Mannheim/Rhein-Neckar, 22. Januar 2013. (red/pro) Auf der Großbaustelle Q6/Q7 dürfen nach einem Gerichtsbeschluss vom vergangenen Freitag auch die restlichen Gebäudeteile abgerissen werden. Am Samstag wurde die Baustelle für interessierte Besucher geöffnet, die sich vor allem für die freigelegte Stadtmauer interessierten.
Von Hardy Prothmann
Die beiden Archäologen des Reiss-Engelhorn-Museums, Dr. Klaus Wirth und Benedikt Stadler M.A., informierten jede Menge interessierter Besucher über das Fundstück: Das Fundament einer Festungsmauer, die in dieser Bauweise erstmals ab 1699 dokumentiert worden ist, wie Dr. Wirth sagt:
Wir gehen davon aus, dass die Mauer ab dem frühen 18. Jahrhundert errichtet worden ist.
Keine Stadt-, sondern eine Festungsmauer
Der Experte legt Wert darauf, dass es sich nicht um eine Stadtmauer handelt, sondern um eine vielteilig strukturierte militärische Anlage zum Schutz vor Beschuss. Auf dem oberen Bild sieht man im hinteren, rechten Teil, dass die Mauer schräg gebaut war. Mit großer Sicherheit gab es rechts davon eine weitere Mauer und dazwischen den sogenannten „Oberwall“ aus Erde. Die beiden Mauern stützten diesen Wall. Unter dem damaligen Kurfürst Karl-Theodor gab es keine Kriege in der dieser Zeit und der Kurfürst interessierte sich auch weniger für militärische Belange denn für Kunst und Kultur:
Vermutlich ist die Mauer kurz nach der Errichtung nicht mehr unterhalten worden und ist schon zur damaligen Zeit in einem eher baufälligen Zustand gewesen.
Im 19. Jahrhundert sei dann häufig auf bestehende Mauern gebaut worden. Wenn unterkellert worden ist, hat man altes Bauwerk abgetragen. Auch nach dem 2. Weltkrieg in der weitgehend zerstörten Mannheimer Innenstadt, sagt Dr. Wirth:
Damals war oberste Priorität die Schaffung von Wohnraum und Wiederaufbau. Das war der Geist der Zeit. Archäologische Belange spielten keine große Rolle.
Teils wurde ausgehoben, teils planiert, wie beispielsweise beim ehemaligen Bauhaus, was nicht unterkellert war. Die Archäologen vermuten deswegen weitere mögliche Funde in Q7 Richtung Planken oder Richtung Ring, also ungefähr dort, wo die alten Gebäude gerade abgerissen werden. Mitarbeiter sind quasi täglich vor Ort und beobachten die Arbeiten. Anhand alter Pläne aus dem 18. Jahrhundert, die man über das moderne Kataster lege, könne man ungefähr einschätzen, wo Funde möglich sein könnten. Sobald ein Fund in Sicht ist, treten die Archäologen auf den Plan:
Wir sind da sehr schnell, sprechen uns mit der Baufirma ab, sodass die Bauarbeiten nicht behindert werden.
Großes Lob gibt es von Dr. Wirth für Diringer & Scheidel. Man arbeite schon lange sehr gut miteinander, die Abstimmungen seien reibungslos.
Über der Baustelle und in den Straßen drum herum ist es derweil diesig – Staub liegt in der Luft. Das Hämmern der rieseigen Baggermeisel ist zu hören, immer wieder krachen Betonbrocken zu Boden, die ein Bagger mit riesiger Zange aus den Resten des noch stehenden 50-Jahre-Baus rausknabbert. Überall bleiben Passanten stehen und werfen einen Blick auf die Szenerie. Es ist ein Spektakel.
Die Archäologen dokumentieren ihr Interesse, die Funde, beschreibend, fotografisch und durch Vermessung. Eine Pflicht, die Mauer zu erhalten, gibt es für die Baufirma nicht. Trotzdem hat Diringer & Scheidel angekündigt, dass die Mauer abgetragen und eingelagert werden soll. Ob das wirklich so kommt, darf abgewartet werden, denn die Kosten sind enorm und durch das Abtragen und Versetzen wäre es auch kein Denkmal mehr. Aus Sicht des Archäologen Dr. Wirth ist das sinnlos.
2016 sollen die beiden Q-Quadrate wieder bebaut sein.
In der Mitte des Quadrats Q7 hat man Reste eines alten lutherischen Friedhofs entdeckt – allerdings zerstört. Nur einzelne Knochenfunde bestätigten die Existenz. Für die Besucher war aber nicht nur die Festungsmauer interessant , sondern auch der Blick über die weitgehende abgerissene Fläche: Diringer & Scheidel investiert hier mit Partnern insgesamt 310 Millionen Euro für neue Gebäude. Darunter ein vier Sterne-Hotel, 86 Wohnungen, sowie rund 27.300 Quadratmeter für Händler. Insgesamt beträgt die Bruttogeschossfläche 153.000 Quadratmeter. Unterhalb der neuen Gebäude entsteht eine Tiefgarage, dafür wird die Baugrube bis zu 15 Metern ausgehoben. Insgesamt sind 1.376 Stellplätze geplant. Rund 500 Arbeitsplätze sollen hier nach der Realisierung im Jahr 2016 geschaffen werden.
Weitere Informationen hier www.q6q7.de.
Anm. d. Red.: Auf Nachfrage erklärte uns Diringer & Scheidel, die amerikanischen Fahnen an den Fahrzeugen wehten deshalb, weil die Baggerfahrer amerikanische Staatsbürger seien.
Viel Freude mit den Fotos!
[nggallery id=112]