
Theologe Eugen Drewermann spricht über Wege zu einem menschlicheren Religionsverständnis
Mannheim, 19. Mai 2012. (red/cr) Theologe Eugen Drewermann spricht zum Thema „Wege zur Menschlichkeit“ in der Johanniskirche. Er plädiert für ein Neuverständnis der Sündenbildes.
Von Christian Ruser
Bereits eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn ist in der Johanniskirche fast kein Sitzplatz mehr zu finden. Vor dem Hauptportal hat man deshalb einige Bierbänke aufgestellt. Lautsprecher tragen den Vortrag zu denen nach außen, die nicht mehr in die überfüllte Johanniskirche eingelassen werden.
Für eine Kirche ist so ein Andrang noch nicht mal an Weihnachten zu finden. Aber zum Katholikentag in Mannheim sind auch heute viele Gläubige gekommen. Das zeigt sich auch an der Zusammensetzung des Publikums. Von Teenagern bis Rentnern ist das Publikum höchst motiviert.
Sie alle warten auf Eugen Drewermann. Die katholische Kirche hat den Theologen supendiert. Ist er doch seit vielen Jahren ein kontrovers diskutierter Vordenker von Glaubensfragen und Kirchenidealen. So sieht er in Kirche vor allem den therapeutischen Aspekt.
Auf der Suche nach dem Sünder
Im Zentrum seinen Vortrags steht die Frage nach der Sünde, beziehungsweise die Gestalt des Sünders. Die akzeptierte Lehrmeinung versteht im Sünder einen Menschen, der Regeln verletzt. Vergleichbar mit einem Straftäter. Der Regelverstoß des Sünders richtet sich jedoch gegen Gottes Gebote. Aus diesem Grund wird der Sünder auch abgewertet, vielleicht sogar ausgeschlossen.
Diese Haltung lehnt Drewermann ab. Kein Mensch tue Böses um des Bösen willen. Am Beispiel einer ewig mürrischen alten Nachbarin möchte er deutlich machen, dass die Umstände die Menschen zu Herzlosigkeit treiben.
Er zeigt ein Bild eines Säuglings und erläutert, dass man ein unschuldiges Kind um seiner selbst willen lieben sollte. Das bei diesem Kind die Entwicklung ungünstig verlaufen ist, wird klar, als Drewermann ein Bild der selben Person als Erwachsener danebenstellt. Es handelt sich um Adolf Hitler.
Doch auch hier rückt er von seiner These nicht ab, sondern bekräftigt sie durch unser historisches Verständnis. Als Vorbilder werden in der Regel Personen herangezogen, die sich durch Kriege hervorgetan haben. Alexander der Große oder ein Julius Caesar sind nur prominente Beispiele in einer langen Liste.
Die Botschaft des Christentums
Nun sieht Drewermann im Wirken Jesu Christi eine Wendung. Das Neue Testament predigt, dass Gott die Menschen wie Kinder liebt, also keine Vorbedingungen an seine Liebe knüpft. Christlich zu leben, bedeutet als ebenfalls keine Bedingungen an seine Mitmenschen zu stellen.
Diesen Appell bringt Drewermann in direkte Verbindung mit der Pfingstbotschaft. Die Zurücknahme der babylonischen Sprachverwirrung bedeutet, dass die Jünger erkannten, die Nöte ihrer Mitmenschen zu verstehen, jenseits sprachlicher Barrieren.
Sie begegnen dem Sünder, der nach Drewermanns Auffassung eben kein Gesetzesbrecher ist, sondern ein Hilfsbedürftiger. Gelähmt von gesellschaftlichen Zwängen und Regeln.
Christliches Leben bedeutet dann eben nicht das Leben nach strikten Regeln, auf die man sich berufen kann, um seine moralische Überlegenheit zur Schau zu stellen. Christliches Leben heißt fürsorglich und für die Probleme anderer offen zu bleiben und sie bei deren Lösung zu unterstützen.
Durch diese Haltung könnten leicht Reformen durchgesetzt werden. So gibt er zu, dass es im Umfeld von Jesus Christus keine Priesterinnen gab. Und fügt ketzerisch an, dass in der Bibel auch nichts von Priestern in seinem Gefolge steht. Das Publikum ist erheitert und lacht ob dieser Feststellung – die natürlich auch eine Provokation des geltenden „Verwaltungssystems“ der katholischen Kirche ist.
Auch wenn man sich an anderer Stelle Mannheim ansieht, wird an jeder Straßenecke über Glauben und Kirche diskutiert. In Zeiten von Priesterknappheit zeigt die Beteiligung der Gläubigen, dass der Glaube eine große und wichtige Rolle im Leben vieler Menschen spielt. Wie Drewermann in seiner Vision einer modernen katholischen Kirche klar aufzeigte, ist die drängende Frage, ob die Kirchenoberen bereit sind, sich einem modernen Christentum zu stellen.