Mannheim/Stuttgart/Berlin, 23. September 2014. (red/pm) „Kretschi“ hat es gemacht und bei den Grünen knirscht es bundesweit. Der baden-württembergische Ministerpräsident hat Verbesserungen für anerkannte Flüchtlinge ausgehandelt – zu Lasten der Roma aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien. Doch ist die viel diskutierte Entscheidung Augenwischerei. Es ändert sich auf absehbare Zeit wenig – wenn nicht schnell strukturelle Lösungen gesucht werden.
Von Hardy Prothmann
Das Problem der „langen Verfahrensdauer“ ist zumindest in Sachen Roma aus „sicheren Drittländern“ demnächst formal gelöst. Thorsten Denkler schreibt in der Süddeutschen Zeitung:
Dass sie sozial diskriminiert werden, steht außer Frage, ist aber kein Asylgrund.
Damit hat er Recht. Dafür spricht die niedrige Anerkennungsquote von 0,3 Prozent. Selbst, wenn man weitere Fälle mit einrechnet, wie das im Migazin zu lesen ist, bleibt die Anerkennungsquote sehr niedrig. Doch die Argumentation, dass die Roma anderen die Plätze wegnehmen, ist geradezu zynisch: Es werden keine Plätze weggenommen, es sind viel zu wenig Plätze vorhanden. Und das Recht auf einen Antrag bleibt bestehen – Roma aus den Ländern Ex-Jugoslawiens werden künftig nur schneller abgelehnt. Zumindest wird das versprochen – ob dem auch so ist?
Zu wenig Mittel vom Bund
Bislang leiden die Länder und Kommunen unter dem mangelnden Willen der Bundesregierung, endlich die Verfahren zu beschleunigen und genug Mittel zur Verfügung zu stellen. Umgekehrt fehlen aber Zahlen, was man denn an Geld braucht. Ende September soll es endlich „brauchbare Zahlen“ geben, die vermutlich aber noch bereinigt werden müssen und dann Ende Oktober eine Diskussionsgrundlage sind, um ungefähr zu wissen, wie hoch die Belastungen der Stadt- und Landkreise sind.
50 Millionen Euro war mal so eine Zahl für 2012. Aber seitdem steigen die Zahlen der Flüchtlinge stark an, Unterbringungsraum wird immer knapper, die Preise galoppieren und auch die Behandlungskosten explodieren,
sagt Dietmar Herdes, Sozialdezernent beim Landkreistag Baden-Württemberg. Die 50 Millionen, die durchaus längst eine dreistellige Zahl sein können, gelten nur für die 35 Landkreise, nicht für die kreisfreien Städte.
Der Mann kennt die Sorgen der Landratsämter, mahnt aber auch an:
Man kann jetzt Fragen stellen, ob es klug war, gewisse Immobilien aufzugeben. Und warum man das Problem unterschätzt hat. Klar ist, die Belastungen werden steigen und man muss Vieles gleichzeitig angehen – aber vermutlich ist der Druck doch noch nicht hoch genug. Ohne dass der Bund Geld in die Hand nimmt, wird es nicht gehen.
Längst wird diskutiert, ob man Flüchtlinge nicht auch in Gewerbegebieten unterbringen kann – dieses Jahr hat das Verwaltungsgericht das mit Hinweis auf das geltende Baurecht in Karlsruhe und Fellbach bereits untersagt. Der Landtagsabgeordnete Hans-Ulrich Sckerl deutete uns gegenüber an, dass nach einer Ausnahmelösung gesucht wird, um Menschen auch in Gewerbegebieten unterzubringen.
Hauptherkunftsländer laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge liegen folgende Zahlen vor:
Nr. | Land | Jan.-August 2013 | Jan.-August 2014 |
---|---|---|---|
1. | Syrien | 7.063 | 20.184 |
2. | Serbien | 7.917 | 14.362 |
3. | Eritrea | 714 | 7.931 |
4. | Afghanistan | 5.153 | 6.064 |
5. | Irak | 2.678 | 5.547 |
6. | Mazedonien | 4.115 | 5.426 |
7. | Albanien | 485 | 5.257 |
8. | Bosnien-Herzegowina | 1.834 | 4.919 |
9. | Somalia | 1.832 | 3.872 |
10. | Russische Föderation | 12.959 | 3.804 |
Verbesserung sorgt für Verschlechterung
Ausgerechnet die „Verbesserung“ der Lebensumstände verstärkt den Druck auf die Land- und Stadtkreise, denn ab 2016 stehen Asylbewerbern 7 statt wie bisher 4,5 Quadratmeter zur Verfügung. Die Raumnot wird so fast verdoppelt – mal abgesehen davon, dass 7 Quadratmeter alles, aber sicher kein Luxus sind. Man stelle sich das vor – drei Personen über lange Zeit in einem Raum von 21 Quadratmetern. Für deutsche Verhältnisse unzumutbar.
Und die medizinischen Kosten explodieren – insbesondere durch Kriegsflüchtlinge, die häufig traumatisiert sind und Hilfe brauchen. Auch die soziale Betreuung muss auf den Prüfstand. Bislang gilt der Schlüssel ein Sozialarbeiter auf 130 Flüchtlinge – ob sich das halten lässt, ist äußert fraglich.
Je nach Kommune kommen Bürgerbeteiligungsverfahren hinzu, die die Unterbringung teils enorm verzögert. Weinheim ist ein „gutes“ Beispiel: Hier gab und gibt es viel Ärger wegen zwei Standorten mit bis zu 100 Flüchtlingen. Und es gibt Gemeinden, die sich wegducken, keine Angebote machen und hoffen, dass der Kelch an ihnen vorübergeht:
Sicher gibt es sture Bürgermeister, die denken, sie könnten das aussitzen – aber das wird nicht mehr lange möglich sein.
Beschlagnahmen sind dann möglicherweise die Folge: Für die öffentliche Stimmung kein gutes Bild, für die Menschen, die in Turnhallen untergebracht werden, unwürdige Zustände.
Bauleitpläne, Kopfpauschlen – alles muss schnell geprüft werden
Das Problem ist, dass die meisten Landkreise es handwerklich drauf haben, die Flüchtlinge unterzubringen, aber nicht genug eigene Liegenschaften und Immobilien besitzen. Deshalb müssen die Gemeinden mitmachen, um entsprechende Bauleitplanungen zu machen.
Das würde schon vor einer Ausnahmeregelung Entlastung bringen, denn wenn Gemeinden in ihren Gewerbegebieten Flächen umwidmen, ist auch eine „Bewohnung“ möglich – nichts anderes passiert in Weinheim an der Heppenheimer Straße. Hier wird eine Gewerbegebiet-Liegenschaft in ein Wohngebiet umgewidmet. Allerdings mit entsprechend langem bürokratischem Planungs- und Entscheidungsaufwand.
Die Landesregierung erhöht die Kopfpauschalen – das sieht vordergründig gut aus, tatsächlich, so heißt es aus den Landkreisen, reicht das Geld nicht. Da die Menschen untergebracht werden müssen, können andere Projekte in den Kreisen vielleicht nicht finanziert werden. Das wird für Unmut sorgen – der Kampf um’s Geld wird im Zweifel den Asylbewerbern angelastet: Wären die nicht da, hätte man das Geld für andere Projekte. Aber die Pflicht zur Aufnahme bleibt bestehen – gesetzlich und auch humanitär.
Asylbewerber bringen auch Kaufkraft
Klar – es ist schwer planbar, wie viel Raum vorgehalten werden muss, um einzelne Spitzen abzufedern. Aber der Trend der erhöhten Asylgesuche wird sich noch ausweiten. Die Lagen in Ländern wie Syrien, Nord-Irak, Afghanistan, Somalia und Eritrea werden künftig tendenziell noch schlechter werden. Und diese Menschen werden mindestens geduldet – und zwar über viele Jahre.
Hier könnten neue Regelungen zum Eintritt in den Arbeitsmarkt entlasten – wenn es denn zügig geht. Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen, die Asyl erhalten, schnell in die Sozialsystem als Einzahler reinkommen. Sie wollen und müssen sich ein neues Leben aufbauen. Und sie werden von Deutschland benötigt, denn der demografische Wandel ist in vollem Gange.
Dietmar Herdes sieht insbesondere für hochverdichtete Gebiete wie Städte wie auch einen bevölkerungsreichen Rhein-Neckar-Kreis große Probleme – auch politischer Art – wenn der Bund die Länder nicht besser unterstützt:
Wir müssen zusammen schnell pragmatische Lösungen finden, wenn wir handlungsfähig bleiben wollen.
Politischer Umgang muss besser werden
Und insbesondere der politische Umgang mit Asylbewerbern muss einen anderen Zungenschlag bekommen:
Klar sind die Menschen erstmal eine organisatorische und finanzielle Belastung. Aber sie bringen auch Geld durch die Kaufkraft, die mit ihnen einhergeht.
Integrationsprobleme machen vor allem die langen Verfahren – sie behindern die Motivation der Asylbewerber, sich einzubringen. Ein Schlüssel für Integration ist Bildung – im Container in beengten Verhältnissen mit Eltern, die nicht wissen, was die Zukunft bringt, ob sie bleiben dürfen oder nicht, lernt es sich für die Kinder schlechter.
23.000 Menschen wird Baden-Württemberg dieses Jahr aufnehmen – angesichts von 10,5 Millionen Einwohnern ist das eine sehr überschaubare Belastung. Die neuen Regeln eines schnelleren Zugangs zum Arbeitsmarkt und die Möglichkeit, sich über die Landesgrenzen hinweg zu bewegen, wird die Situation der Flüchtlinge dynamischer machen.
Doch dass man nun die Roma ausgesperrt hat, die trotzdem weiter kommen werden, ändert nichts an vielen strukturellen Baustellen, die auf Abwehrmechanismen aufgebaut sind – weil die Haltung dahinter „strukturell rassistisch“ ist, wie jemand aus der Flüchtlingsnothilfe sagt. Die Politiker dürfen nicht nur von den Bürgern mehr Toleranz gegenüber Flüchtlingen erwarten – sie sollten in den Spiegel schauen und überlegen, ob sie auch ihren Teil beitragen, um die Situation für die Flüchtlinge und die eigene Bevölkerung zu verbessern. Und das geht nur mit schnelleren Verfahren und dem Willen, die Menschen, die hierbleiben werden, schneller zu integrieren.