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Heddesheim/Rhein-Neckar, 22. Februar 2011. Die Debatte um den “Doktortitel” und die Glaubwürdigkeit des Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg ist absurd. Weil zwei unterschiedliche “Denkwelten” miteinander streiten. Die Sehnsucht der Masse nach “Größe” überwiegt die konsequente Analyse von wenigen. Oder anders – der Kleingeist von vielen scheint in der Summe größer zu sein, als der Verstand von wenigen. Fatal ist, dass sich die Gesellschaft ihre Maßstäbe umdefiniert. Das Mittelmaß ist die zukünftige Größe der “Eliten”.
Von Hardy Prothmann
Vorbemerkung: Das Thema “Karl-Theodor zu Guttenberg” ist kein spezifisches Thema in unserer Region. Aber eines, das sicher von vielen Leserinnen und Lesern diskutiert wird. Auf “pushthebutton.de” berichte ich als Journalist und Berater über die Welt der Medien. Dort ist der nachfolgende Text am 22. Februar 2011 veröffentlicht worden.
Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg führt seinen Doktor-Titel zu unrecht. Die Hinweise auf diese These wiegen schwer.
Ist das so? Der offizielle Stand ist: Der Titel wurde ihm von der Universität Bayreuth mit “summa cum laude”, der höchsten Auszeichnung, im Jahr 2007 verliehen. Prüfer war der “renommierte” Jurist Peter Häberle, der wenig überraschend meinte, der Vorwurf des Plagiats sei “absurd”.
Ob Herr zu Guttenberg den Titel nun “führt”, “vorführt” oder nicht führt, kann er halten wie er will. Was er nicht kann, ist, den Titel eigenmächtig “zurückzugeben”.
Das kann nur die Universität, indem sie ihm den Titel aberkennt, ihn also wieder zum Nicht-Doktor “degradiert”, also disqualifiziert. Der Arbeit die Qualität abspricht von “summa cum laude” (mit höchstem Lob) zu “sine laude, sed ignominia” (ohne Lob, sondern Verlust der Ehre). Mal schauen, ob das so kommt…
Unser Guttenberg.
Schaut man auf die Reaktion der Menschen, steht glasklar fest: Die überwiegende Mehrheit “steht” zu “ihrem” zu Guttenberg. Doktor hin, Doktor her. (Allein auf einer Facebook-Seite haben sich innerhalb weniger Tage über 200.000 Fans eingefunden.)
Warum, ist einfach erklärt.
Viele dieser Menschen sagen “Doktor” mit Ehrfurcht beim ihrem Hausarzt, beim Facharzt, im Krankenhaus – auch zu Ärtzen, die gar keinen “Doktor” haben. Man wünscht sich einfach über den Mythos, dass der “Doktor” einem da, wo’s zwickt oder ernsthaft was nicht in Ordnung ist, hilft.
Das ist sehr egoistisch gedacht und es spielt überhaupt keine Rolle, dass Ärzte verglichen mit anderen Fachrichtungen oft mit einfachsten “Abhandlungen” ihre “Doktorwürde” erreichen können. Geisteswissenschaftliche Arbeiten sind meist umfangreicher, arbeitsintensiver und wissenschaftlicher. (Der Freitag hat dazu einen offenen Brief von Geisteswissenschaftlern der Uni München veröffentlicht, die in großer Sorge sind und überhaupt keine Bagatelle erkennen können.)
Aber das ist der Masse vermutlich alles viel zu “akademisch”.
Wenn’s ans Eingemachte geht, hofft man, dass der Doktor nicht nur “herumdoktort”, sondern weiß, was er tut.
Herr zu Guttenberg operiert nicht wirklich am offenen Herzen, sondern irgendwo in Afghanistan und sonstwo auf der Welt. Er ist so eine Art Chefarzt im weißen Kittel, die “operative” Arbeit machen andere.
Und irgendwo operiert doch – die Herzen der Masse.
Guttenberg bedient den deutschen Minderwertigkeitskomplex
Denn er bringt Eigenschaften mit, die zumindest im Ansatz verletzte deutsche Herzen pumpen und die ramponierte Seele jauchzen lässt. Man erhofft sich Genesung durch den Wunderdoktor. (Hier ein interessanter Text über das “Trauma der Deutschen – Bundeszentrale für politische Bildung, Schulungsmaterial.)
Endlich mal ein schnieker, straffer junger Mann, der sich mit seiner Frau medial ablichten lässt und die Herzen höher schlagen lässt. Fesch ist er und obwohl er sich die Haare gelt, wirkt er kein bisschen schmierig. Einer, der so auftritt, der muss doch was draufhaben.
Und ist Herr zu Guttenberg nicht ein “politisches” Talent? Und fiebern nicht Millionen Deutsche bei anderen “Talents-Shows” mit? Ist das nicht irgendwie dasselbe, wenn Talente in Playback-Sendungen Lieder “covern” und ein Verteidigungsminister halt in wahrscheinlich hunderten Fällen für den “Titel” woanders was “ausleiht”? (Eine drollige Fan-Post hat Harald Martenstein dazu im Zeit-Magazin geschrieben.)
Tatsache ist, dass die allermeisten Menschen mit einem “Doktor” und der damit verbundenen Arbeit nichts anfangen können. Wohl aber mit einem Adelstitel und einem “frischen” Auftreten.
Und man hat sich über viele Fotos ein Bild gemacht. Eins, über das man auch auf weitere Fähigkeiten des Verteidigungsministers schließt.
Und man denke an den ehemaligen Verteidigungsminister Volker Rühe. Der war zu blöd, sicheren Fußes über die afrikanische Steppe zu laufen und wurde, blöderweise “beim Stolpern” fotografiert. Was haben wir, das Volk, über diesen Deppen gelacht. Und gleichzeitig gelitten – wie denken wohl andere über uns mit so einem? Der Minderwertigkeitskomplex hat sich geschüttelt.
Ganz anders zu Guttenberg. In gesteiftem Kaki mit gewichsten Stiefeln geht der Blick mal in die Ferne, mal direkt in die Kamera. Ort des Shootings: das gefährliche Afghanistan, bei unseren Jungs. Der muss was draufhaben. Soviel steht fest.
Der gute Job zu Guttenbergs
Vergessen sind da all die Probleme bei der Aufklärung des Raketenangriffs in Afghanistan, toten Soldaten oder Gorch Fock. Denn das ist alles so furchtbar. Und zu Guttenberg handelt konsequent. Er suspendiert sofort die “Verantwortlichen” Offiziere. Dafür braucht es keine Prüfung. zu Guttenberg handelt.
Die Mehrheit meint, dass Herr zu Guttenberg seinen Job “gut” macht. Mit welchen Argumenten einzelne dieser Mehrheit ihre Meinung begründen, interessiert nicht. Am allerwenigsten die meisten Medien.
So werden kritische Medien zu “Hetzern”. Böswillig, hinterhältig, neidisch und weitere nicht gerade nette Eigentschaften wird diesen Medien und diesen Journalisten unterstellt.
Wiederum die große Mehrheit der Medien, allen voran Lokalzeitungen, stilisieren den Plagiator und Täuscher zu Guttenberg zum Helden. Haben wir nicht alle schon mal in der Schule abgeschrieben? Machen wir nicht alle Fehler? Sind wir nicht alle Menschen? Und was soll die Aufregung um eine Doktorarbeit? Kein von uns ist Doktor, der zu Guttenberg bald auch nicht mehr und deswegen ist er umsomehr wie wir. Einer von uns.
Was wäre wenn…?
Unser Karl-Theodor. Das ist so emotional wie “Unser Charly”, wo ein Affe die Titelrolle in einer mehr oder minder sinnfreien Vorabendserie spielt. Und was der Affe nicht so alles kann… Zwar ist alles Lug und Trug, aber es geht doch ans Herz.
Was würden die Leute aber sagen, wenn Herr zu Guttenberg ein Heizungsinstallateur-Meister wäre und herauskäme, dass er sein Gesellenstück aus anderen zusammengebastelt hätte?
Oder Bäcker, der das Rezept für leckere Brötchen bei anderen geklaut hätte?
Oder Friseurmeister, der mit Schnitten wirbt, die er nicht kann, die andere machen, für die der “Meister” aber teures Geld verlangt und Ruhm und Ehre einstreicht, die ihm nicht gebühren?
Was, wenn er ein Angestellter wäre, der betriebliche Verbesserungsvorschläge von anderen für seine Karriere nutzt, während die eigentlichen Ideengeber nichts davon haben?
Was, wenn er ein Kfz-Meister wäre, der einem bei seiner Ehre einen neuen Motor einbaut, tatsächlich aber Ersatzteile unbekannter Herkunft verwendet?
Warum gibt man nicht gleich das Patenwesen auf? Das ist doch bloß geistiges Eigentum.
In all diesen Fällen würde man solche Personen als Täuscher, Diebe, Prahler davonjagen – denn das würde selbst die Masse und der einzelne in ihr verstehen.
Maßstäbe
In Deutschland verlieren Menschen ihren Job, weil sie als Verkäuferin ein “Brötchen” für 1,50 Euro essen und nicht bezahlen. Oder Als Kassiererin einen Pfandgut-Bon nicht ordentlich verbuchen.
Arbeitgeber begründen durch eine solche “Tat” einen “Vertrauensverlust”, der nur eine Trennung zur Folge haben kann. Deutsche Gerichte folgen dieser Argumentation und Menschen, die eine schlecht bezahlte Arbeit machen, werden gefeuert.
Ob diese Menschen auch so milde über zu Guttenbergs dreites Abkupfern denken?
Die Masse derer, die nicht wissen, was geistiges Eigentum ist, werden auch nicht verstehen wollen, dass Wissenschaft sich dieses Eigentum “ausleihen” darf – aber nur, wenn man die Entleihung auch ordentlich kennzeichnet. Alles andere ist Diebstahl.
Karl-Theodor zu Guttenberg hat jedem, der ordentliche wissenschaftliche Arbeit macht, die Ehre abgeschnitten. Er ist ein schwarzes Schaf – vermutlich nicht das einzige, aber ein sehr prominentes.
Was würde Herr zu Guttenberg wohl mit einem Oberst anstellen, der sich den Rang erschlichen hat und in Wirklichkeit nur ein Gefreiter ist? Oder produziert Herr zu Guttenberg künftig lauter Köpenick-Hauptmänner, wenn er der Meinung ist, die machten ihren Job gut?
Kotau als Poliermittel für die eigene Befindlichkeit
Die Masse versteht den Kotau von zu Guttenberg als Niederwerfung vor ihnen selbst, der Masse. Auch damit ist zu Guttenberg einer von ihnen. Müssen sich nicht die meisten oft auch selbst niederwerfen? Vor dem Arbeitgeber, vor Gesetzen, vor “gesellschaftlichen Regeln”?
Sie wissen nach wie vor nicht, was eine wissenschaftliche Dissertation ist, vulgo “Doktor-Arbeit”. Aber sie verstehen, dass einer, der behauptet, sechs oder sieben Jahre lang daran gearbeitet zu haben, den “Überblick” anhand der vielen Zettel verloren zu haben. Das verstehen alle nur zu gut. Allein der Gedanke an die vielen Bücher oder Zettel lässt sie erschaudern.
Noch mehr verstehen sie, dass zu Guttenberg sich vier Jahre später sein “Werk” am “Wochenende” nochmal vorgenommen hat und feststellen musste, was er für einen “Blödsinn” geschrieben hat.
Die Frage, wie das sein kann, dass einer über sieben Jahre hinweg den Überblick verloren hat und vier Jahre später in nur zwei Tagen nach einer “eingehenden Prüfung” die frühere Orientierungslosigkeit mit klarem Blick als Blödsinn “enttarnen” kann, stellt kaum jemand. Zumindest nicht die breite Masse. Das scheint zu kompliziert zu sein und ist doch nur ein weiterer Hinweis, dass zu Guttenberg, wenn nicht knallhart lügt, dann aber nach Gutdünken die Wahrheit beugt.
Der Märtyrer
Die Tatsache, dass Herr zu Guttenberg von anderen dazu gezwungen wurde, spielt eine Rolle – für seine Rolle des Märtyrers. zu Guttenberg macht sich selbst zum Zeugen und ist bereit, einen Tod zu sterben. Dann gibt er ihn halt ab, den Doktortitel.
Viele Medien transportieren auch diesen Blödsinn – wie gesagt, zu Guttenberg kann den Doktor nicht abgeben. Der Titel kann ihm nur genommen werden. Für die Medien und die Masse spielt das keine Rolle. Es geht um die Show und das Talent und die nächste Folge.
Die Show treiben die Medien weiter – wohl wissend, dass das mit der Politik zu kompliziert für die Masse ist. Also werden Bilder geschaffen und bestätigt, Vereinfachungen gesucht und verbreitet.
Bis die Rollen verteilt sind: zu Guttenberg ist gut – die Kritiker sind böse. Ich bin für zu Guttenberg – die anderen sind dagegen. Ich finde, er macht einen guten Job – die anderen sind nur neidisch. Ich bin großzügig, genau wie zu Guttenberg, der braucht nämlich wie ich auch keinen Doktortitel. Und wenn ich urteile, dass der zu Guttenberg gut ist, dann bin ich das auch irgendwie, denn ich bin ja gewissermaßen ein Prüfer dessen, was er tut. Und dabei auch nicht schlechter oder besser als die da im Elfenbeinturm der Wissenschaft. Die haben ja auch nicht gemerkt, dass er abgekupfert hat.
Neudefinition von “Größe” – wie aus Blödsinn ein Wert wird
Und wenn sich solch kenntnislosen Denken im Mittelmaß erst einmal ausgebreitet hat und zu Guttenberg der Beste für den Job ist, dann sind auch alle die, die ihn unterstützen, die Besten. Logisch, oder? Quasi Elite. Und damit ist der “Beweis” erbracht, dass alle anderen nur elende Nörgler sind.
zu Guttenberg bedient mit seinem Verhalten den Wunsch und die Sehnsucht der vielen nach “Größe”. Beim Guttenberg-Syndrom- geht es nicht um Argumente, sondern um Glauben, der die “Glaubwürdigkeit” definiert.
Fatalerweise kommt es im Zuge dieses Reflexes zu einer Neudefinition von “Größe”. Ein “vorbildliches” Verhalten wird nicht mehr durch eine herausragende Arbeit definiert, sondern durch das “Bekenntnis” zur eigenen Unzulänglichkeit, zum eigenen “Blödsinn”.
Konsequent zuende gedacht, sind die Folgen fatal. Künftig könnte folgerichtig also jeder Depp Minister werden – er muss sich nur recht gut “ins Bild setzen” können. Dafür muss er noch nicht mal gut aussehen. Er muss nur Unterhaltungswert haben. Horst Schlemmer lässt grüßen.
Und er muss es verstehen, die Mehrheit der Medien für diese Inszenierung zu begeistern. Die Mehrheit der Masse wird dann folgen.
Am Ende wird das Mittelmaß mit Größe gleichgesetzt.
Die Masse will die nächste Folge sehen. Die “Folgen” spielen längst keine Rolle mehr.
Die nächste Folge gibts in Nürnberg, wo zu Guttenberg als Referent zu “Mit Werten in Führung gehen“ auftreten soll.
Begründung: “Auch Glaubensväter waren Sünder”. Na dann ist ja alles in Ordnung.
Zur Person:
Hardy Prothmann ist verantwortlich für das rheinneckarblog.de
Er hat 1989-1994 in der Regelstudienzeit von zehn Semester Germanistik und Politische Wissenschaften an der Universität studiert. Thema seiner Magisterarbeit war: “Das Geld der Dichtung. Vom Fortunatus zum Peter Schlemihl“. Prüfer war Prof. Dr. Jochen Hörisch. Note: 1,0.
Fortunatus ist ein junger Abenteurer, trifft auf seiner Reise durch Europa eine Fee, die ihm einen Wunsch erfüllen will. Er kann zwischen Schönheit, Stärke, Klugheit, einem langen Leben oder Reichtum wählen. Er wählt den Reichtum und kommt durch ein Glückssäckel zu unverhofftem Reichtum, muss aber lernen, dass sein Geld auch eine “Deckung” braucht. Immer wieder gerät er in Schwierigkeiten und hadert auch damit, nicht “Klugheit” gewählt zu haben. Aber Fortunatus lernt schnell. Deshalb wird er ein erfolgreicher Kaufmann, der sich später auch mit der Kirche, also dem “Glauben” und dem Adel, also der Macht, verbindet. Seine Söhne verstehen sein System nicht, der eine wird erschlagen, der andere stirbt vor Gram. Der erste bürgerliche “Roman” ist vermutlich 1509 in Augsburg erschienen und besticht durch präzise wirtschaftliche Kenntnisse der damaligen Zeit. Der Verfasser war wahrscheinlich ein Kaufmann.
300 Jahre später greift Adelbert von Chamisso den Stoff mit seiner Geschichte des Peter Schlemihl auf. Schlemihl erhält von einem Mann, der “Grauen” genannt wird, das Angebot “Fortunati Glückssäckel” im Tausch gegen seinen Schatten zu erhalten. Schlemihl willigt ein, wird aber bald aus der Gesellschaft ausgeschlossen, weil sich die Menschen vor jemandem ohne Schatten fürchten. Wieder bietet der Graue einen Tausch an, Schlemihl soll seinen Schatten zurückerlangen, dafür aber seine Seele geben. Schlemihl ist entsetzt, wirft den Geldbeutel in einen “Abgrund” und kauft sich ein paar Stiefel, mit denen er lange Strecken in kurzer Zeit zurücklegen kann. Er verbringt sein Leben einsam und widmet sich der Naturerforschung. In seinem Märchen thematisiert Chamisso Bild und Abbild, Sein und Schein, Glauben und Verlust desselben. Es geht um Werte und Moral, um die Gesellschaft und Reichtum und wie dieser “gedeckt” ist.
James Krüss nahm die Geschichte als Vorlage für seinen Roman Timm Thaler, der mit Thomas Ohrner in der Hauptrolle vom ZDF verfilmt wurde.
Karl-Theodor zu Guttenberg weist viele Parallelen auf: Er ist reich, sieht gut aus, ist verheiratet, aber es fehlt die große Anerkennung. Er wird Minister und dann stellt sich heraus, dass seine Schatten der Vergangenheit, bei Licht betrachtet, nicht mehr vorhanden sind oder nur sehr bläßlich. Wie auch immer die “Geschichte” ausgeht – er wird nach Auffassung des Autoren eine “traurige Figur” sein
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