Ladenburg, 22. Januar 2014. (red/ld) Die Vorratsdatenspeicherung, die in Frankreich angewendet wird, hat die Terroranschläge von Paris nicht verhindert. In aktuellen Debatten fordern viele Politiker dennoch ihre Wiedereinführung in Deutschland und sogar Speicherungen über einen verlängeren Zeitraum. „Das ist doch absurd!“, sagte Peter Schaar zu diesem Vorschlag am Dienstagabend im Ladenburger Domhof. Der ehemalige Bundesbeauftragte für Datenschutz forderte: Statt mehr Daten zu sammeln und Bürgerrechte weiter zu beschneiden, solle man daran arbeiten, das System effektiver zu machen.

Peter Schaar war von 2003 bis 2013 Bundebeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit. In seinem Buch „Überwachung total“ schildert er seine Einblicke in den NSA-Skandal und den Umgang der deutschen Politik mit der Überwachung.
Von Lydia Dartsch
Das Smartphone in den Taschen, das personalisierte Google-Profil im Browser und mit intelligenter Haustechnik gibt man heutzutage ständig private Daten preis. Ob man will oder nicht erstellen Internetkonzerne wie Google personalisierte Profile, indem E-Mails, das Surfverhalten, Suchanfragen und weitere Metadaten auswertet werden.
Ziel des Ganzen: Die Nutzer sollen Werbung erhalten, die speziell auf ihre Interessen zugeschnitten sind. Doch diese Daten werden auch von Geheimdiensten abgegriffen und untereinander weitergegeben.
„Internet wird zum Überwachungsnetz“
Wehren kann man sich dagegen nicht. Denn gesetzliche Regelungen beziehen sich nur auf das Gebiet des Staates, in dem sie erlassen sind. Doch der Datenfluss im Internet entzieht sich nationaler Kontrolle.
Das Internet entwickelt sich immer mehr von einer Plattform des freien Informationsaustauschs zum Überwachungsnetz, schreibt der ehemalige Bundesbeauftragte für Datenschutz Peter Schaar in seinem neuen Buch „Überwachung total – wie wir in Zukunft unsere Daten schützen“.

Peter Schaars Buch „Überwachung total“
Am Dienstagabend war Peter Schaar, Parteimitglied der Grünen, zu Gast im Ladenburger Domhof, um auf Einladung der IG BCE-Ortsgruppe Ladenburg Rhein-Neckar aus seinem neuen Buch zu lesen.
Im Juni vergangenen Jahres wurde es veröffentlicht. Anfang Januar ging die Veranstaltungseinladung in der Redaktion ein. Beide Zeitpunkte liegen lange vor den Terror-Anschlägen von Paris.
„Mehr Vorratsdatenspeicherung ist nach den Anschlägen von Paris absurd“
Durch diese hat das Thema des Buches eine ungeahnte Aktualität bekommen. Denn derzeit wird heftig darüber diskutiert, ob die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland wieder eingeführt werden soll- das fordert beispielsweise Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Damit soll eine höhere Sicherheit erreicht und Bürger besser davor geschützt werden, Opfer eines Terror-Anschlags zu werden.
Doch zu welchem Preis? Personenbezogene Daten eines jeden Bürgers – wie Internet- und Telefonverbindungen – werden ohne Verdacht gespeichert, für den Fall, dass man sie irgendwann einmal gebrauchen könnte. Damit sollen Terror-Anschläge verhindert werden, argumentieren Politiker. Laut Herrn Schaar sei die Logik dahinter:
Um wirklich sicher zu sein, muss man alles wissen.
„In Paris hat das nicht funktioniert, obwohl man dort Daten auf Vorrat speichert“, sagte Herr Schaar gestern auf die Frage eines der gut 50 Besucher im Domhof. Für Herrn Schaar sei dies ein deutliches Zeichen dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung ineffektiv ist.

Herr Schaar signiert sein Buch für einen Leser.
Die Folgerung aus den Anschlägen zu ziehen, die Daten noch länger zu speichern sei deshalb absurd. Zudem greife diese Vorgehensweise massiv in bürgerliche Grundrechte wie das Fernmelde- und Briefgeheimnis (Artikel 13) und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2) ein.
Sie hebele vor allem das Prinzip der Rechtstaatlichkeit aus, die bei der Gründung der Bundesrepublik im Grundgesetz verankert worden ist. Nach diesem Prinzip dürfen Bürger/innen gegen staatliche Eingriffe in ihre Grundrechte klagen, sagt Herr Schaar: „Um vor Gericht zu ziehen, muss man aber erst einmal wissen, dass man überwacht wird“, sagt er. Und es müsste gesetzliche Regelungen geben, die auf den Fall angewendet werden können.
Datenaustausch zwischen Geheimdiensten – keine demokratische Kontrolle
Und da wird es kompliziert: Zwar dürfen Datenströme auf deutschem Boden nicht abgegriffen werden. Wenn aber der Aufruf einer Website mit deutscher Domain über einen amerikanischen Server läuft, werden die Daten dort sehr wohl im Rahmen der Terror-Abwehrgesetze durch die NSA aufgezeichnet, sagt Herr Schaar. Die in den USA geltenden Datenschutzbestimmungen gälten nur für US-Bürger.
Die Daten aus Deutschland dürften also gesammelt, ausgewertet und weitergegeben werden. Auch Daten aus anderen Ländern, die über deutsches Staatsgebiet in andere Länder geleitet werden, werden abgeschöpft und mit Geheimdiensten ausgetauscht. Dieses Vorgehen sei Gang und Gäbe zwischen internationalen Geheimdiensten.
„Einschnitt in die Grundrechte“
Und die Geheimdienste entzögen sich einer demokratischen Kontrolle, sagt Schaar und berichtet aus seinen Erfahrungen als Bundesdatenschutzbeauftragter. So habe er damals mit der G10-Kommission, die sich um die Wahrung des Brief- und Fernmeldegeheimnisses kümmern soll, nach den NSA-Enthüllungen um Zusammenarbeit gebeten.
Diese Stelle habe sich aber nicht zuständig gefühlt: „Dann hätten sie mich informieren müssen.“ Doch bei der Kommission sei man nicht der Ansicht gewesen, dass das Abgreifen und der Austausch von Internetdaten dem Bundesfernmeldegesetz unterliegen.

Peter Schaar las am Dienstagabend im Ladenbruger Domhof aus seinem neuen Buch.
Herr Schaar kritisiert massiv das Vorgehen der Geheimdienste sowie die Reaktion der Regierung auf die Enthüllungen von Edward Snowden. Einmal hatte sich die Bundesregierung darauf berufen, dass die amerikanischen Behörden schriftlich versichert hätten, sich an deutsches und amerikanisches Recht zu halten, anstatt sich zu empören.
Er spricht von Desinformation und Beschwichtigung der Bürger und Bürgerinnen. Und diese Taktik hatte Erfolg: „Im Wahlkampf spielte der Datenschutz keine Rolle“, sagt Herr Schaar.
Dass Angela Merkels Handy abgehört wurde, kam erst danach an die Öffentlichkeit. Und auch die Reaktion darauf habe ihn erstaunt: Anstatt zu fordern, dass das Ausspionieren aufhört und strengere Beschränkungen für die Geheimdienste zu erwirken, habe sich die Bundesregierung bemüht, die Späh-Aktivitäten weiter auszubauen, um mit den USA „auf Augenhöhe zu kommen“.
Grundrechtseingriffe gegen Sicherheit
In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass auch einige der Besucher – die meisten von ihnen älter als 50 Jahre – einem Tausch von Persönlichkeitsrechten gegen mehr Sicherheit zugeneigt sind. „Lieber lasse ich mich überwachen, als dass ich von einem Salafisten abgemurkst werde“, sagt einer.
Das helfe nichts, wenn Polizeiarbeit effektiver ist, als das System der Vorratsdatenspeicherung, antwortete Herr Schaar. Ein weiterer Besucher verwies auf die statistische Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terror-Anschlags zu werden: Es sei wahrscheinlicher auf dem Nachhauseweg in einen Unfall verwickelt zu werden.
„Unsinniger Populismus“
Ebenso populistisch und unsinnig sei es, Verschlüsselungen zu verbieten, wie es der britische Premierminister David Cameron nach den Anschlägen von Paris gefordert hatte. Verschlüsselungen seien nicht nur der einzige Weg, sich der Datenabschöpfung zu entziehen, sondern auch die Basis für den Datenverkehr im Internet – beispielsweise beim Internetbanking.
Zudem könne ein solches Verbot keine Straftaten verhindern: Ein Mörder würde eher ein paar Monate Gefängnis hinnehmen und seine Mails verschlüsseln, wenn ihm dadurch die lebenslange Haft erspart bleibt, sagte Herr Schaar:
Wer so etwas fordert, hat entweder nicht nachgedacht, oder er will uns für blöd verkaufen.

Nach der Lesung konnten die Besucher/innen Exemplare von „Überwachung total“ kaufen. Peter Schaar signierte und beantwortete Nachfragen.