Rhein-Neckar, 20. März 2020. (red/pro) Aktuell werden fast im Tagestakt neue “Allgemeinverfügungen” der Länder bekannt gemacht, die die Kommunen dann jeweils nochmals nach Bedarf anpassen. Die Politik und die Verwaltungen sind ebenso am Anschlag wie Unternehmen und Selbständige oder Familien, Alte, Singles. Aktuell gilt: Das System sieht sich bedroht und droht zurück. Konflikte werden unausweichlich sein.
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Von Hardy Prothmann
Aktuell hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verkündet, dass alle Gastronomien geschlossen werden – bis auf Abhol- und Bringdienste. Zusammenkünfte von mehr als drei Personen sind ab sofort verboten. Damit wird Grundrechte massiv beschnitten, hier GG Art. 8: (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Innenminister Thomas Strobl (CDU) droht unmissverständlich mit Strafen bei Verstößen bis zu 25.000 Euro oder “mehrere Jahre Gefängnis”.
Wer an diesem Punkt immer noch nicht verstanden hat, wie ernst die Lage ist, wird es vermutlich nie verstehen – dann braucht es möglicherweise drakonische Strafen.
Ob diese Strafen bei Einsprüchen später vor Gericht Bestand haben werden, weiß niemand. Die Allgemeinverfügungen sind teils mit heißer Nadel gestrickt – bei Konflikten werden Juristen viel Arbeit haben. Fraglich wird nur sein, wann, wenn es zu Strafbefehlen kommt, gegen die Widerspruch eingelegt wird, zur Verhandlung kommen wird, den auch die Gerichte sind vollständig von der Corona-Krise betroffen.
Morgen soll, so verschiedene Medien, “der entscheidende Tag” sein, durch den sich entscheidet, ob es eine “Ausgangssperre” ab Sonntag geben wird. Das ist natürlich kompletter Quatsch. Richtig ist: Heute wurden in vielen Ländern (auch Rheinland-Pfalz und Hessen) die Maßnahmen nochmals deutlich verschärft, am Samstag wird man feststellen, dass immer noch zu viele Menschen unvernünftig handeln und damit die Rechtfertigung für ein “Ausgehverbot” geben werden. Diese Unvernünftigen sind es, die den Staat zum “starken Handeln” zum Nachteil aller Bürger zwingen. Und damit kommen vermutlich ab Sonntag oder Montag weitere Verbote, die geeignet sind, Gebiete oder Gemeinden abzuriegeln, die besonders betroffen sind.
Ein Ausgehverbot ist hingegen nicht durchsetzbar – zumindest nicht auf längere Zeit, denn Menschen müssen weiterhin zur Arbeit oder zum Arzt oder zum Einkaufen. Konkret wird das ein absolutes Zusammenkunftverbot sein – man wird sich also nur noch zwischen A und B aus triftigem Grund bewegen können.
Wie ich bereits vergangene Woche geschrieben habe, ist ein solcher Zustand über Monate hinweg undenkbar. Das würden viele Menschen psychologisch nicht aushalten – Kurzschlussreaktionen aller Arten wären die Folge.
Wenn zudem erste Nachrichten aufkommen sollten, dass es zu Lieferengpässen kommen wird, werden auch Einbrüche und Plünderungen zu erwarten sein oder wie aktuell schon zu sehen, absolute Trotzreaktionen, bei denen dumme Menschen den Staat und die Gesellschaft herausfordern. Ablauf und (Folgen? Unbekannt.
Freiheit gibt es nur, wenn alle sich an Regeln halten, also verantwortlich agieren. Und temporäre Einschränkungen unserer erheblichen Freiheiten sind laut Infektionsschutzgesetz und anderen Gesetzen möglich – wer das nicht glauben will, hat sich in der Vergangenheit einfach zu wenig schlau gemacht. Damit wird auch der Rechtsstaat nicht außer Kraft gesetzt, wie viele meinen (und ich wünsche mir keinen Führer, wie manche dummen Kommentatoren in asozialen Netzwerken meinen), sondern er wird im Gegenteil gestärkt, wenn die Masse derer zu groß wird, die rechtsstaatliches Zusammenwirken bedrohen.
In diesen Zeiten sind insbesondere seriöse Medien absolut notwendig und wichtig. Tatsächlich kann man sich aber schon längst nicht mehr auf Zeitungen und öffentlich-rechtliche Sender verlassen, weil teils der Sinnzusammenhang beschädigt wird und Aussagen so zurückgeschnitten werden, wie es dem Redakteur in den Sinn passt und nicht, wie die Aussage in Wahrheit war.
Ein Beispiel ist SWR3 mit folgender Schlagzeile am 19. März 2020, 12:33 Uhr: “Schluss mit lustig: Weil sich immer mehr Jugendliche zu Corona-Partys treffen, droht Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit Ausgangssperren.” Im Text heißt es dann: “„Es kann nicht sein, dass jetzt junge Leute zu Corona-Partys rennen“, sagte Kretschmann. „Wenn nicht alle ihr “Verhalten grundlegend umstellen, dann kommen wir um härtere Maßnahmen und Sanktionen nicht herum.“
Tatsächlich hat er Kretschmann dies gesagt: “Es kann nicht sein, dass sich jetzt junge Leute zu Corona-Parties treffen und es kann genausowenig sein, dass Rentner sich auf dem Wochenmarkt treffen und ein Schwätzle halten. (…) Wenn nicht alle ihr Verhalten grundlegend umstellen, dannommen wir um härte Maßnahmen und Sanktionen nicht herum.”
Herr Kretschmann appellierte also von den Jugendlichen bis zu den Rentnern an alle – doch das kommt bei SWR3 nicht vor. Der Sender verknüpft die möglichen Ausgangssperren ausschließlich mit dem Verhalten einiger Jugendlicher. Und das ist Fakenews.
Ein weiteres Beispiel: “Bundesagrarministerin Julia Klöckner sagte den Bauern auf Anfrage der “Neuen Osnabrücker Zeitung” (NOZ) Unterstützung zu. Dabei wolle sie auch “unkonventionelle Wege” gehen. Die CDU-Politikerin erklärte: “Ob diejenigen Mitarbeiter, die in der Gastronomie leider immer weniger zu tun haben, in der Landwirtschaft einspringen können und möchten – auch so etwas müssen wir überlegen.” Es müsse geprüft werden, welche bürokratischen Anforderungen während der Krise gegebenenfalls heruntergefahren werden können.” Das teilt die NOZ in einer Pressemitteilung selbst mit.
Heraus kommt beispielsweise bei Focus: “Corona bedroht Spargel-Ernte: Regierung will Köche und Kellner aufs Feld schicken“.
Dass Frau Klöckner nur vorgeschlagen hat, “unkonventionelle Wege” zu denken und vielleicht zu gehen und dafür ein Beispiel gebracht und keinen Willen zum Ausdruck gebracht.
Unkonventionelles Denken wird aber gebraucht werden. Die Stadt Weinheim beispielsweise versucht einen Lieferservice für den kommunalen Einzelhandel zu organisieren, die solche einen Service bislang nicht hatten, damit Kunden bestellen können und es dann zur Lieferung kommt, statt die Ware im Geschäft zu holen – den die Geschäfte sind geschlossen.
Wichtig ist auch, bevor man unbedachte Äußerungen macht, diese zu prüfen. So wollen die Gesetzgeber in Bund und Ländern das Sonntagsverkaufsverbot in Teilen aufheben. Klingt super? Die Antwort der großen Versorgerketten: “Unser Personal ist sowieso schon am Anschlag.” Das klingt dann nicht so super.
Auch die Meldungen über einen möglicherweise bald verfügbaren Impfstoff gegen SARS-Cov-2 sind irreführend. Selbstverständlich wird daran gearbeitet, auch mit Hochdruck, doch wann ein Mittel zur Verfügung stehen wird, ist derzeit völlig unklar. Das wird mindestens noch Monate dauern, normalerweise benötigt eine solche Entwicklung ein bis zwei Jahre und manchmal auch länger.
Völlig unklar sind künftige Termine: Die Schulen sollen ab dem 19. April in BW wieder geöffnet sein – lässt sich das halten, wenn gleichzeitig nicht mehr als drei Personen an öffentlichen Orten zusammenkommen dürfen? Und was ist mit dem 17. Juni? Kann es dann wieder Veranstaltungen geben? Eher nicht nach der derzeitigen Lage.
Sollte es in Deutschland zu einer ähnlichen Todesfallrate kommen – wo werden die Toten begraben? Ab einem gewissen Zeitpunkt wird es auch auf Friedhöfen keinen Platz mehr geben. Muss man dann “unkonventionell” über temporäre “Massengräber” nachdenken?
Ein Landkreis in Baden-Württemberg hat bereits die Unterstützung der Bundeswehr beantragt, wie Oberstleutnant Markus Kirchenbauer vom Landeskommando Baden-Württemberg auf RNB-Nachfrage bestätigte. Die Hürden für eine solche Hilfe sind hoch – hier müssen erst alle zivilen Mittel ausgereizt sein, sprich Amtshilfen anderer Landkreise, bis die Truppe eingesetzt werden kann. Offenbar ist man der Auffassung, dass dieser Zustand eingetreten ist oder bald eintritt.