Rhein-Neckar/Südwesten, 22. Februar 2017. (red/pro) Vergangene Woche war Justizminister Guido Wolf (CDU) auf Einladung des Landtagsabgeordneten Georg Wacker zu Gast in Mannheim. Zusammen mit Bürgermeisterin Dr. Ulrike Freundlieb eröffnete er die Messe „Jobs for future“. Beim Messerundgang hatten wir Gelegenheit, mit ihm ein Interview zu führen. Der Minister hat aktuell zwei wichtige Verfahren in Gang gesetzt – zum einen will er die erweiterte Auswertung von DNA-Material und eine europäische Straftäter-Datei, die auch straffällig gewordene Personen aus Drittstaaten erfasst. Eine Erweiterung der Videoüberwachung will er unterstützen. Notwendige Investitionen in das Justizsystem beziffert der Minister mit insgesamt rund 500 Millionen Euro.
Interview: Hardy Prothmann
Herr Minister Wolf, Sie haben aktuell einen Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozessordnung im Bundesrat eingebracht. Danach soll die Auswertung von DNA-Merkmalen erheblich erweitert werden. Erläutern Sie bitte, was Sie sich davon versprechen.
Justizminister Guido Wolf: Mit Blick auf das schreckliche Verbrechen vergangenen Herbstes in Freiburg sind wir natürlich dafür sensibilisiert, rechtlich das zu ermöglichen, was heute mit den neuen technischen Möglichkeiten auch tatsächlich machbar ist. Stand heute darf man eine DNA-Spur nur mit Blick auf die Frage auswerten, ob eine identische Spur bereits hinterlegt ist. Aber die technischen Möglichkeiten erlauben heute auch zuverlässige Rückschlüsse auf äußere Tätermerkmale wie Haut-, Haar- und Augenfarbe oder das biologische Alter. Wir wollen die Strafprozessordnung so weiterentwickeln, dass die Auswertung und die Verwertung der DNA-Spuren hinsichtlich der genannten Merkmale ebenfalls rechtlich zulässig ist.

Justizminister Guido Wolf will mehr Auswertungsmöglichkeiten von DNA-Spuren sowie eine europäische Strafttäter-Datei, in der auch Personen aus Drittstaaten erfasst sind.
Wo sehen Sie verfassungsrechtliche Bedenken?
Wolf: Wir haben das im Justizministerium sehr sorgfältig geprüft. Wir sehen keine verfassungsrechtlichen Probleme. Wenn im Zuge einer Straftat zufällig ein Video aufgenommen worden ist, dann darf dieses vollumfänglich in einem Verfahren verwendet werden. Auch dort werden äußere Merkmale eines Täters in ein Verfahren eingebracht. Ich sehe daher keine rechtlichen Bedenken, dies auch über die Auswertung von DNA-Spuren zu tun.
Informationen zur biogeographischen Herkunft sind wichtig
Die Grünen haben nach einem Bericht der FAZ das “geographische” Bestimmungsmerkmal, also die kontinentale Herkunft wieder herausgestrichen. Ist das aber nicht eine ganz wesentliche Information, um die Arbeit der Ermittler zu unterstützen?
Wolf: Die Auswertung von DNA-Spuren auf die biogeographische Herkunft hin ist nach wie vor wichtig. Wir werden das auf der Justizministerkonferenz weiter diskutieren. Aus Sicht unseres Koalitionspartners gibt es hier ein paar weitergehende verfassungsrechtliche Fragen. Wir wollen uns die Zeit nehmen, diese zu klären, aber nach meiner Überzeugung gehört auch die Frage der biogeographischen Herkunft letztlich zur Auswertung von DNA-Spuren dazu.
Sie haben zudem aktuell einen Entschließungsantrag Baden-Württembergs zum Europäischen Strafregisterinformationssystem ECRIS eingebracht. Bislang werden Straftäter aus Drittstaaten dort nicht erfasst. Wie kann das denn sein?
Wolf: Diese Frage stellt man sich zurecht. Dieses Strafregister ist sozusagen “blind” was sogenannte „Drittstaatler“, also Staatsangehörige von Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union sind, angeht. Das ist uns deutlich vor Augen geführt worden bei dem Tatverdächtigen aus Freiburg, der aus Afghanistan stammt und – wie wir jetzt wissen – offensichtlich eine vergleichbare Straftat bereits in Griechenland begangen hatte, ohne dass uns dies bekannt war. Wir wollen ein europäisches Strafregister, das auch Straftaten von Drittstaatsangehörigen erfasst und, wenn jemand zu uns kommt, mit einem Blick die Prüfung ermöglicht, ob er in Europa bereits straffällig geworden ist.
ECRIS ist aktuell teils blind
Im Herbst haben wir die nächste Bundestagswahl. Das wird möglicherweise Ihre Initiative für die Ausweitung von ECRIS verzögern. Bis wann könnte es eine Veränderung Ihrer Sicht nach realistisch gesehen geben?
Wolf: Für meine Begriffe muss es in solchen Fragen möglich sein, schnell zu handeln. Bei unserer Bundesratsinitiative zur Auswertung von DNA-Spuren habe ich die berechtigte Erwartung und Hoffnung, dass wir noch in dieser Legislaturperiode damit durchkommen. Wenn man will, kann man schnell handeln und entsprechend würde ich mir wünschen, dass die Bundesregierung das Europäische Strafregister zügig vorantreibt.
Dezentrale Strukturen sind gut, aber der Datenaustausch muss besser werden
Europa ist das eine, lassen Sie uns über Deutschland reden. Wäre es nicht auch von Vorteil, wenn die Bundesländer endlich den Datenaustausch voranbringen würden? Da gibt es immer wieder Hinweise und Kritik, dass es dort Probleme mit den Schnittstellen gibt und die Hamburger nicht wissen, was die Baden-Württemberger wissen. Wie ist denn da der Stand der Dinge? Und welche Möglichkeiten sehen Sie, das voranzubringen, dass dieser Datenaustausch besser funktioniert?
Wolf: In der Tat – gerade mit Blick auf den Fall Amri – muss man feststellen, dass es einem terroristischen Mörder gelungen ist, sich quer durch Deutschland zu bewegen, obwohl er ganz unterschiedlichen Ermittlungen und Beobachtungen ausgesetzt war. Das muss besser werden. Da brauchen wir eine bessere Abstimmung zwischen den einzelnen Bundesländern. Da muss mehr Kommunikation stattfinden, da brauchen wir für Gefährder dieser Dimension auch einheitliche Verfahren. Eine völlige Konzentration dieser Zuständigkeiten auf Bundesebene entspricht aber nicht meiner Vorstellung. Ich glaube dezentrale Strukturen sind gut, aber der Austausch muss besser werden.
Die Herausforderung bei den Haftplätzen sind groß

Die Justizvollzugsanstalt Mannheim – überall im Land sind die Gefängnisse voll. Foto: JVA Mannheim
Wir haben das erste Mal im Sommer 2016 und vor ein paar Wochen nochmals berichtet, dass die Justizvollzugsanstalten in Baden-Württemberg aktuell an ihren Kapazitätsgrenzen angekommen sind. Mussten Strafgefangene bereits in andere Länder überstellt werden?
Wolf: Nein, diese Situation haben wir bislang nicht erreicht, aber es ist zutreffend: Unsere Gefängnisse sind weitgehend voll. Und sie sind stärker belegt als etwa vor ein oder zwei Jahren. Stand heute haben wir 500 Häftlinge mehr als vor einem Jahr. Das zeigt natürlich, dass die Herausforderungen groß sind, dass wir absehbar zusätzliche Haftplätze schaffen und auch das Personal in unseren Gefängnissen stärken müssen. Denn mehr Häftlinge, mehr Sprachen, mehr Kulturen und ein höheres Aggressionspotential heißt auch größere Aufgaben für unsere Bediensteten in den Gefängnissen.
Sollte sich die Entwicklung fortsetzen, werden auch die bis Ende des Jahres zusätzlichen 200 Haftplätze in Stuttgart unserer Einschätzung nach nicht ausreichen. Die in Rottweil geplante JVA kann nicht erweitert werden. Droht der Knast-Kollaps?
Wolf: So dramatisch will ich es nicht bewerten. Aber ich habe schon jetzt angekündigt, mit der Inbetriebnahme eines neuen Gefängnisses ist für mich nicht zwingend die Aufgabe eines alten Gefängnisses verbunden, wenn nicht sichergestellt ist, dass wir hinreichend Haftplätze haben. Konkret heißt das für mich, wenn wir innerhalb dieses Jahres in Stammheim das neue Gefängnis beziehen, dann muss nochmals sorgfältig geprüft werden, ob wir sofort in der Lage sind, das alte Gefängnis in Stammheim aufzugeben oder ob wir es – gegebenenfalls auch nur vorübergehend – noch weiter betreiben müssen.
Das Justizsystem hat einen Investitionsstau von 500 Millionen Euro
Haben Sie schon einen Plan oder sich Gedanken gemacht, welche Investitionen in den kommenden Jahren notwendig sein werden, um eventuell weitere Haftplätze einzurichten?

Justizminister Wolf beim Rundgang über die Messe „Jobs for Future“
Wolf: Eine Zahl speziell für den gegebenenfalls notwendigen Bau- und Sanierungsbedarf in den Gefängnissen habe ich nicht. Ich kenne die Zahl insgesamt für den Justizbereich. Wenn Sie die Gerichtsgebäude, die Staatsanwaltschaften, alles was im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums liegt – inklusive Gefängnisse – nehmen, dann haben wir einen Investitionsstau von derzeit 500 Millionen Euro.
Das ist eine Zahl von Gewicht.
Wolf: Das ist eine Hausnummer, da weiß man auch, dass man das nicht alles in den nächsten drei, vier Jahren realisieren kann. Aber die bauliche Ausstattung ist auch eine Voraussetzung für einen funktionierenden Rechtsstaat und deshalb muss sich hier in den nächsten Jahren auch etwas Nennenswertes tun.
Eine Kritik, die immer wieder vorgebracht wird, ist dass die Polizei einen guten Job macht, der Justizapparat aber nicht hinterherkommt und es bis zur Verhandlung von Straftaten viel zu lange dauert. Wie stehen Sie zu dem Vorwurf?
Wolf: Im Moment ist es leider so, dass der Personalkörper in der Justiz seit Jahren, vielleicht Jahrzehnten nicht hinreichend versorgt ist. Wir haben aktuell ein Defizit an Personal bei Gerichten und Staatsanwaltschaften von 211 Richterinnen, Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten. Wir machen jetzt mit dem Haushalt 2017 einen ersten großen Schritt, indem wir 74 zusätzliche Stellen schaffen. Aber diesem ersten Schritt müssen weitere Schritte folgen, denn ich will nicht, dass die Sanktionskette von der Polizei über die Staatsanwaltschaft bis zu den Gerichten nicht funktioniert. Wenn die Polizei gestärkt wird, müssen auch Staatsanwaltschaften und Gerichte gestärkt werden.
Die Strafverfolgung und Unterbringung von Häftlingen kostet enorme Summen, rund 3.800 Euro im Schnitt pro Monat pro Häftling. Wären Präventionsmaßnahmen nicht sinnvoller? Welche Möglichkeiten sehen Sie hier?
Wolf: Das eine tun ohne das andere zu lassen. Natürlich setzen wir sehr stark auf die Bewährungs- und Gerichtshilfe, natürlich setzen wir sehr stark auch auf Projekte wie etwa Schwitzen statt Sitzen. Wo wir auch präventiv wirken, wo wir alternativ Haftstrafen durch andere Maßnahmen ersetzen können, tun wir das. Aber andererseits ist der Rechtsstaat auch dazu da, jenen Menschen, die strafrechtlich in Erscheinung getreten sind, entsprechend den Buchstaben des Gesetzes zu bestrafen. Und wenn jemand ins Gefängnis gehen muss, weil der Richter ihn dazu verurteilt hat, dann muss er diese Strafe auch im Vollzug verbüßen.
Wir brauchen mehr Häuser des Jungendrechts
Sie haben im Herbst die Arbeit der Häuser des Jugendrechts gelobt. Das neueste wurde 2014 in Mannheim eingeweiht. Sollte es davon mehr geben und diese noch besser ausgestattet werden oder ist es gut so, wie es ist?
Wolf: Ich bin ein großer Befürworter dieses Systems der Zusammenführung von Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendhilfe und Gericht. Ich bin ein großer Befürworter einer schnellen Antwort auf Straftaten vor allem junger Menschen. Die Strafe muss der Tat auf den Fuß folgen, das hat auch einen erzieherischen Effekt, und deshalb leisten diese Häuser des Jugendrechts eine sehr gute Arbeit. Ich wünsche mir, dass sie auch Nachahmung finden in eher ländlichen geprägten Regionen. Da wird es wohl vielfach keine eigenständigen Häuser im direkten Sinn des Wortes geben, aber eine Zusammenarbeit der genannten Stellen kann dort trotzdem erfolgen, wenn Sie nur an die heutigen technischen Möglichkeiten denken. Ich finde, sich als Netzwerk, als Sicherheitsnetzwerk in diesem Sinne zu begreifen ist gut und zukunftsträchtig. Deshalb brauchen wir in Baden-Württemberg mehr solche Häuser des Jugendrechts, wie es in Mannheim erfolgreich betrieben wird.
In Mannheim soll die Videoüberwachung nach dem “Mannheimer Weg” wieder eingeführt werden. Inwieweit unterstützt Ihr Ministerium diese Maßnahme und kann das auch Vorbild für andere Städte sein?
Wolf: Für die gesetzlichen Voraussetzungen der Videoüberwachung ist zunächst das Innenministerium zuständig. Das ist vor allem auch eine Frage des Polizeigesetzes. Ich unterstütze die Überlegungen des Innenministers, hier erweiterte Möglichkeiten zur Videoüberwachung zu schaffen. Das betrifft sowohl die technischen Möglichkeiten der Videoüberwachung, aber auch deren Einsatz an anderen, an weiteren Plätzen jenseits der klassischen Kriminalitätsschwerpunkte.
Bei der Videoüberwachung geht es um die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit
Der Landesdatenschutzbeauftragte hatte sich kritisch in Sachen Videoüberwachung geäußert. Ärgern Sie diese datenschutzrechtlichen Bedenken, die ständig vorgebracht werden?
Wolf: Sie ärgern mich nicht, aber sie fordern mich heraus. Ich kenne wenige Menschen, die sich an Videoüberwachung stören oder die vor Videoüberwachung Angst haben, aber ich kenne extrem viele Menschen, die vor Kriminalität Angst haben. Und in dieser Stimmungslage muss die Politik schon aufpassen, dass sie diese Sorgen und Ängste der Menschen ernst nimmt, dass sie dem Anspruch der Menschen an einen funktionierenden Rechtsstaat auch gerecht wird. Deswegen bin ich in der Abwägung geneigt, in der Balance zwischen den datenschutzrechtlichen Belangen einerseits und den Herausforderungen der Sicherheit andererseits, Entscheidungen zugunsten verstärkter Videoüberwachung zu unterstützen.
Abschiebung ist Sache des Innenministeriums. Vor Weihnachten wurde allerdings die Abschiebung eines Afghanen verhindert, der angeblich zum Christentum übergetreten sei. Das Verwaltungsgericht hat ihm Opportunismus unterstellt und die Ausreisepflicht festgestellt. Ist das nicht ärgerlich für Sie, wenn Gerichtsurteile unterlaufen werden?
Wolf: Ich kann die Gründe des genannten Einzelfalls, die dazu geführt haben, dass die Abschiebung doch noch gestoppt wurde, nicht umfassend beurteilen, weil ich den Vorgang als solchen nicht kenne. Für mich als Justizminister ist aber entscheidend, dass im Rechtsstaat die Entscheidungen der Gerichte auch umgesetzt werden. Und wenn das Gesetz und auf seiner Grundlage ein unabhängiges Gericht eine Abschiebung für zulässig erklärt, dann halte ich es im Sinne des Rechtsstaates auch für notwendig, diese Abschiebung zu vollziehen.

Der Landtagsabgeordnete Georg Wacker und der auch für Tourismus zuständige Justizminister Guido Wolf informierten sich zu Gastro-Berufen auf der „Jobs for Future“.
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