Weinheim/Rhein-Neckar, 22. Februar 2016. (red/ms) Die CDU Baden-Württemberg verliert landesweit massiv an Zustimmung. In Umfragen bricht die Partei drastisch ein: Im Herbst 2015 wurden ihr in Baden-Württemberg noch fast 40 Prozent prognostiziert. Inzwischen ist dieser Wert auf nur noch etwa 30 Prozent geschrumpft. Die Grünen haben auf einmal realistische Chancen, zur stärksten Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg zu werden – und plötzlich müssen viele Kandidaten um ihr sicher geglaubtes Mandat fürchten. Dazu gehört auch der Abgeordnete Georg Wacker, der das Direktmandat im Wahlkreis über die vergangenen 20 Jahre verteidigt hat.
Von Minh Schredle
2006 war die Welt noch in Ordnung für die CDU. Damals gelang es der Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg überwältigende 69 von 70 Direktmandaten zu gewinnen – selbst nach Verteilung der Ausgleichsmandate verpasste die CDU die absolute Mehrheit im Landtag nur um einen einzelnen Sitz. Die schwarz-geführte Regierung in Baden-Württemberg war seit Jahrzehnten unantastbar und immer in Regierungsverantwortung.
Dann der schwere Schock 2011: Durch den rasanten Aufstieg der Grünen, beflügelt durch den Fukushima-Effekt, kam es überraschend zum Regierungswechsel. Zwar gelang es der CDU noch immer mit deutlichem Abstand die meisten Direktmandate zu gewinnen, doch die Fraktion verlor neun Sitze. Gleichzeitig muss der Regierungspartner FDP massive Stimmenverluste hinnehmen und hat nach der Wahl nur noch sieben statt 15 Sitze. Damit reicht es nicht mehr für eine Mehrheit.
Grüne gewinnen weiter Zustimmung
Ohne die Vorfälle von Fukushima hätten die Grünen 2011 wahrscheinlich nicht einmal im Ansatz so ein gutes Ergebnis erzielt: Mit 24,2 Prozent der Stimmen konnten sie ihre Mandate im Vergleich zur vorangegangenen Wahl mehr als verdoppeln – und sie konnten die CDU in gleich neun Wahlkreisen überholen und dort die Direktmandate gewinnen. Ein halbes Jahr vorher hätte damit wohl niemand gerechnet.

Seit 1996 hat Georg Wacker das Direktmandat im Wahlkreis Weinheim gewonnen – diesmal wird es sehr, sehr eng. Archivbild.
Zwischen 2006 und 2011 hat die CDU gut fünf Prozentpunkte einbüßen müssen. Am 13. März 2016 werden die Verluste aller Voraussicht nach noch deutlich drastischer: Nach aktuellen Umfragen steht die CDU nur noch bei etwa 30 Prozent – sie läuft Gefahr, in Baden-Württemberg ihr schlechtestes Wahlergebnis aller Zeiten einzufahren. Nach der jüngsten Erhebung von Insa ist sie nicht einmal mehr die stärkste Kraft in Baden-Württemberg – denn die Grünen kommen aktuell auf 30,5 Prozent.
Wer hätte das für möglich gehalten? Innerhalb von zehn Jahren verliert die Volkspartei CDU sage und schreibe 15 Prozent und aus einem schwarzen Baden-Württemberg wird ein grünes. Viele Politologen und Journalisten hatten 2011 gemutmaßt, dass die Grünen ohne ein „zweites Fukushima“ schnell wieder Stimmen einbüßen würden – doch das Gegenteil zeichnet sich ab: Die Partei hat sich gefestigt und gewinnt weiterhin Zustimmung.
Feste Strukturen lösen sich zunehmend
Dadurch geraten feste Strukturen ins Wanken – und plötzlich müssen viele Landtagskandidaten der CDU anfangen, um ihr Mandat zu bangen. Wieder ist es wie 2011: Noch vor wenigen Monaten hätte das kaum jemand für möglich gehalten, auch wenn diesmal ganz andere Fragen die Debatten bestimmen. Inzwischen stellt sich aber gar nicht mehr die Frage, ob die CDU weitere sicher geglaubte Direktmandate an die Grünen verlieren wird – sondern nur noch: Wie viele?
Beispielsweise wäre da der Wahlkreis Weinheim. Eigentlich eine Festung der CDU – und zwar seit Jahrzehnten. Der Abgeordnete Georg Wacker ist einer, dessen Wahlsieg vor wenigen Wochen wohl noch niemand ernsthaft in Frage gestellt hätte. Seit 20 Jahren hat er hier das Direktmandat verteidigt, immer mit deutlichem Abstand. Doch auch für ihr wird es voraussichtlich richtig eng – denn überträgt man den Landestrend auf Weinheim, liegt der grüne Landtagsabgeordnete Hans-Ulrich Sckerl vorne.
Es wird richtig eng im Wahlkreis Weinheim
2001 und 2006 kam Herr Wacker auf jeweils 42,6 Prozent der Stimmen. 2011 waren es nur noch 35 Prozent. Gegenbewerber Sckerl verbesserte hingegen das Wahlergebnis für sich von 12,6 Prozent auf 26,4 Prozent im Jahr 2011. Im Vergleich zu den landesweiten Ergebnissen von CDU und Grünen war das Ergebnis von Herrn Wacker leicht unterdurchschnittlich, das von Herrn Sckerl leicht überdurchschnittlich.
Überträgt man nun die aktuellen Umfragewerte auf die Ergebnisse der Kandidaten von 2011 würde Herr Wacker nur noch auf 26,9 Prozent der Stimmen kommen und Herr Sckerl mit 33,4 Prozent das Direktmandat gewinnen. Ganz so einfach geht das natürlich nicht, denn noch etliche andere Faktoren spielen eine entscheidende Rolle.
Trotzdem ist schon heute ersichtlich: Es wird richtig eng für Herrn Wacker. Sollte er das Direktmandat nicht gewinnen, bedeutet das vermutlich, dass er nicht mehr in den Landtag einziehen wird. Da die CDU im Vergleich zu ihrem prozentualen Wahlergebnis in der Regel überproportional viele Direktmandate gewinnt, kommen ihr meist keine oder kaum Ausgleichsmandate zu.
Das Ende der letzten Volkspartei?
Es könnte also historisch werden im Wahlkreis Weinheim. Noch ist aber nichts sicher. Denn auch das Abschneiden der anderen Kandidaten wird entscheidend sein: Wie wird sich Gerhard Kleinböck (SPD) schlagen? Statistisch sieht es auch für ihn momentan nicht besonders rosig aus – rechnerisch müsste auch er mit etwa 16 Prozent um sein Mandat bangen. FDP und die Linke müssen hart um den Einzug in den Landtag kämpfen – in Weinheim haben die Kandidaten Andrea Reister und Matthias Hördt nach den Erfahrungen der vergangenen Wahlen gute Chancen, überdurchschnittliche Ergebnisse zu erzielen.
Eine zentrale Rolle wird auch AfD-Kandidat Michael Ott spielen. Denn wie der abschneiden wird, ist nach gegenwärtigem Stand besonders schwer zu beurteilen. In der jüngsten Umfrage zur Landtagswahl hat sich die AfD wieder auf 10 Prozentpunkte verschlechtert. Doch wie sieht es in Weinheim aus? Erfahrungswerte gibt es bislang nicht – tendenziell hat die AfD aber verschiedenen Umfragen zufolge insbesondere im nordbadischem Raum überdurchschnittliche Zustimmungswerte – schließlich drängt hier die Flüchtlingskrise am stärksten. Ihr Zugewinn an Stimmen geht dabei vor allem auf Kosten der CDU.
Nun sind Umfragen kein Wahlergebnis, sondern ein Stimmungsbild. Man sollte sämtliche Prognosen mit Vorsicht genießen. Bis zur Wahl kann sich noch einiges verändern und sicher sind die Zahlen erst, wenn das amtliche Endergebnis vorliegt. Doch müsste man taub und blind sein, um den massiven Stimmungswechsel in der Bevölkerung zu übersehen. Es gehört schon eine gute Portion Mut dazu, die SPD bei ihren aktuellen Zustimmungswerten noch als Volkspartei zu bezeichnen – wenn es so weiter geht, wie bisher, wird es der CDU bald ähnlich gehen.