Mannheim/Heidelberg/Rhein-Neckar, 22. Dezember 2015. (red/ms) Intensive Nutzung des Nahverkehrs geht richtig ins Geld. Von Mannheim nach Heidelberg und zurück? Das macht dann 10,80 Euro. Viele sozial schwache Menschen können sich den Luxus Mobilität kaum leisten und sind trotzdem darauf angewiesen. Das Problem betrifft auch Asylbewerber. Für die Rhein-Neckar-Region ist nun ein „Flüchtlingsticket“ in Planung. An sich ein sehr lobenswertes Vorhaben – doch es könnte den sozialen Frieden belasten, wenn nicht gleichzeitig Vergünstigungen für andere Einkommensschwache erfolgen.
Polizeipräsident Thomas Köber betont klar und unmissverständlich:
Es gibt keine überbrodelnde Gewaltkriminalität durch Flüchtlinge in Mannheim und Umgebung.
Gleiches gelte für Sexualdelikte. Allerdings sei eine deutliche Zunahme Ordnungswidrigkeiten zu beobachten.
Die offizielle Kriminalitätsstatistik für 2015 wird voraussichtlich erst im Frühling 2016 veröffentlicht. Mitte Oktober stellte der Polizeipräsident jedoch einige zwischenzeitliche Zahlen im Mannheimer Sicherheitsausschuss vor.
Alle müssen zahlen
Damals gab es bei den Leistungserschleichungen eine Zunahme von rund 17 Prozent – insbesondere im Bereich „Schwarzfahren“ wurden deutlich mehr Delikte verzeichnet.
Durch schwarzfahrende Flüchtlinge gerät niemand in lebensbedrohliche Situationen. Nichtsdestotrotz muss klar vermittelt werden, wie öffentlicher Nahverkehr funktionieren kann – eine Voraussetzung ist, dass der Kaufvertrag für die Dienstleistung Transport von den Kunden korrekt eingehalten wird.
Entgegen anders lautender Gerüchte werden Flüchtlinge sehr wohl kontrolliert und – wenn sie schwarzfuhren – registriert und zur Rechenschaft gezogen.
Wer ohne gültiges Ticket erwischt wird, muss ein Bußgeld von 60 Euro zahlen. Das gilt für alle unsere Kunden und da gibt es gar keine Diskussion,
erklärt René Weintz, Pressesprecher der rnv. Zwar gebe es Kulanzregelungen, die es Kontrolleuren erlauben, nicht den vollen Betrag von 60 Euro in Rechnung zu stellen. Doch auch hier gelte der Grundsatz, alle Kunden würden gleich behandelt.
Flüchtlinge in Finanzierungsnot
Selbstverständlich gibt es trotzdem schwarzfahrende Flüchtlinge. Das versucht seitens der Polizei oder der rnv auch gar niemand abstreiten. Ebenso gibt es aber schwarzfahrende Deutsche, schwarzfahrende Türken, schwarzfahrende Italiener und Schwarzfahrende anderer Ethnien – meistens sind es allerdings Geringverdiener und Einkommensschwache.
Nahverkehr ist nicht gerade billig. Eine einzelne Fahrt von Mannheim nach Heidelberg – mit der S-Bahn sind es keine 15 Minuten Fahrtzeit von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof – kostet schon stolze 5,40 Euro. Wenn man auch zurückkommen will, zahlt man also schon über zehn Euro. Ein ordentlicher Brocken – manch einer wird zwei Mal überlegen müssen, ob man das zahlen kann oder nicht.
Wer auf das Pendeln zwischen Mannheim und Heidelberg angewiesen ist, zahlt ohne Vergünstigungen – etwa das Semesterticket für Studenten – 127,00 Euro für die „Monatskarte Jedermann“. Für viele ist das kaum oder gar nicht zu finanzieren – und es ist fast so viel, wie Flüchtlingen an Taschengeld zur Verfügung steht: Einem volljährigen Flüchtling würden nach Erwerb einer solchen Monatskarte noch ganze 15 Euro für alles andere verbleiben.
Diese Umstände sollen das Schwarzfahren nicht entschuldigen. Es ist aber offen gesagt wenig verwunderlich, dass es zu Leistungserschleichungen kommt. Viele sind schlichtweg darauf angewiesen, größere Distanzen zurückzulegen und gerade Geringverdiener können sich nicht immer unbedingt den Luxus Auto leisten.
In zahlreichen anderen Städten gibt es Sonderregelungen für Einkommensschwache. Die gibt es zwar auch in der Rhein-Neckar-Region. Allerdings handelt es sich oftmals nur um einen Tropfen auf dem heißen Stein.
In Mannheim können beispielsweise unter bestimmten Bedingungen dank Sozialticket zehn Einzelfahrkarten pro Monat für die Großwabe Mannheim/Ludwigshafen (Heidelberg und Weinheim gehören nicht dazu) zum Vorteilspreis von zehn Euro erworben werden. Das reicht mit Hin- und Rückfahrt ganze fünf Tage und der damit eingesparte Betrag beläuft sich auf maximal 10,60 Euro.
„Flüchtlingsticket Rhein-Neckar“ in Vorbereitung
In einigen Städten Deutschlands werden Flüchtlingen inzwischen Freifahrtscheine ausgestellt. Etwa in Karlsruhe – der „Flüchtlingsausweis“ dient hier gleichzeitig als Fahrkarte für jeglichen Nahverkehr. Die anfallenden Kosten werden dem Karlsruher Verkehrsverbund vom Land Baden-Würrtemberg erstattet.
Auch zwischen der VRN GmbH und dem Regierungspräsidium Karlsruhe laufen derzeit Verhandlungen für ein „Flüchtlingsticket“. Das bestätigt Pressesprecher René Weintz gegenüber unserer Redaktion auf Rückfrage. Die genauen Modalitäten würden noch beraten werden, erklärt Herr Weintz. Vor Abschluss der Verhandlungen würden keine Details darüber bekannt gegeben werden.
Wie das „Flüchtlingsticket Rhein-Neckar“ funktionieren wird, ist also noch unklar. Womöglich werden den Asylbewerbern Teile ihres Taschengeldes gekürzt, vielleicht erhalten sie das Ticket auch völlig umsonst.
Bevorzugung wird Unmut schüren
In beiden Fällen dürfte die Sonderregelung à la Super-Sozialticket für ein paar hitzige Debatten sorgen – denn während für Flüchtlinge Vergünstigungen in Planung sind, ist beispielsweise für Hartz-IV-Empfänger derzeit keine Entlastung absehbar. In den Haushaltsberatungen hat sich der Mannheimer Gemeinderat erst vergangene Woche mehrheitlich gegen eine Aufstockung beim städtischen Sozialticket entschieden.
Flüchtlingen zu mehr Mobilität zu verhelfen, ist an sich ganz sicher eine gute Sache. Und legal ist eine intensive Nahverkehrsnutzung für viele Asylbewerber momentan kaum zu finanzieren. Dennoch wird es schwierig, beispielsweise Sozialhilfeempfängern und Geringverdienern zu vermitteln, warum Flüchtlinge im Vergleich zu ihnen bevorzugt werden. Wenn nicht gleichzeitig auch eine Entlastung für Einkommensschwache erfolgt, sind Konflikte zwischen den Schwächsten vorprogrammiert.
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