Rhein-Neckar, 23. November 2015. (red) Die Polizei, genauer, Polizeibeamte sind im Fokus der Kritik nach dem Bundesparteitag der NPD in Weinheim. Ihnen wird „Polizeigewalt“ vorgeworfen. „Unverhältnismäßigkeit“. Die Stimmen der Kritik kommen von antifaschistischer Seite, aber auch aus den Reihen der SPD, der Jusos, der Grünen und Die Linke. Was für ein „falscher Film“ läuft hier eigentlich und wer will wen verarschen?
Von Hardy Prothmann
Anm. d. Red.: Wir bringen immer wieder Artikel, bei denen wir lange Texte mit wenigen Bildern veröffentlichen. Lesen Sie den Text, machen Sie sich Gedanken, kommentieren Sie, stellen Sie Fragen. Wir machen kein Take-away-Billig-Produkt, sondern inhaltlich-wertvollen Journalismus unter Beteiligung der Leser/innen.
Stellen Sie sich mal vor, ein Nachbar bittet Sie, etwas zu beaufsichtigen. Dann kommt jemand, spuckt Ihnen vor die Füße, heißt Sie ein Arschloch und noch andere Dinge und geht Sie dann an. Was würden Sie tun? Mal eine Runde Verständnis verteilen? Einen Blumenkranz binden?
Stellen Sie sich vor…
Stellen Sie sich vor, dass die Regeln klar bekannt sind, warum Sie etwas beaufsichtigen. Warum Sie etwas tun, worauf Sie keinen Bock haben, was Sie aber tun müssen, damit die Regeln eingehalten werden.
Stellen Sie sich vor, Sie seien ein Polizist. Einer, dem qua Verfassung die Ausübung staatlicher „Gewalt“ übertragen worden ist. Und stellen Sie sich vor, dass Sie diese ausüben. Sie sagen an, was geht und was nicht geht. Und Sie wissen, dass Sie verantwortlich sind.

Was? Soll? Das? Foto: privat
Stellen Sie sich vor, dass Sie mit Menschen zu tun haben werden, die den Staat ablehnen. Und zwar mit Gewalt. Die nichts von dem teilen, an das Sie glauben. Die das aber tun, weil der Staat, den diese Menschen ablehnen, diesen Menschen in gewissen Rahmen das erlaubt, woran Sie glauben.
Und dann stellen Sie sich vor, dass jemand vermummt vor Ihnen steht und „Scheiß-Bulle“ und andere Despektierlichkeiten äußert. Stellen Sie sich vor, dass jemand mit Steinen auf Sie wirft und einkalkuliert, dass Sie verletzt werden. Nicht durch einen blauen Fleck, sondern schwer.
Scheiß-Bullen und der Eid
Stellen Sie sich vor, dass Sie nur ein „Scheiß-Bulle“ sind. Stellen Sie sich vor, dass Sie einen Eid auf die Bundesrepublik Deutschland geschworen haben. Stellen Sie sich vor, dass Sie bei mäßiger (aber sicherer) Bezahlung, Ihre körperliche Unversehrtheit riskieren, weil Sie im Einsatz für den Staat sind und irgendein hormongesteuerter Jugendlicher meint, mal eben Artikel 2 Grundgesetz ignorieren zu müssen, um den Scheiß-Bullen zu verletzen.
Vollständig unabhängig von Ihrer politischen Überzeugung. Stellen Sie sich vor, dass Sie für Ordnung sorgen müssen und Sie aggressiven Menschen gegenüberstehen, die bereit sind, Sie selbst zu verletzten, nur weil Sie für Ordnung sorgen müssen.
Stellen Sie sich vor, Sie seien Polizist. Wenn Ihnen diese „Vorstellung“ gelingt, haben Sie eine ungefähre Ahnung davon, was Polizisten in diesem Land leisten müssen. Sie haben dann noch überhaupt keine Ahnung davon, was diese Polizisten tatsächlich mehr leisten müssen. Stellen Sie sich vor, welche „Bürokratie“ jeder Einsatz erfordert. Und Sie haben noch keine Vorstellung davon, dass „die“, mit denen Sie häufiger zu tun haben, möglicherweise bessere Rechtsanwälte haben, als Sie und Ihr Arbeitgeber sich leisten können.

Es ist kein „blöder Scherz“, sondern eine „Kampfansage“.
Stellen Sie sich vor, dass Sie in einen Einsatz geschickt werden, bei dem von vorneherein klar ist, wer die „Arschkarte“ hat. Stellen Sie sich vor, dass Sie öffentlich in erheblichem Maß als „Gewalttäter“ dargestellt werden – auch, wenn Sie gar nicht im Einsatz waren.
Und wenn Sie im Einsatz waren: Stellen Sie sich vor, wie es danach ist. Sie, der Sie „Faschisten beschützt“ haben, stundenlang gesichert haben, beschimpft worden sind, in den Einsatz mussten, durchgreifen mussten. Stellen Sie sich vor, wie Sie nach all diesem Hass, der Konfrontation mit Ihrer Frau, Ihrem Mann und Ihren Kindern „heile Welt“ erleben.
Stellen Sie sich das vor, was Polizisten aushalten müssen.
Scheiß-Überzeugung?
Stellen Sie sich vor, dass Sie, obwohl Sie für sich absolut überzeugt vom Rechtsstaat sind und diesen mit Ihrem Einsatz, körperlich wie geistig, verteidigen wollen, von sehr vielen Menschen gehasst werden.
Stellen Sie sich vor, jemand fragt Sie: „Woher kommt der Hass?“ Und Sie sagen ehrlich: „Keine Ahnung, der ist einfach da.“
Dann wissen Sie vermutlich, wovon Sie reden. Vermutlich sind Sie Polizist.
Stellen Sie sich vor, dass Sie gut damit zurechtkommen, weil Sie viele Erklärungen haben – Jugend, die suchen noch Orientierung oder Ähnliches.
Das müssen Sie sich nicht vorstellen als Polizist. Das ist so.
Stellen Sie sich vor, dass Sie und Ihr Einsatz für den Rechtsstaat systematisch und institutionell missachtet werden und Sie persönlich als einer von vielen in immer härteren Auseinandersetzungen „Ihre Haut“ riskieren. Dann ist das ein treffliche Beschreibung der Situation.
Danke – an alle
Ich bedanke mich bei sehr vielen Polizeibeamten, die den Kontakt gesucht haben und Ihre „Befindlichkeiten“ vertrauensvoll geäußert haben.
Kein Beamter hat die NPD gerne „beschützt“, aber alle haben Artikel 8 GG verteidigt. Meinen Respekt dafür. Kein Beamter hat einen Faschisten beschützt, sondern alle Beamten das Grundgesetz. Und auch Artikel 5 GG wurde hervorragend geschützt.
Ich war als Reporter schon auf vielen Demos – im In- und Ausland. Ich war in Krisengebieten. Im Ausnahmezustand.
Und es ich für mich unvorstellbar, dass ein „schwarzer Block“ durch Kairo oder Damaskus marschiert, Polizisten provoziert und hinterher über soziale Netzwerke jammert, wie „schlimm“ die selbst provozierte „Polizeigewalt“ war. Dort hätte der „schwarze Block“ eine Gewalt erlebt, von der diese jugendlichen Verwirrten keine Ahnung haben. Dort wären viele hinterher tot gewesen. Dort hätte es keine geordneten Verfahren gegeben.
Wo bleibt die Bestätigung?
Ich stelle mir vor, dass die Polizei für die Verteidigung von Grundrechten gelobt und verteidigt wird. Ich stelle mir vor, dass die Landtagsabgeordneten Gerhard Kleinböck (SPD), Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) und Georg Wacker (CDU) die Polizisten für ihren selbstlosen Einsatz loben und wertschätzen.
Ebenso erwarte ich Wertschätzung durch die Stadt und ihre Vertreter, insbesondere Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) und Dr. Torsten Fetzner, Erster Bürgermeister.
Stellen Sie sich vor, dieser Respekt und diese Wertschätzung würde den Polizeibeamten nicht entgegen gebracht. Wofür sollten die sich in Zukunft einsetzen?
Und ich erwarte von Jusos und anderen Jungorganisationen ebenso ein kritisches, aber respektvolles und verantwortliches Verhalten.
Stellen Sie sich einen „Juso“ vor, der einem ihm unbekanntem Polizeibeamten „aus Prinzip“ sagt – alle Polizisten sind Bastarde.
Stellen Sie sich das vor. Als Polizist. Als Provokateur. Als Bürger. Als Mensch.

Drogen-Razzia in der Pyramidenstraße, Landeserstaufnahmeeinrichtung in Mannheim. Geordnet, angemessen, sinnvoll. Insbesondere der grüne Landtagskandidat Gerhard Fontagnier meinte, diese Polizeiaktion sei geeignet für fremdenfeindliche Vorurteile. Archivbild
Polizisten sind Menschen – wer weiß das schon?
Stellen Sie sich mal vor, dass Polizisten „Staatsdiener“ sind, die handeln müssen. Und weiter stellen Sie sich vor, dass Polizisten auch Menschen sind. Privat und mit Gefühlen.
Stellen Sie sich vor, dass wir mit vielen Polizisten reden. Und stellen Sie sich vor, dass die allermeisten für ihre Aufgabe glühen. Aber stellen Sie sich auch vor, dass viele große Sorgen haben, weil sie nicht wissen, wie sie „das alles schaffen“ sollen.
Und dann stellen Sie sich vor, wie Leute vor Ihnen stehen, die „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“ gröhlen. Dumm. Ahnungslos. Provokant. Gewaltbereit.
Stellen Sie sich vor, dass Sie gerade in der Nacht zuvor in einer Flüchtlingsunterkunft Streit geschlichtet haben. Danach ein Verkehrsunfall. Dann eine Schlägerei von Besoffenen. Dann ein Familiendrama, Kinder in Angst. Und dann eine Dienstaufsichtbeschwerde auf dem Tisch, weil Sie jemanden nicht in eine Straße gelassen haben.
Stellen Sie sich all das vor. Und dann überlegen Sie sich, was für Leute das sind, die gerne Polizisten sind.
Und dann stellen Sie sich vor, wie Sie darauf reagieren würden, wenn Ihnen jemand so die Hauswand der Arbeitsstätte vollmüllt. Sie zum Nazi macht. Sie vorsätzlich verunglimpft, weil Sie an den Rechtsstaat glauben und ihn verteidigen.
Stellen Sie sich vor, Sie seien Polizist. Von Ihnen wird erwartet, dass Sie das „wegstecken“.
Das tun Sie – selbstverständlich. Und stellen Sie sich vor, dass immer weniger vor Ihrer Haltung Respekt haben.
Dann wissen Sie, was es heißt, Polizist zu sein.
Wir haben Respekt. Und wir gehen davon aus, dass auch die meisten unserer Leser/innen froh sind, dass es diese aufrechten Menschen gibt, deren Job es ist, Polizist zu sein.
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