Mannheim/Rhein-Neckar, 21. Januar 2015. (red) Wir dokumentieren die Redebeiträge von der Großkundgebung am Samstag, „Mannheim sagt Ja zu Flüchtlingen“. Neben Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz sprachen Vertreter der Kirchen, der Muslime, der Aleviten und des Migrationsbeirats.
Auf der Großkundgebung „Mannheim sagt Ja“ kamen neben den Vertretern aus der Politik auch viele andere Gruppen zu Wort. Vom Migrationsrat der Stadt Mannheim Nina Aleric, die einst selbst als Flüchtling nach Mannheim kam und von ihren ganz persönlichen Eindrucken sprach.
Der katholische Stadtdekan Karl Jung und sein evanglischer Kollege Dekan Ralph Hartmann, riefen die Mannheimer dazu auf die Stimme zu erheben, wenn gegen Nicht-Christen Stimmung gemacht wird.
Talat Kamran vom Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog e. V. sieht in den Anschlägen von Paris einen Angriff auf die Pfeiler unserer gemeinsamen freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Dass die Täter sich auf Allah beriefen und während Ihrer Mordtaten seinen Namen riefen, lehnt er entschieden ab.
Im Angesicht der vielen Demonstranten, mache rechter Populismus Ruhan Karakul von der Alevitischen Gemeinde keine Angst. Vielmehr bat sie alle um ein lautes „JA!“ für Vielfalt statt Hass und Angst.
Redebeitrag von Nina Aleric, Migrationsrat der Stadt Mannheim

Migrationsbeirat der Stadt Mannheim.
„Liebe Mannheimerinnen und Mannheimer,
das Hab und Gut meiner Familie bestand aus einem Koffer mit ein bisschen Kleidung und einem Grimms Märchen Buch, das ich um keinen Preis zurückgelassen hätte. Wir hatten keinen Pfennig, nichts. So sind wir 1992 vor dem Krieg in Bosnien und Herzegowina geflohen und – nach langem Bangen an der Grenze – in Deutschland angekommen.
Über diese Grenze haben wir es nur geschafft, weil ein fremder Mann für uns gebürgt hat. Mit seinem ganzen Hab und Gut versicherte er der Ausländerbehörde, dass er uns finanziell über Wasser halten kann. Aber er hat nicht nur das gemacht. Er hat sich darum gekümmert, dass unsere Grundbedürfnisse gedeckt sind, dass wir eine Bleibe und Arbeit finden, dass wir eine Chance erhalten.
Er hat andere Menschen mitgezogen, sensibilisiert und ermutigt, sich einzusetzen. Er hat einen Riesenmut bewiesen. Das war eine besondere Leistung von einem besonderen Menschen. Es gab aber auch die andere Seite. Die „Angst vor Überfremdung“, die heute in vieler Munde ist, gab es schon in den 90ern. Unser erster Vermieter schrie uns einst „Ausländer raus“ entgegen.
Leider konnte er die schimmlige Wohnung, die wir damals bezogen, nur an Leute vermieten, die sehr dringend eine Bleibe gebraucht haben. Unser Nachbar nannte meinen Vater „Scheißschmarotzer“. Das hat weh getan und uns zeitweise alle Energie geraubt. Letztlich hat das aber keine Rolle gespielt. Warum? Weil es mehr Menschen gab, die uns hier willkommen geheißen haben. Nicht mit Worten – die hätten wir damals noch gar nicht verstanden – sondern mit Taten. Mit Kleidung, kleinen Geschenken und mit einem ehrlichen, herzlichen Lächeln.
Ihr alle, die ihr heute hier seid, seid diese Menschen. Und ihr seid verdammt viele. Durch eure Hilfe führen meine Familie und ich ein gutes und vor allem ein sicheres Leben.
Wir, der Migrationsbeirat der Stadt Mannheim, appellieren an euch: Mannemer, nehmt Flüchtlinge und Asylbewerber in Würde auf, wie meine Familie und ich von den deutschen Bürgerinnen und Bürgern damals aufgenommen worden sind. Seid euch eurer Verantwortung bewusst. Sucht den Kontakt zu Flüchtlingen. Fragt, was benötigt wird. Startet eigene Initiativen oder wendet euch an bereits bestehende.
Und vor allem: baut eine Beziehung zu diesen Menschen auf. Hier sind mehr als 8.000 Menschen versammelt. In Mannheim sind derzeit rund 1.000 Flüchtlinge. Mannemer, wir sind hier so viele, dass wir jedem einzelnen Flüchtling helfen können.
Es ist ein mutiger Gedanke. Ja. Vielleicht auch ein bisschen blauäugig. Aber zeigen wir den Menschen, dass wir zu Ihnen stehen und dass sie auf unsere Hilfe bauen können. Vielleicht ändert sich dadurch etwas Grundlegendes und mutige Menschen motivieren eine ganze Masse.
Danke für eure Aufmerksamkeit.“
Gemeinsame Erklärung der Dekane der evangelischen und katholischen Kirche

Dekan Ralph Hartmann, Dekan Karl Jung und Talat Kamran. (v.l.n.r.)
„Selig sind, die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Jesus Christus lehrt uns, Grenzen zu überwinden, jeden Menschen als Nächsten zu betrachten und unser Denken und Handeln in dieser Weise auszurichten. Das ist die Grundlage unseres Glaubens. Wir wenden uns gegen jegliche Formen der Unterdrückung, der Diskriminierung und der Gewalt. Wir sind als Christen dankbar für unseren Weg der Verständigung und des aufrichtigen Dialoges, den wir als Juden, Muslime und Christen im Forum der Religionen in Mannheim gehen.
Wir sind dankbar für das Vertrauen, das gewachsen ist. Wir sind dankbar für Freundschaft mit Juden und Muslimen. Wo Juden und Muslime in unserer Stadt bedrängt, denunziert, bedroht und verleumdet werden erheben wir als Christen unsere Stimme. Wir stehen zusammen.
„Was ihr einem Geringsten unter euren Mitmenschen getan habt, das habt ihr mir getan!“
Jesus Christus lehrt uns Barmherzigkeit und Solidarität mit den Schwachen. Dies gehört zu den Grundprinzipien unseres christlichen Handelns und zu den Grundwerten des christlichen Abendlandes. Diese Solidarität gilt insbesondere den Flüchtlingen, die aus dem Nahen Osten und aus Afrika zu uns kommen. In unseren Gemeinden erleben wir große Hilfsbereitschaft, Caritas und Diakonie engagieren sich auf vielfältige Weise in der Flüchtlingshilfe.
Wir wenden uns entschieden gegen alle, die den Geist der Ausgrenzung und der Fremdenfeindlichkeit verbreiten, die Angst und Hass schüren. Unser Glaube hingegen lehrt uns Grenzen zu überwinden und die Menschen in ihrer Vielfalt in den Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns zu stellen. Genauso ist es geboten, besonnen auf die Menschen zuzugehen, die aus unterschiedlichen Gründen in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation verunsichert sind und Sympathien für die Pegida-Thesen haben.
Diesen Verunsicherungen können wir nicht mit Polarisierungen und Verurteilungen begegnen, sondern wir tun gut daran, den Dialog zu suchen und Vorurteilen mit
Argumenten zu begegnen. Als Kirchen in Mannheim wollen wir ein Ort der Begegnung sein und dazu beitragen, dass Ängste nicht tabuisiert werden, sondern dass über sie konstruktiv
gesprochen wird.
Wo dunkle Kräfte Angst und Tod bringen, wo dunkle Gedanken uns Sorgen machen. Da lasst uns zusammenstehen. Für ein friedliches Miteinander in unserer Stadt.“
Redebeitrag von Talat Kamran, Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog e. V.

Talat Kamran (links im Bild), Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog e. V.
„Bismillahirrahmanirrahim
Im Namen Gottes, der Barmherzig und Gnadensreich ist. Liebe Freunde, verehrte Damen und Herren, Mit den niederträchtigen Terroranschlägen in Paris wurde mehrere Menschen grausam ermordet.
Wir Muslime sind der Überzeugung, dass der Terroranschlag ein Anschlag auf die tragenden Pfeiler unserer gemeinsamen freiheitlichen Gesellschaftsordnung ist. Für uns Muslime sind Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Religionsfreiheit Fundamente unserer bürgerlichen Grundrechte.
Jeder muss glauben, sagen und veröffentlichen dürfen, was er denkt, ohne um sein Leben fürchten zu müssen. Wir lehnen es entschieden ab, dass Verbrecher während ihrer Mordtaten den Namen Allahs anrufen.
Wir sind tief erschüttert, dass die Verbrecher glauben, mit ihren Mordtaten die Meinungsäußerung anderer Menschen zu bestrafen. Niemand, der sich Muslim nennt, darf sich zum Richter über Leben und Tod aufschwingen. Frömmigkeit und Religiosität bedeutet Reinheit von allen irdischen Dingen und Zuständen, die den Menschen abwärts ziehen. Wenn der Mensch sich körperlich leicht und im Herzen freudig fühlt, wird seine Seele erhoben, das ist ein Zeichen der Frömmigkeit.
Ist aber dieses Gefühl in einem Menschen nicht vorhanden, ist alles Gute in ihm nutzlos, sein Wissen ohne Wert, seine Religion, seine Gebete sind vergebens. Wir Muslime denken, dass es nicht ausreicht, Verbrechen aufs Schärfste zu verurteilen.
Wir dürfen solchen Angriffen auf unsere Werte nicht nur mit Worten begegnen. Wir müssen als Religionsgemeinschaft deutlich machen, dass wir uns mit unserem Glauben und unseren Gemeinden für die Freiheiten und das Leben eines Jeden einsetzen. Denn der freie Wille und die Freiheit danach zu handeln, ist ein Geschenk Allahs an die Menschheit.
Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Vielfalt im Glauben und die Freiheit und das Leben eines Jeden unangetastet bleiben. Wir erleben mit großer Erleichterung wie jetzt tausende Menschen für uns, mit uns, für die Einheit unserer Gesellschaft in Vielfalt und Gleichberechtigung demonstrieren. Wir alle hier setzen ein deutliches Zeichen gegen Hassprediger und Provokateure, die uns zu spalten versuchen. Dies gibt unseren Muslimischen Gemeinden große Hoffnung.
„O Allah, Du bist die Vollkommenheit
der Liebe, der Harmonie und der Schönheit,
Du bist Herr des Himmels und der Erde,
öffne o Gott unsere Herzen, damit wir Deine Stimme vernehmen,
die ständig aus unserem Innern erklingt.
Enthülle uns Dein göttliches Licht,
verborgen in unseren Seelen, damit wir
das Leben besser erkennen und verstehen mögen.
Gnadenreichster und allbarmherziger Gott,
gib uns Deine große Güte,
lehre uns Dein liebendes Verzeihen,
hebe uns über die Unterschiede und Verschiedenheiten,
die die Menschen trennen,
sende uns den Frieden Deines göttlichen Geistes
und vereinige uns alle
in Deinem vollkommenen Sein.“
Amin“
Redebeitrag von Ruhan Karakul, Vorstandsmitglied der baden-württembergischen Landesvertretung der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. (AABF)

Ruhan Karakul, Vorstandsmitglied der baden-württembergischen Landesvertretung der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. (AABF)
„Liebe Mannheimer MitbürgerInnen, liebe Freundinnen und Freunde,
wir freuen uns als Alevitische Gemeinde, zusammen mit Euch ein lautes „JA!“ für Vielfalt statt Hass und Angst zu rufen. Rechtsextreme und rechtspopulistische Aktivitäten und Veranstaltungen erfahren immer mehr Zustimmung, Brandanschläge auf Unterkünfte von Asylsuchenden werden verübt und die Hetze gegen Asylbewerberinnen und Asylbewerber nimmt zu. Und im Dezember wurden in Dresden nach einer Pegida -Demo unter Applaus von Passanten migrantische Jugendliche angegriffen.
Den falschen Glauben? Die falsche Ethnie? All diese negativen Schlagzeilen könnten eine Stimmung der Desillusionierung und der Resignation erzeugen, ja, auch nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo und dem jüdischen Supermarkt in Paris könnten pessimismusfördernd sein. Es könnte sich die Frage aufdrängen: „Warum demonstrieren wir, wenn die Welt doch so böse ist?“.
Wenn wir sehen, wie viel Freundinnen und Freunde heute hier, in unserer bunten Stadt, sind, um Rechtspopulisten zu zeigen, dass ihre Propaganda hier unerwünscht ist, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, willkommen sind, wie könnte uns da je der Mut ausgehen?
Auch wir Mannheimer Alevitinnen und Aleviten, die heute und in der Geschichte Verfolgung, Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren und erfahren haben, positionieren uns für eine solidarische Willkommens- und Anerkennungskultur und wehren uns dagegen, dass die Menschen, die in Deutschland ein besseres Leben suchen, ausgegrenzt und kriminalisiert werden. Wir wehren uns dagegen, dass Menschen, die ihre Heimat aufgrund von Krieg, Verfolgung verlassen mussten, auch hier, in Deutschland, um ihr Leben fürchten müssen.
Um es mit den Worten des türkischen Poeten Nazim Hikmet zu sagen: Wir werden uns stets für eine Welt, in der wir frei wie ein Baum, aber brüderlich wie ein Wald, leben können, einsetzen. Mit Euch, liebe Freundinnen und Freunde, werden wir diese Sehnsucht stillen.
Vielen Dank.“