Rhein-Neckar, 22. April 2015. (red/nw) Für eine bessere Zukunft scheuen viele Flüchtlinge selbst lebensgefährliche Reisen in überfüllten Booten über das Mittelmeer nicht. Doch wenn sie es ins vermeintlich sichere Europa geschafft haben, empfängt sie die große Unsicherheit – werden sie anerkannt oder nicht? Der Weg durch die Behörden ist lang und beschwerlich.
Von Nadja Weber
Ist die oft lebensgefährliche Flucht überstanden, beginnt ein schier endloser Weg mit bürokratischen, sprachlichen und kulturellen Hürden. Vorausgesetzt, man entkommt den Grenzkontrollen und der Haft. Das Thema “Asylbewerber” ist in Deutschland derzeit aktueller denn je. Doch statt einem “Willkommen” werden die Flüchtlinge mit einer immer stärkeren Abwehrhaltung konfrontiert.
Doch egal, ob ein Flüchtling bleiben darf oder ins Heimatland abgeschoben wird – er muss sich durch ein undurchsichtiges Geflecht aus behördlichen Schreiben, Anhörungen und Bürokratie kämpfen. Das intransparente Asylverfahren gliedert sich in viele Paragraphen. Wenige wissen, in welchen Schritten es abläuft.
Wie alles beginnt
Kommt ein Asylbewerber in Deutschland an, muss er sich bei der nächsten Landeserstaufnahmestelle (LEA) melden. Die jeweilige Aufnahmeeinrichtung speichert die Daten in der europaweiten Datenbank EURODAC. Hier müssen alle Ankömmlinge über 14 Jahren ihre Fingerabdrücke hinterlassen. Diese „erkennungsdienstliche Behandlung“ wird angewendet, um herauszubekommen, ob sich der Asylbewerber schon einmal in Deutschland oder Europa aufgehalten hat.
Dank der computergestützten Datenverarbeitung lässt sich heute relativ schnell eine Doppelidentität oder eine Mehrfachantragstellung feststellen. In einem weiteren Schritt werden persönliche Dokumente, ein Pass – falls vorhanden – Aufenthaltsgenehmigung oder Flugschein an die Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weitergeleitet.
Formale Antragsstellung auf Asyl
Der Asylantag wird bei der jeweiligen Außenstelle der BAMF eingereicht und überprüft. Hier ergibt sich die nächste Hürde für den Ankömmling. Da nicht jede Außenstelle für jedes Herkunftsland verantwortlich ist, wird der Asylbewerber in die zuständige Außenstelle gebracht. In Deutschland wurden im ersten Quartal 2015 rund 75.000 Erstanträge eingereicht.
Ist der Asylantrag bei den Beamten in Bearbeitung, beginnt eine Zeit des Wartens. Eine Zeit der Ungewissenheit. Ob man sich zwei Wochen oder zwei Jahre gedulden muss, das kann niemand sagen. Der Flüchtling wird über seine Pflichten informiert: Ständige Erreichbarkeit, Sorgfalts- und Anwesenheitspflicht bei der Anhörung sind nur wenige Beispiele.
Die deutsche Sprache ist dabei ein weiteres Hindernis. Bestenfalls steht dem Asylbewerber ein Dolmetscher zur Verfügung. Kann er den Pflichten nicht nachkommen, wird der Antrag abgelehnt. Jede Adressänderung ist dabei umgehend der BAMF mitzuteilen.
Theorie im Widerspruch zur Praxis
Anträge ausfüllen, einreichen, warten und hoffen. In der Theorie ein durchdachter verwaltungstechnischer Akt. In der Praxis oft Chaos. Oftmals überschneiden sich die Zustellungen der Behörde mit einem angeordneten Umzug. Dann erreicht die Mitteilung den Betroffenen nicht und sein Antrag wird abgelehnt.
Der nächste Schritt im Asylverfahren ist die Anhörung. Dieser Termin entscheidet über die weitere Zukunft eines Flüchtlings. Er kann von einem Beistand, seinem Rechtsanwalt oder einem Dolmetscher begleitet werden. Die Kosten trägt er selbst. Von der Situation im Heimatland, über Familienmitglieder bis hin zu persönlichen Fluchterlebnissen, muss der Antragssteller sein gesamtes Fluchtschicksal den Beamten offenbaren. Aufgrund der sprachlichen Barriere kommt es häufig zu missverständlichen Protokollaufzeichnungen. Die Aussagen, die der Flüchtling in seinem “Erlebnisbericht” trifft, werden oft sorglos zusammengefasst.
Die Entscheidung
Die inhaltliche Bearbeitung des Asylantrags kann einige Wochen oder mehrere Jahre dauern. Die Wartezeit bedeutet für viele Bewerber eine enorme psychische Belastung. Getrennt von der Familie in einem fremden Land warten sie auf eine Entscheidung. Müssen sie „zurück in die Hölle“ oder wird ihnen ein „Aufenthalt im Paradies“ genehmigt?
Innerhalb der vergangenen zehn Jahre erhielten nur rund zwei Prozent aller Antragsteller eine Anerkennung als Asylberechtigter. Wird ein Antrag genehmigt, erhält der betroffene Flüchtling ein Aufenthaltsrecht für drei Jahre. Wer die Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention nicht erfüllt, kann aber trotzdem als schutzbedürftig eingestuft werden.
Subsidiären Schutz erhalten diejenigen, die beispielsweise aufgrund von Bürgerkrieg nicht ins Heimatland zurückgeschickt werden können. Seit 2000 liegt der Anteil an schutzbedürftigen Asylbewerbern bei etwas mehr als zwei Prozent.
Antrag abgelehnt
Nach Angaben des Fördervereins Pro Asyl wurden im Jahr 2013 38,5 Prozent aller Anträge abgelehnt. Die Gründe für eine Abschiebung fasst Günter Loos, Pressesprecher des Innenministeriums Baden-Württemberg kurz und knapp zusammen:
Widerrechtlicher Aufenthalt in Deutschland.
Andererseits kann ein Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden. Dies tritt ein, wenn dem Betroffenen fehlende oder falsche Angaben nachzuweisen sind. Beispielsweise täuscht oder verweigert er seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder er hat unter Angabe anderer Personalien einen weiteren Asylantrag gestellt. Tritt der Betroffene seine Rückreise nicht freiwillig an, kommt er zunächst in Ausreisegewahrsam. Steht er in Verdacht, sich der Ausreise zu entziehen, soll er in Zukunft für maximal vier Tage in Gewahrsam genommen werden können. Möglichst direkt im Transitbereich eines Flughafens.
Gibt ein Flüchtling seine Identität nicht bekannt, kann er sogar in Abschiebehaft kommen. Auch wer hohe Geldsummen an einen Schleuser gezahlt hat, um nach Deutschland zu gelangen, kann inhaftiert werden. Die Zahl der Abschiebungen hat sich in den letzten Jahren in Baden-Württemberg erhöht. 2013 waren es 1.055, ein Jahr später 1.211 Fälle. In diesem Jahr wurden bisher fast 500 Flüchtlinge abgeschoben – bis zum Jahresende wären das hochgerechnet rund 2.000.
Sind Asylbewerber aufgrund ihres Gesundheitszustandes oder fehlender Verkehrsverbindungen nicht im Stande auszureisen, erhalten sie in Deutschland eine Duldung. Derzeit gibt es 86.000 Geduldete, die größtenteis aus dem ehemaligen Jugoslawien, dem Irak und der Türkei stammen. In Baden-Württemberg leben zum 31. Januar 2015 13.173 geduldete Personen.
Flüchtling kann Klage einreichen
Wird ein Asylantrag vom BAMF abgelehnt, hat der Flüchtling die juristische Möglichkeit, die Entscheidung einzuklagen. Doch hier steht der Asylbewerber vor neuen bürokratischen Hürden. Die Klage muss er innerhalb einer 14-tägigen Frist nach Bescheid der BAMF beim Verwaltungsgericht einreichen. Wird die Klage abgewiesen, hat der Betroffene kein Recht auf ein weiteres Widerspruchsverfahren. Außerdem ist das Verwaltungsgericht die einzige Instanz, die derartige Fälle abhandelt.
Wer bleibt auf den Kosten sitzen? In aller Regel der Kläger, also der Flüchtling. Auf Prozesskostenhilfe können sich die Asylbewerber meist nicht verlassen. Der Mannheimer Rechtsanwalt Jörg Schmidt-Rohr erklärt:
Um eine Prozesskostenhilfe zu bekommen, muss ein wichtiges Kriterium gegeben sein: Aussicht auf Erfolg.
Das haben die meisten Asylkläger nicht. Es besteht allerdings die Möglichkeit, sich einen Anwalt zu nehmen. Die Kosten trägt der Flüchtling selbst. 800 Euro, die ein Rechtsanwalt im Schnitt für ein Asylverfahren erhält, sind für den Bewerber viel Geld. Eine monatliche Ratenzahlung können sich viele nicht leisten. Herr Schmidt-Rohr erklärt:
Die Rechtsanwälte sind überfordert. Das liegt vor allem daran, dass es nur wenige Asylanwälte gibt.
Bis ein Flüchtling in Deutschland als gut integrierter, legaler und unbesorgter Mensch leben kann, ist es ein langer Weg. Viele gehen ihn. Viele scheitern. Um das Ziel eines sicheren Aufenthaltsstatus zu erreichen, gehören zu einem starken Willen vor allem viel Geduld, Durchhaltevermögen und letztlich auch Glück.