Rhein-Neckar, 21. Dezember 2015. (red) „Weihnachten ist doch nur noch Konsum und Scheinheiligkeit“ – das hört man dieser Tage allen Ortes. Es ist fast zur Gewohnheit geworden: Kurz vor Weihnachten regen sich die Menschen über den alljährlichen Trubel und das rührselige Brimborium auf. Gastautor Volker Schmitt-Illert will in diesen Klagechor nicht einstimmen. Schließlich gebe es auch noch das ein oder andere größere Übel, so der Pfarrer.
Gastbeitrag: Volker Schmitt-Illert

Volker Schmitt-Illert: „Weihnachten soll uns daran erinnern, wie unser Zusammenleben sein könnte – hell in der Dunkelheit und frei von schweren Lasten.“
Weihnachten liegt in der Luft, überall begleiten uns die alten Lieder bei unseren Einkäufen, die Werbespots im Fernsehen und im Radio künden von Weihnachten, der Nikolaus wartet in jeder Ecke auf Kundschaft, und die kurzen Tage und die langen Nächte signalisieren uns: am Donnerstag ist es wieder einmal soweit.
Weihnachten ist Konsum
Der Einzelhandel hält den Atem an und betet um gute Geschäfte, selbst die Finanzbeamten hoffen auf Rekordumsätze, weil dies die leeren Staatssäckel mit Steuereinnahmen füllt.
Weihnachten ist längst viel wichtiger geworden, als der eigentliche Anlass für das Fest es erlaubt. So viel hängt heute davon ab, Arbeitsplätze, Schicksale, persönliches Wohlergehen unzähliger Menschen, dass ich mir schwertue, einzustimmen in den Klagechor derer, die alljährlich von den Kanzeln herab die Kommerzialisierung des Christfests lautstark beklagen zu müssen meinen.
Natürlich hat das alles längst nichts mehr zu tun mit dem Kind in der Krippe, aber Gott ist schließlich Mensch geworden, dort in Bethlehem, und er hat sich in die Niederungen dieser Welt begeben, aus freien Stücken. Warum also sollten wir Anstoß daran nehmen, dass die Welt mit ihm verfährt, wie sie mit jedem von uns auch verfährt?
Kirchen profitieren ebenso
Seien wir doch ehrlich! Nicht nur der Einzelhandel macht seine Geschäfte mit Weihnachten, auch die Kirche macht ihr Geschäft, etwas subtiler vielleicht, etwas dem Anlass angemessener, hier und dort weniger aufdringlich aber ein Geschäft macht sie trotzdem.
Weihnachten ist die einzige Zeit des Jahres, wo Kirchen noch voll sind, 90 % der Kirchensteuerzahler in Deutschland (und zwar 90 % von denen, die überhaupt gehen) gehen nur einmal im Jahr zur Kirche – eben an Weihnachten.
Geheuchelte Aufregung über den Weihnachtstrubel
So, warum all die geheuchelte Aufregung über den Weihnachtstrubel, wenn niemand sich mehr aufregt über die wirklichen Skandale, die Geschäfte mit der Abtreibung zum Beispiel, die Tag für Tag vor sich gehen, die alltäglichen Bosheiten und Gemeinheiten, die Menschen kaputtmachen, ohne dass jemand auf die Barrikaden geht deswegen, den Schindluder, der mit dem Willen Gottes getrieben wird in der unsäglichen Unterhaltungsindustrie, der wir unsere Kinder tagtäglich freiwillig aussetzen.
Es gibt so viel Schlimmeres in der Welt als der aufdringliche, aber letztendlich unschuldige Weihnachtsrummel, dass ich vermuten muss, dass hier nichts anderes geschieht als ein Ablenkungsmanöver, ein Versuch, das schlechte Gewissen dadurch zu beruhigen, dass ein Nebenkriegsschauplatz eröffnet wird, auf dem sich ungeniert und ungefährdet operieren lässt, während die wirklichen Skandale und unsere persönliche Verstrickung darin außen vor bleiben können.
Ich freue mich offen gestanden darüber, wenn ich auch jetzt schon festlich geschmückte Christbäume sehe und Häuser in ihrer Lichterpracht, glänzende Kinderaugen, wenn sie ihre Nasen an die hellerleuchteten Schaufenster pressen, hinter denen die Gegenstände ihrer Träume ausgebreitet liegen.
Ich freue mich darüber, wenn dem Christkind Tribut gezollt wird auf welche Weise auch immer, wenn die Welt der Vorweihnacht erfüllt ist mit Hinweisen auf das Fest.
Denn es liegt doch letztlich an uns, wie wir diese Signale aufnehmen, welche Gefühle sie in uns auslösen, was für Antworten sie bei uns hervorrufen. Für mich gehört das ganz einfach dazu, um mich langsam einzustimmen auf den kommenden Höhepunkt, den Heiligen Abend.
Früher war alles besser?
Es hat keinen Sinn, der angeblich guten, alten Zeit nachzutrauern, der einsamen Bergweihnacht, der Weihnacht auf dem Dorf, als es noch kein Radio und kein Fernsehen gab, als die Umstände noch karg und die Wünsche noch bescheiden waren, als fast alle noch jeden Sonntag in der Kirche waren und zuhause die Kerzen am Adventskranz jeden Abend ein warmes Licht in der Dunkelheit verbreiteten, nicht zuletzt deswegen, weil es noch kein elektrisches Licht gab.
Es ist mehr als alles andere die unbewusste Trauer über den Verlust der Kindheit, die Wehmut über das verlorene Paradies der unschuldigen Träume, die an Weihnachten die Kirchen füllt. Die Botschaft selbst, die Nachricht, dass Gott Mensch wurde, um uns mit ihm und miteinander zu versöhnen, spielt, wenn überhaupt, eine ganz untergeordnete Rolle, sie wird hingenommen, aber sie ist nur Beiwerk zur zeitweiligen Rückkehr in das verlorene Reich der Kindheit, des Geheimnisses, des Wunderbaren.
Weihnachten ist ein Angebot
Das ist eine Einsicht, mit der die Kirche in einer Wohlstandsgesellschaft leben muss, und sie sollte froh sein darüber, dass es heute unter uns nicht mehr oft jene sprichwörtliche Not gibt, die Menschen beten lehrt.
Das Weihnachtsfest mit seinen vielen Lichtern ist letztlich dazu da, uns in Erinnerung zu rufen, wie unser Zusammenleben eigentlich sein sollte und sein könnte, wie hell es in der Dunkelheit werden kann, wenn wir nur das Licht hereinlassen, wie frei wir sein können, wenn wir die Lasten, die uns beschweren, abladen statt sie einfach anderen aufzuhalsen.
Mehr als ein Angebot aber kann Weihnachten nicht sein, wir können annehmen, was uns da angeboten wird, aber viel wahrscheinlicher ist, dass wir es ablehnen, weil wir sonst ja eingestehen müssten, dass nicht nur mit den anderen etwas nicht in Ordnung ist, sondern dass auch mit mir und mit meinem Verhalten etwas nicht stimmt. Aber wer will das schon?
Da singen wir nun schon jedes Jahr an Weihnachten „Christ ist erschienen, uns zu versühnen!“ und realisieren dabei gar nicht, dass wir damit die Lösung unserer Konflikte und unserer Probleme vor Augen haben und im Munde führen.
Es geht um Versöhnung
Um Versöhnung geht es an Weihnachten, nicht darum, dass wir zwischen den Jahren endlich einmal Zeit genug haben, darüber nachzusinnen, wie wir noch mehr Schaden anrichten können, noch mehr Unbill heimzahlen können, noch mehr Hoffnung zunichtemachen können, noch mehr kleines Glück zerstören können.
Der Held in der Weihnachtsgeschichte ist – bitteschön – nicht der König Herodes, der die Kinder in Bethlehem umbringen ließ, damit er sich nicht ändern musste.
Die Weihnachtsgeschichte hat bessere Helden, Helden, von denen wir mehr lernen können. Ich wünsche mir, ich wünsche Ihnen, ich wünsche allen Menschen, dass wir zu den richtigen Vorbildern aufsehen, damit wir nicht die kurze Zeit unseres Lebens verplempern und die schönsten Jahre unseres Lebens sinnlos vergeuden, sondern dass wir sie von Herzen genießen können!
________________________________________
Zur Person: Volker Schmitt-Illert, Jahrgang 1944, Pfarrer, 12 Jahre Militärpfarrer aus Leidenschaft, davon 10 Jahre in den USA, zuletzt Pfarrer an Johannis auf dem Lindenhof in Mannheim Vater von 5 Töchtern und Großvater von 4 Enkeln und 6 Enkelinnen. Begeisterter Koch und Landschaftsfotograf (www.usreisen.de), häufig Reiseplaner und Reisebegleiter vorwiegend im Südwesten der USA. Mailadresse: schmittillert@gmail.com |