Mannheim/Rhein-Neckar, 22. November 2018. (red/pro) Der Hauptausschuss stimmte am Dienstag für den Neubau der Stadtbibliothek auf N2. Nur Freie Wähler und Bürgerfraktion stellten sich mit einem Nein gegen das Projekt. Am 04. Dezember wird der Gemeinderat entscheiden. 2019 würde ein Architektenwettbewerb durchgeführt, Baubeginn könnte 2020 sein, 2013 dann Eröffnung. Schon jetzt kann man damit rechnen, dass es trotz mehrheitlicher Zustimmung harte Debatten geben wird.
Von Hardy Prothmann
Ich bin aktuell 52 Jahre alt. Im Alter zwischen 6 und 16 Jahren, also ein gutes Jahrzehnt, habe ich viele Stunden meines Lebens in der Frankenthaler Stadtbücherei verbracht. Warum? Weil ich ein Bücherfresser war. Also, ich habe sie gelesen, aber die geistige Nahrung gefuttert, als gäbe es kein Morgen. 1972-1982 gab es weder hunderte von Fernseh- und Hörfunkprogrammen und schon gar kein Internet oder Smartphones. Bücher waren der Zugang zur Welt und in Abenteuer der Phantasie.
Eine der absolut wesentlichen Grundlagen von Bildung sind Bücher – und bleiben das auch. Natürlich braucht es dazu auch die Fähigkeit zu lesen. Wissen Sie, woher das Wort Text stammt? Lateinisch textus – das Gewebte. Auch die Textilie leitet sich davon ab. Texte sind gewebte Worte und Gedanken – ineinander verschlungene Zeichen.
Im Laufe meiner journalistischen Arbeit habe ich schon einige junge Menschen begleitet. Um deren Geist zu öffnen, erhalten sie Lektionen zum Nachdenken. Beispielsweise über das Wort „lesen“. Bislang habe ich noch keinen getroffen, selbst mit herausragenden Schulabschlüssen, der sich damit auseinandergesetzt hatte (was ein Schul- und damit ein anderes Problem ist).
Lesen geht auf lateinisch legere, suchen, sammeln zurück und ist eine der ältesten Kulturtechniken. Gerade in der vorschriftlichen Zeit mussten Menschen lesen lernen, um zu überleben. Probieren Sie es aus: Nehmen Sie eine Lesehaltung ein. Natürlich könnten Sie sich jetzt hinlegen und die Arme von sich strecken, um ein Buch, eine Zeitschrift oder ein elektronisches Gerät von sich zu halten. Ich meine aber die klassische Haltung und die ist, den Kopf etwa 45 Grund nach unten abzuwinkeln. Wenn Sie jetzt das Medium in der Hand weglegen, wo gucken Sie hin? Richtig, auf den Boden vor Ihnen. Die frühen Menschen machten das nicht anders und lasen Spuren. War diese klein, bestand sie aus mehreren Eindrücken nebeneinander, beschleunigte man den Schritt, denn das Tier, das diese Spur hinterlassen hatte, konnte man essen. War die Spur hingegen größer und deutete auf Ballen und Krallen hin, nahm man in die andere Richtung Reißaus, denn dieses Tier würde einen selbst fressen wollen. Häufig diente das Lesen aber dem Auflesen von Beeren, Knollen und Kräutern für den täglichen Bedarf und dem Sammeln von Holz, um ein Feuer zu machen.
Wer seinen Kindern etwas Gutes tun will, liest ihnen vor und motiviert sie, selbst gut lesen zu können und das auch gerne zu tun. Und eine Stadtgesellschaft, die etwas auf sich hält, die Kulturträger und – entwickler sein will, legt erheblichen Wert auf einen Ort des Lesens, also eine Bibliothek (griechisch „Buch-Behälter“).
Insofern ist die Überwindung des aktuellen Zustands mit zwei Standorten im Stadthaus und im Dalberghaus und die Fülle der baulichen Einschränkungen ein absolut wichtiges Ziel, das einen Neubau unumgänglich macht. Schön, dass es dafür eine breite Mehrheit im Gemeinderat gibt.
Es wird Streit um die Kosten geben
Weniger schön sind die Auseinandersetzungen, die sich andeuten. Der CDU-Vorsitzende Claudius Kranz forderte, dass die geschätzten 33 Millionen Euro eine Obergrenze sein müssten. Der erfahrene Stadtrat weiß zu gut, dass dem vermutlich nicht so sein wird. Er legt eine Fährte, deren Lesart absehbar ist: Sobald der finanzielle Rahmen überschritten ist, kann der Angriff auf die „Fehlplanung“ der Stadtverwaltung beginnen. Eine solche Spur kann man auch als Trampelpfad bezeichnen.
Prof. Dr. Achim Weizel (Freie Wähler) und Eberhard Will (Bürgerfraktion) bezweifeln, ob der Preis von 3.300 Euro auf gut 10.000 Quadratmeter gerechnet, realistisch sei. Vermutlich ist er das nicht, auch wenn Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz meinte, bei der Kunsthalle sei der Realisierungspreis ähnlich gewesen. Warum die Stadt hier nicht gleich höher ansetzt, weiß ich nicht – vielleicht darf sie das aus rechtlichen Gründen nicht.
Langweilig wird es, wenn wieder mal die Standortfrage auf den Plan gerufen wird. Die SPD hätte den Neubau gerne am Alten Meßplatz gehabt, erinnerte Stadtrat Reinhold Götz. Kalter Kaffee. Die Gemeinderatsmehrheit hat sich vor einem Jahr für N2 entschieden und dieser Standort ist besser geeignet, weil im Zentrum der Kernstadt und nicht an einem Ort, der aktuell als Kriminalitätsschwerpunkt gilt und kameraüberwacht wird.
Man kann jetzt natürlich ideologisch werden und meinen, dass eine Bibliothek am Rande eines der Problemviertels der Stadt (Neckarstadt-West) zur Aufwertung und Integration beitragen würde – man könnte aber auch meinen, dass dies eine wesentliche Eigenschaft erheblich beeinträchtigen würde, nämlich einen „barrierefreien“ Zugang. Ein Stadtbibliothek sollte aus ideologischen Debatten herausgehalten werden.
Idealistische Ziele gerne, ideologische nicht
Der Plan, die neue Stadtbibliothek zu einem Ort der Zusammenkunft, der Communities, der Begegnung, des gemeinsamen Erlebens zu machen, trägt auch idealistische Ziele, aber die lassen sich verwirklichen. Wie die räumlichen Konzepte aussehen könnten, muss der Architektenwettbewerb erbringen. Und gerade hier sind die Stadtgesellschaft mit all ihren Vereinigungen gefragt, um sich einzubringen und insbesondere die Stadt sollte insbesondere dieses Projekt mit aktiver Bürgerbeteiligung gestalten. Denn kaum eine städtische Einrichtung ist bürgernäher als eine Stadtbibliothek.
Egal, ob sie als Einstieg in Bildung oder als Ort der Weiterbildung oder Treffpunkt oder als ein Mittel zur Integration betrachtet wird – die neue Stadtbibliothek muss ein multifunktionaler Ort werden. Dazu gehören das klassische Buch wie neue Medien, aber auch Wege der Informationsvermittlung.
Wer meint, im Zeitalter des Internet sei eine Bibliothek ein Anachronismus, sollte sich erst einmal einlesen und die Fakten zusammenlesen. Eine modere Bibliothek bietet in viel höherem Maße Zugang zu Wissen, als dies über einen privaten Internetanschluss möglich ist. Und zwar günstig. Beispielsweise zu teuren Datenbanken oder elektronischen Medien, die sich nicht jeder leisten kann. Und durch geschultes Personal hat man Wissensführer, die die Suche nach Informationen erleichtern.
Auch für eine Wissensgesellschaft ist der Zugang und der Umgang mit Wissen nicht selbstverständlich, sondern muss gelernt und ständig geübt werden – Bibliotheken sind dafür essentielle Orte.
Zu begrüßen ist, dass die Stadt Bauherr und Träger der Stadtbibliothek bleibt. Die Mannheimer Parkhausbetriebe werden eine Tiefgarage errichten und betreiben, die die wegfallenden 286 Parkplätze des Parkhauses einigermaßen kompensieren soll. Nach RNB-Informationen werden es über 200 sein, ob also nur „ein paar weniger“ am Ende rauskommen oder deutlich weniger, ist noch offen. Wichtig ist, dass nicht nur der Handel, sondern auch die Bibliothek mit Auto, Bahn, Fahrrad oder zu Fuß erreicht werden können.
Stadtrat Thomas Trüper (Die Linke) meinte, eine moderne Bibliothek trage auch zur „Bildungsgerechtigkeit“ bei. Wie liest man solche eine Aussage? Dass es „Bildungsungerechtigkeit“ gäbe? Soweit bekannt, hat schon heute jeder Bürger, ob klein, ob groß, Zugang zu den Informationen in öffentlichen Bibliotheken. Niemand wird aufgrund der Herkunft oder Hautfarbe abgewiesen. Was also könnte der Stadtrat meinen? Die Bildungsferne von Teilen der Bürgerschaft wird eine moderne Stadtbibliothek nicht verringern können. Sie macht nur ein Angebot, das man annehmen will oder es sein lässt.
Tatsächlich kann eine moderne Stadtbibliothek mit modernen Konzepten möglicherweise bisherige Barrieren niederschwelliger machen. Dazu gehören selbstverständlich fremdsprachliche Angebote, aber auch weltanschauliche und religiöse Inhalte anderer Kulturen. Man muss hier also auch den Koran und Schriften über den Koran finden können (im Katalog) – darf man aber auch Schriften aus „rechten Verlagen“ anbieten? Oder „Mein Kampf“ (ist im Katalog)? Auch das könnte für politisch-ideologischen Streit sorgen, wie man aktuell an verschiedenen Stellen beobachten kann, wenn beispielsweise Buchhändler boykottiert werden, die solche Materialien anbieten. Oder: Welche Arten von Spielen dürfen angeboten werden, welche nicht?
Wesentlich wird sein, dass sich die Stadtbibliothek nicht politisch instrumentalisieren lässt, sondern eine klare Linie fährt. Besonderes Augenmerk ist hier auf Angebote für junge Menschen zu richten – wer, wie ich, in jungen Jahren an einen solchen Wissensort herangeführt wird, macht ganz unglaubliche Entdeckungen über die Welt, die man an einem zentralen Ort bereisen kann. Und heutzutage auch über das Internet, indem man über einen Zugang auf den Informationsschatz einer modernen Stadtbibliothek zugreift, egal, ob im Kinderzimmer oder der Bahn oder am Baggersee.
Ja, mit der Entscheidung für den Neubau geht es auch um die Frage der Neugestaltung des Dalbergplatzes und was man mit dem Dalberghaus macht. Auch die Zukunft des Stadthauses in N1 steht auf dem Plan – aber alles zu seiner Zeit.
Stadtrat Dirk Grunert, im Hauptberuf Lehrer, forderte mehr Grün auf dem Dalbergplatz und eine Fassadenbegrünung für die Stadtbibliothek.
Das fand ich bemerkenswert an dieser Sitzung: Es ging nur um Kosten, Standorte, Parkplätze, Gestaltungsfragen, aber so gut wie mit keinem Satz um die Bedeutung und Funktion einer Bibliothek und schon gar nicht um Inhalte. Das war im Kontext gelesen, insgesamt intellektuell (kommt von lateinisch interlegere, dazwischen lesen) doch einigermaßen brutal ernüchternd.