Mannheim, 20. Mai 2016. (red/as) Der Mannheimer Gemeinderat hat beschlossen, die Stellen der Schulsozialarbeiter an Mannheimer Schule zu erhöhen. Ein freiwilliges Projekt – und das, obwohl die Stadt eigentlich unter Sparzwang steht. Was sind die Aufgaben der Schulsozialarbeiter und warum sind sie so wichtig? Wir haben mit Ingo Hettler gesprochen, zuständiger fachlicher Berater für die Schulsozialarbeiter in Mannheim.
Von Annika Schaffner
Türen werden eingetreten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht, Knallkörper gezündet und Bilderrahmen von den Flurwänden gerissen.
Einige Kollegen/innen gehen nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen, damit sie über Funk Hilfe holen können.
Wir sind ratlos.
Vor etwa zehn Jahren veröffentlichte der Tagesspiegel diese Sätze. Petra Eggebrecht war drei Monate die kommisarische Leiterin der Rütli-Hauptschule in Berlin, als sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste und einen sogenannten Brandbrief verfasste.
Sie erklärte die Missstände der Schule, die gleich mit mehreren Problemen zu kämpfen hatte: Die Direktorin war erkrankt, es gab weniger Lehrer als Stellen und viele Schüler mit Migrationshintergrund, auf die nicht eingegangen werden konnte, weil keine Mitarbeiter aus anderen Kulturkreisen an der Schule waren.
Doch die Rütli-Schule forderte nicht nur Hilfe für ihre Situation: Der Brandbrief sollte die Gesamtsituation der Hauptschulen in Deutschland klären. Frau Eggebrecht forderte die Abschaffung der Schulart.
Der Brief war ein Auftakt. Viele weitere Schulen zogen nach. In manchen Bundesländern wurde die Hauptschule tatsächlich abgeschafft oder grundlegend umstrutkturiert. Eine Maßname, durch die den Schulen mehr Unterstützung zu Teil werden soll, ist die Schulsozialarbeit. Auch in Mannheim wurde das Modell inzwischen an zahlreichen Schulen eingeführt.
Schulsozialarbeit in Mannheim
Ende Januar dieses Jahres hat der Gemeinderat beschlossen, die Stellen der Schulsozialarbeiter weiter zu erhöhen. So sind ab dem Schuljahr 2017/2018 30 Mannheimer Schulen versorgt. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Pflichtaufgabe der Stadt – sie unterstützt die Schulsozialarbeit freiwillig. Und stellt entsprechende Mittel bereit.
Auch wenn das Land Baden-Württemberg ein Drittel der Ausgaben für diesen Zweck finanziert, stellt sich die Frage: Warum gibt Mannheim freiwillig mehr Geld aus (ab 2017 pro Jahr immerhin gut 100.000 Euro), wenn gleichzeitig mehrstellige Millionenbeträge im Haushalt eingespart werden müssen?
Warum wird ausgerechnet die Schulsozialarbeit weiter ausgebaut? Was soll das bewirken? Wie erzieht man Kinder und Jugendliche, die sich nicht an die Regeln der Schule halten?
Was macht ein Schulsozialarbeiter?
Ingo Hettler, aus dem Fachdienst der Schulsozialarbeit unterstützt die Schulsozialarbeiter in Mannheim. Er weiß:
Jede Schule hat ihre eigene Kultur und braucht für bestimmte Probleme abgestimmte Programme und das erfordert eine hohe Flexibilität der Schulsozialarbeiter.
Mannheim habe im Vergleich zur Bevölkerungszahl noch vergleichsweise wenige Stellen für die Schulsozialarbeit. Das Besondere sei jedoch, dass jeder Schulsozialarbeiter nur für eine Schule zuständig ist. So können die Maßnahmen und Programme direkt auf die jeweilige Schule angepasst werden.
Es gibt jedoch Projekte, die allgemein an vielen Schulen durchgeführt werden können: Ein Klassenrat, der schon in Grundschulen eingeführt werden kann, sorgt dafür, dass sich Schüler schon früh mit Demokratie auseinander setzen. Außerdem werden so Probleme zusammen diskutiert und ein einzelner Schüler bekommt Unterstützung von der Gemeinschaft.
In der sogenannten Glücksstunde (meistens für die Grundschüler) sollen die Schüler soziale Kompetenzen vor allem im Bezug zum Interkulturellen Zusammenleben erlernen. Interkulturalität oder Armut sei häufig ein Grund oder sogar die Ursache für Ausgrenzung oder noch größere Probleme.
Da wurde zum Beispiel in einer Stunde das Wort Glück in den Landessprachen der Schüler auf Zettel geschrieben. Was da alles raus kam, war auch für mich spannend!
So können sich die Schüler mit ihren unterschiedlichen Herkünften besser ausseinandersetzen. Ingo Hettler erzählt, dass es auch praktische Programme gibt, bei denen Schüler zum Beispiel bei der Gestaltung ihres Klassenraums mitwirken dürfen. Kinder und Jugendliche sollen sich in ihrer Schule (vor allem in Ganztagesschulen) wohl fühlen und Spaß beim Lernen haben. Themenworkshops zu Sucht- oder Gewaltpräventionen werden ebenfalls angeboten.
Ein Programm für Eltern
Präventive Programme sind aber nicht die einzige Aufgabe der Schulsozialarbeiter. Oft müssen einzelne Kinder betreut werden, die es aus ganz verschiedenen Gründen in der Schule schwierig haben: Leistungsdruck, Mobbing, Trennung der Eltern, Gewalt im Elternhaus oder Ähnliches.
An der IGMH, die seit 1980 als erste Schule in Mannheim ein Schulsozialarbeiter hat, arbeiten zwei Schulsozialarbeiter, während an der Justus von Liebig Schule mit der Außenstelle an der Luzenberg Schule ein „besonderer Bedarf“ durch eine volle Stelle gedeckt wird. Wie viele Stellen einer Schule zugeteilt werden, hängt von einem bestimmten Berechnungsschlüssel ab, der mehrere Faktoren berechtigt.
Für einen Schulsozialarbeiter sei es besonders schön, wenn ein „Problemschüler“ nach langer Begleitung zum Beispiel nach häufigen Schwänzen des Unterrichts doch wieder in die Schule geht und letztendlich sogar seinen Abschluss macht, erzählt Herr Hettler.
Schulsozialarbeiter müssen ein pädagogisches oder soziales Studium abgeschlossen haben. Danach können sie sich zum Beispiel im Thema interkulturelles Handeln weiterbilden.
Sie müssen sich in die Schulgemeinschaft einbringen, um das Vertrauen der Schüler sowie der Lehrer zu gewinnen. Sie dürfen sich jedoch nicht assimilieren, da eine Außenperspektive sehr wichtig sein kann. Außerdem sollen die Schulsozialarbeiter nicht einfach Aufgaben der Lehrer übernehmen – sondern sie ergänzen.
Unterstützung auch für Lehrer und Eltern
Lehrer können von der Schulsozialarbeit ebenfalls Unterstützung erhalten. Oft schaut dann ein Sozialarbeiter bei einer Unterrichtsstunde zu und gibt Rückmeldung, wie einzelne Schüler noch besser gefördert werden können. Ingo Hettler erklärt:
Der Schulsozialarbeiter hat nochmal einen anderen Blick von außen, einem Lehrer ist es ja im Unterricht oft gar nicht möglich auf jeden einzelnen Schüler zu achten.
Manchmal entstehen oder vergrößern sich Probleme auch durch die Eltern. „Es ist schon passiert, dass Eltern uns verboten haben, mit ihrem Kind zu sprechen. Aber wenn ein Kind von sich aus zu uns kommt, werden wir es nicht abweisen.“, so Ingo Hettler.
Um dies zu vermeiden, dass es zu Zerwürfnissen mit den Eltern kommt, gibt es auch für sie einige präventive Angebote: Oft wird ein Eltern-Cafe angeboten, damit die Eltern in die Schule kommen und das Umfeld ihrer Kinder besser kennen lernen. Dann wird über wichtige Themen diskutiert: Wann gebe ich meinem Kind ein Handy? Darf mein Kind im Internet surfen?
In der IGMH wird sogar ein „Eltern-Töpfern“ angeboten: Hier können die Eltern sogar aktiv im Schulleben mitwirken, da sie gleichzeitig in derMittagsbetreuung fest eingebunden sind. Eine Bindung zur Schule und Vertrauen zum Schulsozialarbeiter zu schaffen ist ein wichtiges Ziel der Elternarbeit.
Erziehung genauso wichtig wie Bildung – Qualität der Schulen
All diese Programme, Projekte und Präventivangebote hätten eine hohe Wertschätzung von allen Beteiligten. „Gefühlte 98 Prozent finden Schulsozialarbeiter gut und wichtig“, sagt Ingo Hettler. Es sei eine essentiell notwendige Sache, die sich mit Nachhaltigkeit bewiesen hat. Schulsozialarbeiter stünden für ein gewisses Qualitätsmerkmal an Schulen.
Damit diese Qualität gewährleistet ist, benötigt der Schulsozialarbeiter auf der einen Seite eine ausführliche Einarbeitung in das Schulwesen durch Analyse und Netzwerkbildung und auf der anderen Seite die Zusammenarbeit mit der Schule selbst, mit Lehrern und Direktoren.
Nur die Ergänzung könne etwas bewirken. „Das ist eine ganz wichtige Sache!“, meint der Ingo Hettler und findet immer die Projekte am schönsten, bei denen der Schulsozialarbeiter mit den Lehrern aktiv zusammenarbeitet, was für die Lehrer meistens freiwillig geschehen muss.
„Der Erziehungsauftrag der Schulen bekommt neben dem Bildungsauftrag immer mehr an Gewicht“, das ist für Ingo Hettler eine zusammenfassende Tatsache.
Gesellschaftliche Herausforderungen wie Armut und Interkulturalität müssen heute schon in der Grundschule bewältigt werden.
Und hierfür sind weitere Kompetenzen und Aufwände nötig, für die es Spezialisten braucht.
Die gute langfristige Wirkung und die schlichte Tatsache, dass Kinder unsere Zukunft sind, rechtfertigen die Investitionen – nicht nur, weil dadurch erhebliche soziale Folgekosten vermieden werden können.
Inzwischen wurde vom Gemeinderat laut Beschluss im Januar als Ziel festgelegt, nach und nach jede einzelne Schule in Mannheim mit einem Schulsozialarbeiter zu versorgen. Neben den Grund- und Werkrealschulen mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung oder Ganztagsschulen, die mittlerweile alle mit Schulsozialarbeitern versehen sind, sollen in Zukunft auch alle allgemein- und berufsbildenden Schulen in dieser Hinsicht versorgt werden.