Mannheim, 21. September 2014. (red/cb) Kann Globalisierung erlebt werden? Mit Smartphones und Handys ist nahezu jeder mit der gesamten Welt verknüpft. Da fällt es schwer, den Überblick zu behalten und sich selbst nicht zu verlieren. Das Theaterfestival Schwindelfrei beschäftigt sich derzeit in Form von Theater, Tanz und Musik mit der globalen Vernetzung des Einzelnen.
Von Carolin Beez
Im Jahr 2009 veranstaltete das Kulturamt Mannheim das Theaterfestival Schwindelfrei zum ersten Mal, im Zuge der damaligen Schillertage. In diesem Jahr konnte Kulturbürgermeister Michael Grötsch den Startschuss für das Event schon zum vierten Mal geben.
Nach den Reden der Veranstalter, leitetet der Musiker Thorsten Gellings, Mitarbeiter der jungen Oper des Nationaltheaters mit seiner Ein-Mann-Percussion-Performance. Fünf verschiedene Stücke präsentiert er den Zuschauern. Die Variation in Dynamik und Akustik gibt den Stücken dabei etwas sehr Besonderes und lässt die Zuschauer applaudieren.
Lernen mit dem Internet
Wegen des Regens musste die Show, bis auf das erste Stück, allerdings im Inneren des Einraumhauses stattfinden, so dass nicht einmal die Hälfte der bestimmt 200 Zuschauer daran teil haben konnte. Gleichzeitig gab das Haus im Innern aber auch eine Akustik, die man im Freien wohl nicht erreicht hätte. Nach dem Auftritt ging es dann für die angemeldeten Personen auf die zwei verschiedenen Parcours.
Parcours 02 führt durch die Lange Rötterstraße zum Felina-Areal. Dort beginnt eine Vorstellung von JE(UX)-TU(E)-TORIAL. Aufgeführt von einer Tanzgruppe, bestehend aus Jonas Frey und Joseph Simon, beide aus Heidelberg. Beide haben zeitgenössischen Tanz an der ArtEZ School of Dance in den Niederlanden studiert und ihr gemeinsames Interesse an der zeitgenössischen und urbanen Tanzkultur gefunden.
In ihrem Stück zeigen sie Tanzchoreographien begleitet von YouTube-Tutorials. Also Internet-Videos, in denen die Tanz-Techniken erklärt werden, langsam zum Mitmachen. YouTube Tutorials breiten sich über so gut wie alle Bereiche des Lebens aus, egal ob Kochen, Schminken oder auch wie man Ikea-Möbel zusammenbaut, hier findet man zu jedem Thema ein Video.
Tanzen im Wohnzimmer
Das Stück beginnt in einem Wohnzimmer, mit Couch, Stehlampe, einer Leinwand an die ein Computerbildschirm projiziert wird. Die zwei Tänzer kommen auf die Bühne, beginnen sich aufzuwärmen und rufen dann bei YouTube Videos auf. Mit ungeübten unbeholfenen Schritten fangen sie an. Lernen die Schritte aus den Videos und werden nach und nach besser. Gleichzeitig, liefern sie sich eine Art „Dance-Battle“, in dem sie versuchen, sich gegenseitig mit ihren Tricks zu übertreffen.
Das Internet spielt als Lernmedium in diesem Stück eine zentrale Rolle. Ob in der Vorbereitung zum Abitur oder Klassenarbeiten von Schülern genutzt, um Integralrechnung und Stochastik zu verstehen. Oder zur Vorbereitung auf eine Party, bei der man sich in den Videos Anleitungen zum Schminken, Frisieren, Anziehen – oder eben Tanzen – holt.
„Das Leben des Anderen“
Die Kehrseite folgt auf dem Fuß im zweiten Stück des Parcours. In „Das Leben des Anderen“ vertauschen zwei Männer gegenseitig ihre Smartphones und versuchen dem anderen zu schaden – sei es mit dem Kauf von Textilfirmen in Bangladesch oder mit schlüpfrigen Fotos, die nicht von der Ehefrau des Besitzers sind – wenn sie erfährt!
Was dagegen unternehmen? Den Kriminellen Geschäftsmann am Kauf hindern und die Beziehung mit seiner Frau aufs Spiel setzen? Oder die Machenschaften zulassen und seine Frau behalten, obwohl er weiß, dass es ein Fehler wäre?
Zuschauer entscheiden per SMS
Mit dieser Frage wendet sich der Geschäftsmann auf der Bühne an die Zuschauer. Bei ihnen klingeln und vibrieren in diesem Moment die Telefone. Nach und nach schauen sie auf den Bildschirm ihrer Telefone: – in einer SMS wird gefragt „Was würdest du tun?“. Schnell werden die ersten Antworten zurückgeschickt.
Sie werden auf eine Leinwand projiziert: „Wirf das Handy weg und wander aus“ steht da zum Beispiel. Der Mann ist jetzt zwar von der Bühne verschunden und man sieht nur noch den Bildschirm des Smartphones, aber man kann gleichzeitig mitverfolgen, wie geantwortet wird, „Gleich Auswandern?“ kommt dann. Ein anderer Kommentar von einem der Zuschauer ist „Ziehs durch (und kaufe die Fabriken nicht) ich rede mit Deiner Frau“.
Im Hintergrund hört man das laute Pochen eines Herzens und als Zuschauer merkt man, dass man selbst ganz aufgeregt ist und wissen will, wie die Sache sich entwickelt. Ein tolles, einfaches und super spannendes Stück darüber, wie sehr man sich durch sein eigenes Smartphone identifiziert und wie die gespeicherten Informationen sich schnell gegen einen selbst wenden können.
In dem dritten Stück, eine Tanzperformance der Gruppe Moira „Please Ask Your Destiny“ stehen die Zuschauer vor einem Rätsel. In einem Raum stehen rundherum Stühle. Auf einer Euro-Palette in der Mitte stehen drei Darsteller. Alle Zuschauer sitzen und sie beginnen mit einem kurzen Kanon. Daraufhin tanzen sie 20 Minuten zwischen den Europaletten hin und her. Dabei haben alle drei ihre eigenen Choreographien, die sich in bestimmten Punkten wieder parallelisieren.
Schlaraffenland gegen öde Wüste
Mit kurzen Sprechphrasen wie zum Beispiel „Where ist my kiddy cat?“ unterbrechen sie ihre Tanzpassagen. „Der Sinn hat sich mir nicht wirklich erschlossen, aber man muss ja auch nicht alles verstehen, um es gut zu finden,“ sagt einer der Zuschauer nach der Performance.
Für das vierte und letzte Stück des Parcours kehren wir wieder in den ersten Raum zurück. „Death Comes Through The Eyes“ heißt es und spielt auf einer schwarzer Bühne mit einem reich gedeckten Tisch. Ein vermutlich verhungertes Kind in der Wüste wird daneben auf den Bildschirmen eines Laptops und ein Tablet-PCs gezeigt.
Die beiden Hauptdarstellerinnen kommen auf die Bühne: Die eine lächelt. Die andere ist traurig. Die eine ist gut gekleidet und geschminkt. Die andere trägt ein einfaches schwarzes Kleid. Keine Schuhe. Ihr Gesicht wirkt fahl. Die Frauen erzählen vom Tod. Erzählen, wie Familienmitglieder im Nahen Osten getötet wurden und zeigen in Standbildern Fotos, die von den sterbenden in den Krisengebieten gemacht wurden.
Die beiden Schauspielerinnen wie auch Regisseurinnen Maya Zbib und Omar Abi Azar protestieren mit diesem Stück dagegen, wie Massentote in Medien banalisiert und zur Schau gestellt werden. Sie kritisieren, dass Tote bei Facebook noch Jahre lang „online“ sind und tausende von Menschen ihnen schreiben können, „was ein toller Mensch sie doch waren“.