Mannheim/Rhein-Neckar, 21. Februar 2014. (red/ms) Weswegen wird unsere Sprache kontinuierlich durch neuartige Begriffskreationen erweitert? Und warum halten sich manche davon Jahre und Jahrzehnte hartnäckig im Sprachgebrauch, bis sie aus der Alltagssprache kaum noch wegzudenken sind – während andere schnell wieder in Vergessenheit geraten? Diesen Fragen widmet sich Dr. Doris Steffens, die am Institut für Deutsche Sprache (IDS) arbeitet. Gestern präsentierte sie einige ihrer Forschungsergebnisse laiengerecht im Rahmen einer Vortragsreihe, die gerade am IDS stattfindet, um das 50-jährige Jubiläum des Instituts zu feiern.
Von Minh Schredle
Der Wortschatz der Deutschen ist rapide am Wachsen: Allein in den vergangenen Jahrzehnten um mehr als eine Milliarde Begriffe. Neologismen und Wortübernahmen aus anderen Sprachen lassen sich überall finden: Im Sport, der Wirtschaft, Politik, Musik. In jedem Gebiet – und sie werden von allen Altersgruppen verwendet.
Allerdings kommen sie in manchen Milieus häufiger vor. Etwa in der Jugendsprache, der Werbung oder der IT-Branche. Frau Dr. Steffens hat eine Erklärung dafür:
Neue Wortverwendungen lassen sich vor allem dort finden, wo eine Gesellschaft mit neuen Umständen und Gegebenheiten konfrontiert wird. Um diese adequat und differenziert in der Sprache abbilden zu können, braucht es neue Begriffe.
Sie arbeitete mit am ersten deutschen Neologismenwörterbuch – in dem allerdings keine Neologismen stehen: Denn als Wortneuschöpfungen sind Ausdrücke, die sich fest in der Alltagssprache etabliert haben, wohl kaum zu bezeichnen. „Neologismus“ ist daher also eher ein Verweis auf den historischen Kontext und bezeichnet hier neu aufgekommene Worte, die sich im Alltag etablieren konnten.
Keine Eintagsfliegen im Lexikon
Wichtig ist, dass es sich bei den aufgenommenen Begriffen nicht um Okkasionalismen handeln soll – also „Eintagsfliegen“, die nach kurzer Zeit niemand mehr verwendet. Interessant ist, dass jeder Begriff, der sich später im Lexikon finden lässt, dieses Stadium okkasionalistischen Gebrauchs durchlaufen haben muss.
Dafür, wie sehr ein Begriff von einer Gesellschaft akzeptiert wird oder wie gut er von den allermeisten verstanden wird, gibt es diverse Indikatoren: So werden fragliche, noch sehr neuartige Worte gerne in Anführungszeichen gesetzt oder es steht ein „so genannt“ davor oder sie werden kursiv geschrieben.
Viele Anglizismen werden übernommen
Die meisten neuen Begriffe stammen aus dem Englischen. Die Anzahl der geläufigen Anglizismen ist mit dem Aufkommen des Internets drastisch angestiegen: Hashtag, Blog, App, liken, surfen – und die Liste ließe sich nahezu beliebig weit fortführen. Häufig werden die englischsprachigen Worte unverändert aufgenommen – dann spricht man von einer Entnahme.
Manchmal wird der Begriff auch übersetzt. Der Ausdruck „ökologischer Fußabdruck“ stammt beispielsweise von der englischen Neuschöpfung „ecological footprint“. Hin und wieder kommt es sogar vor, dass eine Übersetzung im Nachhinein einen bereits etablierten Anglizismus wieder verdrängt: So wird mittlerweile häufiger „herunterladen“ anstelle von „downloaden“ verwendet.
Aus anderen Sprachen vornehmlich Substantive
Auch aus anderen Sprachen werden Worte entnommen, allerdings sehr viel seltener. Und dann handelt es sich meistens um Nomen: Karaoke, Sodoku, Chi Gong und Kung Fu. Frau Dr. Steffens sagt dazu:
Bei solchen Worten handelt es sich meistens um neuartige Phänomene, für die noch keine Begriffe vorhanden sind. Da erspart es eine Menge Aufwand, sie einfach zu übernehmen. Aber wir tut uns schwer, Begriffe aus Sprachen, die dem Deutschen sehr unähnlich sind, unserer Grammatik zu unterwerfen oder als Verben zu verwenden.
So tut es dem Sprachgefühl kein Leid an, zu sagen:
Geheime Daten sind geleakt.
Während dagegen kaum einer sagen würde:
Gestern Abend habe ich gekaraoket.
Neben Entnahmen gibt es allerdings noch zahlreiche andere Formen, wie neue Wörter in unsere Sprache aufgenommen werden können. Etwa in dem zwei vorhandene Begriffe neu kombiniert werden. Oft soll so eine griffige Bezeichnung für ein noch nicht da gewesenes Vorgehen gefunden werden – etwa die Abwrackprämie.
Medien sorgen für Verbreitung
Ob sich ein Begriff durchsetzen kann, hängt von vielen Faktoren ab. Ein entscheidender ist die öffentliche Aufmerksamkeit. Frau Dr. Steffens führt dazu ein Beispiel an:
Jamaika-Koalition wurde das erste Mal 2004 verwendet, als sie auf kommunaler Ebene in Frage kam. Da hatte es jedoch kaum eine überregionale Bedeutung. Als dagegen am Wahlabend 2005 eine Koalition zwischen CDU, FDP und den Grünen auf Bundesebene denkbar war, war das Wort plötzlich in jedermanns Munde.
Was ebenfalls im Neologismenwörterbuch anzufinden ist, sind solche Begriffe, die in der Fachsprache schon seit Längerem geläufig sind, aber erst vor Kurzem für die Gesellschaft relevant geworden sind. Das Wort Frecking bezeichnet etwa ein sehr spezifisches technisches Vorgehen. Da es auf massive Kritik gestoßen ist, ist es dennoch ziemlich geläufig.

Frau Dr. Steffens: „Sprache muss im Wandel bleiben, um neue Gegebenheiten angemessen abbilden zu können.“
Außerdem gibt es Worte, die schon lange im Gebrauch sind, aber im Rahmen veränderter Umstände eine zusätzliche, neue Bedeutung bekommen haben. Als Beispiel nannte Frau Dr. Steffens das Wort „Heuschrecke“: Ursprünglich wurde damit ausschließlich ein Insekt bezeichnet. Doch auch dieser Begriff lässt sich im Neologismenlexikon finden: Hier bezeichnet er allerdings kurzfristig denkende, profitgierige Finanzinvestoren.
Neben Beispielen für Neuerungen in der Alltagssprache stellte Frau Dr. Steffens auch ihre Forschungsmethoden vor. Vieles läuft inzwischen über Computer, allerdings müssen diejenigen Bezeichnungen, die sich erst schleichend im Sprachgebrauch festsetzen, händisch als Neologismen bestimmt werden – für sie sind technische Parameter noch zu schwammig.
Moderne Sprache vermittelt ein modernes Image
Außer der adequaten Umschreibung neuerartiger Gegebenheiten führte Frau Dr. Steffens noch weitere Gründe für die sich immer verändernde, immer erneuernde Sprache an: Meistens sind neu aufgenommene Umschreibungen nicht vollkommen identisch mit ähnlichen vorhandenen Bezeichnungen – eine bessere, möglicherweise stilistischere Differenzierung wird möglich.
Außerdem seien die Neologismen noch unverbraucht: Insbesondere für Jugendliche wäre das ein Grund, statt „sehr schlecht“ beispielsweise „grottig“ zu sagen. Moderne Ausdrücke zu verwenden, trage zu einem modernen Image bei.
Gute Rezeption
Mit beinahe 50 Zuhörern war der Vortrag sogar noch etwas besser besucht als die Auftaktveranstaltung im Januar. Das Publikum war bunt durchmischt, alle Altersgruppen waren vertreten. Und fast alle waren begeistert.
Die nächste Präsentation aus der Vortragsreihe wird Dr. Annette Klosa halten. Am 20. März wird sie darüber referieren, ob Wörterbücher trotz zunehmender Digitalisierung noch eine Chance haben.

Die Veranstaltung wurde auch genutzt, um ein bisschen Eigenwerbung zu betreiben: Prof. Ludwig Eichinger stellte Frau Dr. Steffens Lexikon „Neuer Wortschatz. Neologismen im Deutschen“ vor, das für 44 Euro zu erwerben ist – bald ist aber auch hier eine Onlineversion verfügbar.