Mannheim/Rhein-Neckar, 21. Mai 2012. (red) Das Alternativprogramm zum Katholikentag in Mannheim war ein voller Erfolg. Die Kritik der Reformer wurde von den Medien transportiert und die große Zahl der Besucher zeigt, wie groß das Bedürfnis nach Änderungen innerhalb der katholischen Glaubensgemeinde ist. Doch darf man sich nicht allzu viele Hoffnungen machen – die streng-konservativen Haltungen versteifen sich gerade durch die Reformrufe noch mehr.
Von Hardy Prothmann
Wer von außen auf die katholische Kirche schaut, kann nur mit dem Kopf schütteln: Der Umgang mit den Skandalen um sexuellen Missbrauch ist erbärmlich. Der Zölibat ein Anachronismus ohne jeden Sinn – und in der Praxis häufig gebrochen. Die Missachtung der Frauen in der Kirche unglaublich. Die Arroganz der „Fachleute“ gegenüber den „Laien“ lächerlich. Und die überall schwelende Drohkulisse einfach nur widerwärtig.
Damit sind nur einige, wenn auch wesentliche Punkte deutlich kritisiert, die in der katholische Kirche schon lange nicht mehr und vermutlich noch nie gestimmt haben. Andererseits ist die römisch-katholische Kirche eine Gemeinschaft von religiös Gläubigen, deren Glauben an sich selbstverständlich zu achten ist, sofern es sich dabei um eine freie Willensentscheidung handelt und andere nicht zu schaden kommen.
Katholisch vs. modern

Klare Worte - klare Forderungen. Der österreichische Pfarrer Helmut Schüller ist Kopf einer Reformbewegung.
Und die vielen ehrbaren Menschen, die sich im weitverzweigten System der Kirche für andere engagieren, machen sich um das Gemeinwohl verdient, sind eine wichtige Stütze einer funktionierenden Gemeinschaft. Aber die Herausfordungen, an einem modernen Leben teilzunehmen und gleichzeitig „sehr katholisch“ im Sinne von konservativ zu sein, sind manchmal fast unüberwindbar. Deswegen verlieren die Kirchen und insbesondere die katholische immer mehr Mitglieder.
Die Strategie der Konservativen, sich noch mehr auf die Traditionen zu berufen, das Netz immer enger und hierarischer zu ziehen, sich keinen Schritt zu einer Öffnung hin zu bewegen, geht nicht auf, obwohl es zunächst so scheint. Die Hardliner scharen andere Hardliner um sich, im „Glauben fest verbunden“. Gleichzeitig schotten sie sich von anderen ab. Zunächst wirkt die „Geschlossenheit“ sehr stark, denn es gibt immer noch gut 27.000 Millionen Menschen in Deutschland, die als Religion „katholisch“ im Pass stehen haben.
Aufbruch vs. Stillstand
Tatsächlich gehen aber nur noch 12 Prozent davon, also rund drei Millionen regelmäßig in die Kirche. Tendenz weiter stark fallend. Es gibt immer mehr alte Menschen, die sich weniger in die Kirche einbringen können, als nunmehr Leistungen von der Kirche erwarten. Wer sich heute als junger Mensch für ein Engagement in der katholischen Kirche entschließt, ist eher ein wertkonservativer Typ, statt ein weltoffener. Auf der Suche nach Orientierung gibt es da einige junge Menschen – aber lange nicht genug, um die zu ersetzen, die der Kirche den Rücken kehren. Der beim Kirchentag propagierte Aufbruch hat den Stillstand als Ziel, nicht die Entdeckung einer neuen Zeit.
Fatalerweise haben sich kritische Geister, die fundamental die Kirchenstrukturen angegangen sind, irgendwann abgewandt, als sie merkten, dass die Starre nicht zu bewegen ist. Die Folge ist Stillstand, sagt der Chefredakteur von Publik-Forum, Dr. Wolfgang Kessler:
In der Vergangenheit hatten die Hardliner ein leichtes Spiel, wenn die Unbequemen selbst gegangen oder gegangen worden sind.
Die Starre ist weiter starrköpfig, aber es gibt eine neue, kritische Bewegung aus der Mitte der Gläubigen heraus. Mit teils über 1.000 Teilnehmern bei Programmpunkten des Alternativprogramms haben die Veranstalter, Wir sind Kirche, Initiative Kirche von unten und die christliche Zeitschrift Publik-Forum ein enormes Interesse gefunden.
Allein zur Auftaktpressekonferenz erschienen 25 Medienvertreter, darunter ARD und ZDF, wie auch ORF, große Zeitungen und die Agenturen:
Das war ein Echo – von den Medien wie den Teilnehmern, das wir so nicht erwartet haben, was uns aber enorm freut, weil es klar macht, wie dringend die Mitte der Gläubigen endlich Reformen will.
Nach Ansicht von Wolfgang Kessler haben die Kirchenoberen seit 1997, als es ein Kirchenvolksbegehren mit 1,7 Millionen Unterschriften gegeben hat, die Forderungen nach Reformen gezielt untergraben. Bis 2010 die Missbrauchsskandale umso deutlicher machten, dass so vieles nicht mehr stimmt, in dieser „ehrenwerten“ Gemeinschaft.
Die Probleme sind öffentlich geworden und bleiben das solange, bis sie gelöst sind.
Das Kirchenvolksbegehren will die Abschaffung des Zölibats, Frohe Botschaften statt Drohbotschaften, Frauen als Priesterinnen, eine unverkrampfte Sexualmoral und die Beteiligung der Laien in der Kirche. Nichts davon ist seit 1997, also seit immerhin 15 Jahren Wirklichkeit geworden. Der Druck auf die Kirche wächst, weil selbst ältere Gläubige nicht vom Glauben abfallen, wohl aber von den starren Strukturen. Und sei es nur durch den überall bemerkbaren Priestermangel.
Sprachlosigkeit vs. Selbstbewusstsein

Chefredakteur Kessler: "Viele sind immer noch ängstlich."
Die Kirchenoberen reden von Dialog, diktieren aber die Inhalte und wer reden darf. Das steht in krassem Gegensatz zu Entwicklungen in Wirtschaft und Politik und Forschung. Die Basis rumort, wenn auch oft noch ängstlich.
Der Grund darin liegt sicherlich in einer großen Sprachlosigkeit. Denn die Profis haben den Laien immer gesagt, wo es langgeht. Für die blieb ein Ja und Amen.
Vorbilder wie Friedhelm Hengsbach und seit einigen Jahren der einnehmende Österreicher Helmut Schüller stellen aber das alte System in Frage. Schüller hat schon mehrere hundert Pfarrer in einer Initiative hinter sich, die den echten Dialog, eine echte Öffnung fordern. Auch in Irland haben sich rund 80 Pfarrer angeschlossen.
Und Schüller ist nicht umsonst so prominent. Er redet klar und verständlich und vor allem: Verbindlich. Er ist kein linker Revoluzzer, sondern ein verdienter Theologe, seriös und sprachgewandt. Er fordert Debatten und die Öffnung für die Medien, um Öffentlichkeit herzustellen.
Es fehlen die selbstbewussten Frauen
Die Initiative der Pfarrer, die Herr Schüller organisiert, setzt die Kirche unter Druck. Alternativprogramme wie zum Katholikentag in Mannheim verschaffen Öffentlichkeit und stärken eine öffentliche Debatte und zeigen eine noch zaghafte Rebellion an. Getragen wird sie vor allem durch eine Generation 50 plus, wie der Journalist Kessler feststellt.
Leider fehlen der Reformbewegung starke Frauen – die hatten ja bislang auch in der katholischen Kirche nichts zu sagen. Stattdessen werden sie in kirchlichen Organisationen zudem über Billiglöhne ausgebeutet und durch das kircheneigene Arbeitsrecht immer wieder unter Druck gesetzt.
Wenn die Frauen aber beginnen, für sich Rechte zu formulieren und einzufordern, dann beginnt eine Revolution, die Bewegung in die katholische Kirche bringt.