Mannheim/Rhein-Neckar, 21. März 2014. (red/ms) Namenhafte Verlage geben keine neuen Auflagen gedruckter Wörterbücher heraus und sind gezwungen massenweise Mitarbeiter zu entlassen. Kostenlose Laienarbeit macht es den Angeboten von Experten zunehmend schwieriger, sich durchzusetzen. Haben professionelle Wörterbücher noch eine Zukunft? Dieser Frage geht Dr. Annette Klosa nach, die am Institut für Deutsche Sprache forscht. In einem Vortrag präsentiert sie ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit.
Von Minh Schredle
Dass ich zuletzt die zwei Buchdeckel eines tatsächlich greifbares Wörterbuch aufgeschlagen habe, geschah vor ziemlich genau zwei Jahren – bei meinem Abitur in Alt-Griechisch.
Wenn ich mir nicht sicher bin, wie man ein Wort schreibt, benutze ich Google. Wenn ich nicht weiß, was ein Wort bedeutet, benutze ich Google. Wenn ich eine Übersetzung brauche, benutze ich Google – und wie Zahlen zeigen, tun die meisten Deutschen es mir gleich.
Gratiskultur schädlich für die Verlage
Am Institut für Deutsche Sprache wurde eine Befragung mit 600 Probanden durchgeführt. Mehr als 47 Prozent gaben an, überwiegend das Internet als Wörterbuch zu verwenden. Knapp 41 Prozent sagten aus, Internet und gedruckte Wörterbücher in etwa gleichen Anteilen zu gebrauchen. Nur eine einzige Person unter den Befragten benutzte noch ausschließlich greifbare Lexika, um Worte nachzuschlagen.
Das Internet ist schnell, bequem, fast überall verfügbar, führt in der Regel zum Erfolg und das Wichtigste: Es kostet nichts. Doch die Gratiskultur, die mit dem Internet entstand, hat teilweise verheerende Folgen für die Lexikonkultur: Reihenweise sind Verlage und weitere Printausgaben nicht mehr wirtschaftlich – Drucke werden eingestellt, nur noch im Netz sind die Nachschlagewerke zugänglich.
Auch die großen Namen sind betroffen: Frau Dr. Klosa nennt Pons, Langenscheidt, Brockhaus. In Mannheim verlieren innerhalb von zwei Jahren knapp 150 Menschen ihre Arbeit beim Duden. In Berlin kümmern sich noch zwei Redakteure um die Online-Version.
„Lexika sind wirtschaftlich uninteressant“
Aus wirtschaftlicher Perspektive würden Lexika zunehmend uninteressanter, sagt Frau Dr. Klosa. Förderprogramme der Akademien würden massiv eingeschränkt:
Man hat kaum noch Chancen, neue Fördergelder für ein Lexikon-Projekt zu erhalten. Bei laufenden Arbeiten werden die Mittel gekürzt.
Auf Dauer sieht Frau Dr. Klosa keine große Zukunft für gedruckte Wörterbücher. Ein paar werde es vermutlich immer geben, doch werde das in 50 Jahren wohl fast immer die Ausnahme sein. Aber braucht es überhaupt Papier für ein gutes Lexikon?
„Das Internet hat noch riesiges Potenzial“
Nicht unbedingt, sagt Frau Dr. Klosa. Auch online gäbe es einige qualitativ hochwertige Nachschlagewerke. Das Internet habe aufgrund seiner schier endlosen Kapazitäten sogar noch Unmengen von Potenzial, die bislang ungenutzt blieben:
Lexika könnten personalisiert auf die Bedürfnisse der Benutzer zugeschnitten sein. Ein Professor braucht andere Definitionen als ein Kind. Außerdem könnte man viel mehr mit Bildern oder sogar Videos arbeiten, etwa um komplexere Begriffe darzustellen und besser verständlich zu machen, als das nur mit Worten möglich ist.
Doch auch hier ist die Zukunft von Qualität ungewiss. Laienprojekte genießen immer größere Beliebtheit, Frau Dr. Klosa verweist hier beispielsweise auf Wiktionary – ein Wörterbuch, das ein jeder um Beiträge und Definitionen erweitern kann.
An sich keine schlechte Sache, meint Frau Dr. Klosa. Allerdings sei dadurch die Verlässlichkeit der Informationen bedroht und die Qualität nicht auf dem gleichen Niveau, wie wenn es die Arbeit geschulter Experten wäre.
Überleben hängt vom Verhalten der Konsumenten ab
Es darf befürchtet werden, dass diese Laienprojekte im Lauf der nächsten Jahrzehnte Expertenarbeit komplett verdrängen. Wenn es ein vergleichbares Angebot umsonst gibt, ist das Interesse auch von Unternehmen gering, Geld für etwas mehr Qualität auszugeben.
Frau Dr. Klosa appelliert, einen Schritt weiter zu gehen als bloß zu googeln – auf die Seiten von professionellen Anbietern: Der Mehraufwand sei sehr gering und nur durch die Bereitschaft der Konsumenten, entsprechende Angebote zu fördern, könnten diese auch in Zukunft überleben.