Mannheim/Rhein-Neckar, 20. Januar 2020. (red/pro) Die Ausgabe A (Mo-Fr) des Mannheimer Morgen, zu der die Stadtausgabe, der Südhessen Morgen sowie der Bergsträßer Anzeiger gezählt werden, hat auch im vierten Quartal 2019 laut IVW-Zahlen wieder ordentlich Auflage verloren. Die Abo-Zahlen sinken dramatisch. In den vergangenen zehn Jahren hat die Zeitung rund 30 Prozent verloren, davon fallen alleine über 21 Prozent Abo-Verluste auf die Zeit von Dirk Lübke, der seit Januar 2014 Chefredakteur ist. Doch auch andere klassische Medien leiden. Das wird dramatische Folgen haben, wenn die Entwicklung so andauert – und Entwarnung gibt es keine.
Von Hardy Prothmann
Wer sich jetzt wundert und vielleicht denkt – verkauft der Prothmann jetzt Abos für den MM? – liegt falsch. Bei aller (und häufig nötigen Kritik) an der Zeitung ist es eine Güterabwägung, ob es besser ist eine nicht so gute Tageszeitung zu lesen, als gar keine. Zweiteres ist das deutlich größere Übel, weil man dann noch weniger über seinen Lebensraum erfährt als sowieso so schon eher wenig.
Die Folgen darauf sind zwar seit Jahren (in besser informierten Kreisen) Thema, werden aber immer deutlicher. Viele Bürgerinnen und Bürger – und das sind alle, die in einer Kommune wohnen – haben immer weniger Ahnung, wie eine Kommune, also ihr politisch-infrastruktureller Lebensraum eigentlich funktioniert, wer die handelnden Akteure sind, welche Projekte wichtig sind und ob genug Geld da ist, diese umzusetzen.
Statt die Stadt- oder Ortspolitik regelmäßig zu verfolgen, sind viele nur noch “nimby”-getrieben. Nimby steht für “not in may backyard”, nicht in meinem Hinterhof. Zur Hochzeit der Flüchtlingskrise ging es regelmäßig wegen Unterkünften rund, die immer am falschen Standort waren (siehe aktuell die Debatte um das Ankunftszentrum) und dann bekommen ein paar zu viele Mütter in einem ähnlichen Zeitraum in einem Stadtteil ihre Kinder und stellen dann fest – es gibt zuwenig Betreuungsplätze um die Ecke. Oder die Schulklassen sind zu voll oder die Gebäude sanierungsbedürftig.
Für große gesellschaftliche Debatten taugen diese Themen nicht – aber fragen sie mal die Betroffenen!
Das lokale und regionale Geschehen ist das klassische Spielfeld der Lokal- und Regionalmedien. Auch hier gibt es “Scoops”, also exklusive Themen, mit denen man einen “Aufmacher” hat. Ein Thema, über das “alle” reden. Doch dem ist schon lange nicht mehr so, weil solche Themen eben immer weniger Leute erfahren und wenn, nur oberflächlich.
Zudem ist mit dem Internet eine neue Konkurrenz entstanden. MM-Chefredakteur Dirk Lübke könnte jetzt weinend erklären, der Prothmann mit dem Rheinneckarblog sei schuld am Auflagenrückgang. Richtig ist, das RNB hat sicherlich einige Abos gekostet, aber ist nicht der wahre Grund für die dramatischen Verluste von 29,78 Prozent bei den Abos in den vergangenen zehn Jahren und 21,42 Prozent, seit Herr Lübke Chefredakteur der Zeitung ist (Januar 2014).
Das Internet bietet auch keine “kostenlosen” Informationen für deren Nutzer: Jeder, der die Angebote im Internet nutzen will, muss sich ein Gerät dafür kaufen und zahlt an Provider Gebühren für den Zugang und den Traffic. Dann aber erhält man unendlich viel mehr Infos und Kontaktmöglichkeiten in fast die gesamte Welt, als über ein Zeitungsabo.
Hinzu kommt – bei aktuellen Ereignissen ist man immer häufiger “live” dabei. Papier kann das nicht leisten. Das “live” nie besser oder hintergründiger ist, interessiert niemanden mehr, vor allem die nicht, die selbst “live” gehen und schön gruselige Unfallbilder aus dem Auto beim Vorbeifahren in alle Welt senden oder noch geiler, einen echten Mord.
Geschäftsanzeigen jeglicher Art waren früher die “Goldgrube” für Zeitungen – Imagekampagnen kosteten teuer Geld in Funk und Fernsehen. Mit dem Internet wanderten aber viele Unternehmen und Geschäftsleute selbst ins Netz ab – inserierten bei Online-Portalen oder geben heute Google und Facebook die Werbegelder für eine gute “Sichtbarbeit”.
Dieses Geld ist für klassische Medien, auch solche, die zwar erst durch das Internet möglich wurden, aber klassische Dienste anbieten wollen wie das RNB, verloren. (Hinweis: Es gibt immer wieder die (boshafte) Meinung, dass wir die Themen so wählen, damit es möglichst viele Klicks gibt, an denen wir sehr gut verdienen. Wir übersetzen das Mal: 5-15 Euro für 1.000 (TKP – Tausender Kontaktpreis) sind so die durchschnittliche Einnahme bei großen Portalen, in den Vermarkter gezielt ihre Werbung buchen. Für diese Vermarkter existiert das RNB nicht, weil die sich Plattformen ab 1 Million Klicks pro Monat und deutlich mehr suchen. Also nix mit Klicks.)
Ich habe als Gründer sehr viel ausprobiert – bis an die Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit und musste feststellen. Keine Chance. Es ist unter den gegebenen Bedingungen schlicht unmöglich, auch nur ansatzweise. Aus zwei Gründen: Es fehlt an Einnahmen, um fähiges Personal zu beschäftigen und selbst wenn es die gäbe, gibt es leider nur wenig fähiges Personal, denn immer weniger junge Menschen interessieren sich für “was mit Medien”.
Ein großes Medienunternehmen wie die Dr. Haas-Gruppe hat hier gleich mehrfach versagt – hier gibt es (noch) viel Geld, sicher auch fähiges Personal, aber keinerlei Ideen, wie man die Menschen zurückgewinnt. Mit Herrn Lübke wurde die Lust an der Skandalisierung verstärkt, statt solide Informationen zu bieten. Beispiele? Buga, Konversion, um nur zwei große zu nennen und Fußball-Randale sowie Konversion im vergangenen Jahr, die gründlich nach hinten losgegangen sind.
Dann ein Beispiel, das wohl viele kennen – die Rheinhochwasserdammsanierung. Natürlich ist das Thema emotional, man kann es auch so spielen, aber wichtiger sind solide Informationen – auch gegen “die” Meinung der Bürger und nicht immer nur als “Anwalt” der Bürger, was sowieso Käse ist. Oder in meiner Nachbarschaft in Seckenheim – hier erregt sich seit Monaten eine überschaubare Anzahl von Bürgern über einen neuen Funkturm. Die MM-Berichterstattung dazu erzeugt keine faktenorientierte Information, sondern Unfrieden. Manchmal weiß ich nicht, ob man die Leute absichtlich verarschen will oder einfach nur zu inkompetent für eine ordentliche Berichterstattung ist oder ob es eine Kombination aus beidem ist.
Fakt ist: Die Abos schwinden dramatisch schneller, als die Abo-Inhaber wegsterben können. Und am Bevölkerungsrückgang kann es auch nicht liegen, Mannheim ist deutlich gewachsen. Es kann also nur am Inhalt, am Produkt und dessen Qualität liegen.
Dazu gehört aber auch mehr. Wie der neue RNF-Investor Dr. Andreas Schneider-Neureither erklärt hatte, braucht das RNF Unterstützung aus der Gesellschaft, den Institutionen und den Unternehmen. Das gilt für die Tageszeitungen (alle verlieren) im Raum ebenso wie für das RNB, das sich in Zeiten der Krise in einem sehr harten Markt gegründet hat.
Man könnte jetzt meinen, nö, gefällt mir alles nicht. Gut. Dann ist das so. Es wird immer weniger lokale und regionale Informationen geben, die redaktionell-journalistisch aufbereitet sind, dann ist das halt so. Immer mehr wissen dann immer weniger.
Wenn man hier in die Glaskugel schauen will, sollte man eher in einen Waffenhandel, Lazarettbedarf oder schusssicheren Zement investierten, denn hier könnte man möglicherweise erheblich gute Geschäfte machen.
Auch eine ehemals große Tageszeitung, die im Kerngebiet bereits unter die 50.000-Abo-Marke gefallen ist und innerhalb von zehn Jahren fast dreißig Prozent Abos eingebüßt hat, muss deutlich erkennen, dass, wenn sie sich als “Leseranwalt” sieht, sie nur noch Lobbyarbeit für Minderheiten macht und das Große und Ganze aus dem Blick verliert, also eigentlich das, was man erwarten können sollte.
Lokale Akteure aus Wirtschaft, Politik und Institutionen müssen ebenfalls erheblich alarmiert sein – denn wer erklärt die häufig sehr komplexen Sachverhalte in einigen Jahren einer größeren Zahl von Menschen, wenn klassische Medien halt leider verschwunden sein werden? Die Antwort: Niemand oder Wutbürgergruppen, die sich schnell gründen, hart zuschlagen und dann wieder auflösen. Google und Facebook produzieren keine Inhalte und wissen nichts über lokale Zusammenhänge.
Glauben Sie nicht? Dann gehen Sie mal selbst auf eine Demo, gucken Sie sich Facebook-Gruppen an und fragen Sie andere, die Sie icht so gut kennen, zu Themen der Stadtpolitik.