild, das Farah Ahdour auf dem Foto in der Hand hält. Auf einer Erstsemester-Party sei sie gefragt worden. Sie habe damals gelacht und zurückgefragt, ob dessen Eltern wüssten, dass er dort sei: „Das Gespräch war danach schnell beendet“, sagt sie. Vorurteile wie dieses, dass ihre marokkanischen Eltern sehr streng seien, begegne sie hin und wieder. Die Regel sei es aber nicht. Wenn sie sich gegen Vorurteile wie dieses wehrt, gab es schon die Aussage: „Du bist ja eine Ausnahme.“ Wenn sie auf die Frage nach ihrer Herkunft „Düsseldorf“ antwortet, fragen manche: „Nein, woher kommst Du wirklich?“.
Vorurteile wie diese basieren auf ihrem Aussehen: Braune Augen, dunkelbraune, lockige Haare. Farah Ahdour ist 21 Jahre alt und in Deutschland geboren und fühlt sich eher deutsch als marokkanisch: „Eigentlich mag ich dieses Denken in Nationalitäten nicht besonders. Ich bin einfach Farah“, sagt sie. In Mannheim studiert sie Politikwissenschaft und Öffentliches Recht. Ihre Eltern kommen aus Marokko. Dort leben die meisten ihrer Onkels, Tanten und ihre Großeltern. Länger als einen Sommerurlaub halte sie es nicht dort aus, sagt sie: „Nach sechs Wochen Urlaub ist es auch wieder Zeit, nach hause zu fahren“, sagt sie und meint damit Mannheim. Sie ist Stipendiatin der Deutschlandstiftung Integration. Als Muslima besuchte sie in der Schule den katholischen Religionsiunterricht, weil sie das Fach Philosophie nicht interessiert habe – eine Entscheidung, die ungewöhnlich erscheint und nicht in Vorurteile gegen Muslime passt. Von ihrem Aussehen auf die Beziehung zu ihren Eltern zu schließen, sei daher schon sehr persönlich, sagt sie.
Mein Handeln soll schließlich an meiner Person gemessen werden, und nicht an meinem Äußeren oder der Herkunft meiner Eltern.
Auf Anfrage der Deutschlandstiftung Integration war Frau Ahdour auf die Aktion der Elite-Unis Oxford und Harvard aufmerksam geworden, in denen Studenten die Vorurteile auf Schildern zeigen, denen sie im Uni-Alltag begegnen: „I, too, am Harvard“ und „I, too, am Oxford“ hießen diese Aktionen. Die Deutschlandstiftung Integration griff die Idee auf und fragte Frau Ahdour, ob sie für das dadurch inspirierte Projekt #AuchichbinDeutschland an der Universität Mannheim Komiliton/innen fotografieren wollte.
Ziel sei es aufzuzeigen, dass Menschen, die hier geboren oder aufgewachsen sind, von Teilen der Gesellschaft nicht als „Deutsche“ wahrgenommen werden, weil sie „anders“ aussehen oder einen „untypischen Namen“ haben, heißt es zu dem Projekt auf der Internetseite des Fotoblogs. Zudem soll #AuchichbinDeutschland verdeutlichen, dass Deutschland und „Deutschsein“ sich wandeln und die verbreiteten „ethnischen“ Zuschreibungskriterien nicht mehr die demografische Realität widerspiegeln. Dabei sei das Projekt nicht auf Universitäten beschränkt, sagt der Projektverantwortliche N. Cahsai von der Deutschlandstiftung Integration. Man habe das Projekt an den Universitäten angestoßen, weil die Stiftung dort besser vernetzt sei, sagt er.
Farah Ahdour war von dem Projekt begeistert und sagte zu: „Meine Freundin und ich konnten uns sofort mit den Fotos identifizieren.“ Einen Tag lang stellten sich Farah Ahdour und eine Mitstipendiatin vor knapp einem Monat mit Kamera und Schildern in den Ehrenhof des Mannheimer Schlosses und baten Komiliton/innen, sich fotografieren zu lassen. Gut 30 Studenten haben mitgemacht: „Bist Du Chinesin?“ steht auf dem Schild einer asiatisch aussehenden Frau.
Eine andere Frau hält ein Schild mit der Aufschrift „Du bist Afghanin. Ist Dein Vater Taliban?“. Die Fotos haben sie auf das Blog „#AuchichbinDeutschland“ hochgeladen, an dem sich auch die Universitäten in Berlin, Braunschweig, Friedrichshafen, Köln und Marburg mit Fotos beteiligen. In der kommenden Woche werde es eine Aktion in Aachen geben, sagt N. Cahsai von der Deutschlandstiftung Integration.
Die Universität Mannheim hatte die beiden Frauen dabei unterstützt und dazu aufgerufen, sich an der Aktion zu beteiligen. Diskriminierung sei ein deutschlandweites Phänomen und finde auch an der Universität Mannheim statt, schreibt Alexandra Raquet, Leiterin der Stabsstelle Gleichstellung und soziale Vielfalt auf unsere Anfrage. Dabei betreffe Diskriminierung auch Menschen mit Behinderung sowie Menschen einer bestimmten sozialen Herkunft, eines bestimmten Geschlechts, einer sexuellen Orientierung, Alter. „Diskriminierung kann bewusst oder unbewusst geschehen. Oft ist sie eine Folge von Unwissenheit oder Ignoranz“, schreibt uns Frau Raquet.
„Vielen Menschen sind ihre Vorurteile nicht bewusst“
Allerdings seien diskriminierende Äußerungen, wie sie auf den Fotos geschildert werden, selten, sagt Farah Ahdour. Und wenn, dann höre sie die von Komiliton/innen. Bisher nie von Dozenten, sagt sie. Das sei an ihrer Schule anders gewesen. Als sie einmal mit ihrem Religionslehrer über eine Note diskutiert hatte, habe dieser zu ihr gesagt: „Frau Ahdour, wir sind hier nicht auf dem Basar.“ Wenn es im Unterricht um Themen wie Islam, Integration oder Terrorismus ging, sei die Erwartung ihrer Mitschüler und Lehrer meist gewesen, dass sie etwas dazu sagen könne: „Da drehten sich die Köpfe automatisch zu mir um, als müsste ich etwas dazu sagen können“, sagt Frau Ahdour.
„Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass ihre Aussagen vorurteilsbehaftet sind“, sagt sie. Dass Menschen Vorurteile gegenüber anderen Menschen haben, sei aber ganz normal, sagt sie. Daher es sei es wichtig, sich dessen bewusst zu sein, und miteinander darüber zu sprechen. Nach der Foto-Aktion habe sie viele Gespräche geführt und sei oft darauf angesprochen worden, sagt sie. Vor allem über Facebook. Diese Resonanz sei sehr positiv gewesen.
Doch es habe auch negative Reaktionen von ihren Komiliton/innen gegeben, sagt sie: „Die Kampagne ist ja eigentlich lustig gemacht und ich kann auch über solche Vorurteile lachen, weil ich mir dessen bewusst bin, dass es Vorurteile sind.“ Trotzdem hätten sich Studenten gerade durch diese Kampagne zu Diskriminierenden vorverurteilt und diskriminiert gefühlt, sagt sie. Dies sei nicht beabsichtigt.
Denn insgesamt fühle sie sich in der Stadt und an der Universität wohl und angenommen: „Die Internationalität und Multikulturalität wird in Mannheim richtig gelebt“, sagt sie. Das gefalle ihr hier. Eine ähnliche Fotoaktion in der Stadt könne sie sich gut vorstellen. Auch wenn das Fotoprojekt auf dem Uni-Campus abgeschlossen ist: Die Aktion #AuchichbinDeutschland sei noch am laufen und solle auch in die Städte getragen werden, sagt N. Cahsai. Internetnutzer können weiterhin Fotos von sich auf die Seite hochladen oder per email schicken.