Rhein-Neckar, 22. November 2017. (red/pro) Der Winter steht vor der Tür und damit steigt nicht nur der Verbrauch von Strom, sondern auch die Sorge vor einem möglichen Blackout. Peter Krämer, Geschäftsführer der Stadtwerke Weinheim, sagt im Interview, dass die Gefahr eines Blackouts nicht unrealistisch ist. Gründe seien die gesamteuropäische Netzsituation, die Energiewende, aber auch mögliche Cyberattacken.
Interview: Hardy Prothmann
Die FAZ berichtete im Sommer, dass das deutsche Stromnetz im vergangenen Winter kurz vor einem Blackout stand. Können Sie diese Sorgen nachvollziehen, Herr Krämer?
Peter Krämer: Ja, das kann ich nachvollziehen. Allerdings sehe ich drei Themen zum Komplex der Sicherheit der Stromnetze.
Die sind?
Krämer: Erstens die gesamteuropäische Netzsituation, zweitens die Energiewende in Deutschland und drittens Angriffe auf die Infrastruktur, insbesondere durch Häcker.
Im Normalbetrieb ist alles gut
Dann gehen wir die durch. Wie beurteilen Sie die gesamteuropäische Situation?
Krämer: Im Normalbetrieb ist alles gut. Wenn es aber zu Unregelmäßigkeiten kommt, können Probleme entstehen und dann sind Blackouts nicht unrealistisch. Bei der Situation, die in der FAZ beschrieben wird, kamen solche Faktoren zusammen. Mehrere Atomkraftwerke in Frankreich, Belgien und Deutschland waren gleichzeitig ausgefallen bzw. in Wartung, dazu gab es eine Windsolarflaute und geringe Wasserstände in den Speicherkraftwerken der Alpen. Unterm Strich war zu wenig Strom vorhanden. Teile des europäischen Stromnetzes kamen wohl an ihre Grenzen der Leistungsfähigkeit. Auffällig ist, dass die Bundesnetzagentur über zunehmende Eingriffe, besonders im deutschen Verbundnetz berichtet, die notwendig sind, um die Stabilität der Netze zu erhalten. Dies deutet zumindest auf eine starke ungleiche Verteilung von Stromangebot und Nachfrage hin.
Das Thema Energiewende treibt Sie schon lange um.
Krämer: Ja, weil es hier um hausgemachte Probleme geht. Bis 2022 soll ja der Komplettausstieg aus der Kernenergie vollzogen sein. Dann so schnell wie möglich auf Braun- und Steinkohlekraftwerke verzichtet werden. Dem gegenüber stehen fluktuierende, nicht planbare Stromquellen aus Wind und Sonne, diese können nicht zuverlässig die benötigten Strommengen dann produzieren, wenn man sich braucht. Die umweltfreundlichen Gaskraftwerke rechnen sich nicht, weil deren sauberer Brennstoff (Gas) gegenüber Kohle- und Atomstrom im derzeitigen Einsatzregime nicht wettbewerbsfähig sind. Die produzieren zu teuer.
Das bedeutet?
Krämer: Aktuell erhalten die Anbieter mit den günstigsten Preisen die Zuschläge zur Erzeugung des notwendigen Stroms, da können die Gaskraftwerke nicht mithalten.
Cyberangriffe sind ein ernstes Problem
Ok, dann das dritte Thema: Angriffe auf die Infrastruktur.
Krämer: Das beobachte ich mit hoher Aufmerksamkeit. Auch hier zeigt sich, dass das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zunehmend vor Hackerangriffen auf kritische Infrastruktur warnt. Hierzu zählen neben Kraftwerken auch Stromnetze. Solche Cyberangriffe sind mit zunehmender Digitalisierung ein immer ernsteres Problem.
Was tun Sie dagegen?
Krämer: Wir investieren in neue IT-Technik und die Qualifizierung unseres Personals. Unsere Netzsteuerung hat beispielsweise keinen Zugang zum Internet. Andere Bereiche schon. Und die Frage ist, wer ist wann wie mit dem Netz verbunden. Ein Beispiel: Viele System arbeiten autonom. Da bestellt sich der Drucker neue Patronen übers Internet – darf der das oder ist das ein Risiko? Wer hat Zugang zur unserer Leitwarte? Wer darf dort was? Wie werden sichere Passwörter erzeugt und wie verhält man sich am Arbeitsplatz, wenn Veränderungen im System erkannt werden? Das ist sehr komplex und wir führen seit einiger Zeit zusammen mit zwei anderen Stadtwerken eine Zertifizierung für ein IT-Sicherheitsmanagementsystem (ISMS) durch. Das spart Ressourcen und Geld bei der Umsetzung. Außerdem lassen wir uns durch externe Dienstleister simuliert gezielt angreifen, um mögliche Schwachstellen zu erkennen.
Zurück zur Energiewende. Sie gehen nicht davon aus, dass wir auf fossile Stromerzeugung verzichten können?
Krämer: Auf mittlere Sicht nicht. Hier sehe ich – wie gesagt – hausgemachte Probleme. Was bringt uns die Stromerzeugung durch Wind in der Nordsee, wenn die Leitungen fehlen, um den Strom nach Süddeutschland zu transportieren? Der Gesetzgeber hat das Problem erkannt, aber es braucht Zeit zur Umsetzung geänderter Regelungen. Deswegen ist ein Ausstieg aus der Kernkraft realistisch, aber einer gleichzeitiger zeitnaher Ausstieg aus der Kohle derzeit nicht vorstellbar.
Reichen denn Speichersysteme in Speicherkraftwerken (Stauseen) nicht aus, um Spitzenlasten abzufangen?
Krämer: Überhaupt nicht. Ich mach das mal plakativ. Der Bodensee stellt die Menge des notwendigen Speicherbedarfs bei vollständiger Umstellung auf regenerativer Stromerzeugung dar. Die heutigen vorhandenen Kapazitäten sind in der Größe eines Wassereimers. Ich hoffe, das Bild ist eindeutig.
Deutschland macht vieles gut, aber nicht alles richtig
Jetzt verschieben Sie mein Weltbild. Sind wir in Deutschland denn nicht führend in der Einsparung von Energie und Emissionen und im Einsatz neuer Technik?
Krämer: Tut mir leid, aber die Fakten sind andere. 2016 ist der Stromverbrauch gegenüber dem Vorjahr nicht gesunken, sondern leicht gestiegen. Es gab also keine Einsparung. Dem stelle ich eine brummende Wirtschaft als Faktor gegenüber – es gibt also eine hohe Produktion und damit eine hohe Nachfrage nach Strom. Klar ist Deutschland in vielerlei Hinsicht gut vorangekommen, aber Grund zum Jubeln gibt es nicht. Das wäre hochnäsig. Man sollte da auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Auch die USA werden häufig falsch betrachtet.
Erläutern sie das bitte.
Krämer: Dort wird die umstrittene Fracking-Technik eingesetzt, die aber dazu führt, dass es sehr viel billiges Gas gibt, was die umweltfreundlichen Gaskraftwerke gegenüber Kohlekraftwerke sehr wettbewerbsfähig macht. Diese Kraftwerke ersetzen zunehmend Kohle- und Kernkraftwerke und verbessern die Emissionsbilanz der Vereinigten Staaten. Klar ist der Ausstieg aus dem Klimaschutzprogramm keine gute Politik, aber die Amerikaner machen nicht alles verkehrt, wie das oft geschildert wird. Und es gibt Länder wie Dänemark, die viel richtig gemacht haben.
Was beispielsweise?
Krämer: Die haben nach der Ölkrise in den 70-iger Jahren konsequente Strategien entwickelt und umgesetzt. Beispielsweise Kraftwärmekopplungen, vor allem im ländlichen Raum. Heute sind die abgeschrieben, funktionieren ordentlich und vor allem wirtschaftlich. In Deutschland wird vieles gleichzeitig ausprobiert, was ja zu unserem Erfindergeist passt, aber eine einheitliche Strategie sehe ich nicht. Siehe Offshore-Windkraft. Es werden Kapazitäten aufgebaut, aber der Transport vernachlässigt. Die Anlagen werden abgeschaltet und der Betreiber erhält dafür noch Geld.
Nochmal zurück zu drohenden Blackouts. Sehen Sie hier eine akute Gefahr? Möglicherweise auch im Sommer?
Krämer: Eine solche Situation kann beim Zusammentreffen ungünstiger Konstellationen immer drohen, wenn einfach zu wenig Strom einer zu hohen Nachfrage gegenübersteht. Dann kann es zu kaskadierenden Effekten kommen. Denken Sie an Italien, wo ein Kapazitätsengpass zu einem massiven Netzausfall führte, der auch andere europäische Länder in Schwierigkeiten brachte. Die einzige Sicherung ist – man muss genug Reservekapazitäten zuschalten können. Wenn man diese Puffer ersatzlos abbaut, erhöht man die Gefahr von Blackouts. Allerdings muss ich auch betonen, dass sich das deutsche Stromnetz in einem insgesamt guten Zustand befindet . Das Eintreten negative Situationen kann nie ganz ausgeschlossen werden, ist aber noch eher unwahrscheinlich. Das aber könnte sich bei der Setzung falscher Prioritäten ändern.
Zur Person:
Peter Krämer (58) ist seit Januar 2007 Geschäftsführer der Stadtwerke Weinheim (SWW). Hier arbeiten aktuell 136 Mitarbeiter. Die Stadtwerke versorgen rund 70.000 Menschen in Region Weinheim mit Strom, Gas, Wasser und Wärme. Zusätzlich betreiben die SWW den Busverkehr in Weinheim sowie das Hallenbad „Hawei“. Eigenen Strom produzieren die Stadtwerke über Kraftwärmekopplungsanlagen im geringen Umfang selbst. Die profitable städtische Gesellschaft erwirtschaftet jährlich einen Umsatz von rund 64 Millionen Euro und führt Gewinne an den Haupteigner Stadt Weinheim (~59%) sowie die Gesellschafter EnBW (~40%) sowie an die Gemeinde Gorxheimertal (1%) ab.