Mannheim, 20. Dezember 2014. (red/pro/ms) Die Mitgliederbefragung der CDU schlägt Wellen – warum eigentlich? Wissenschaftlich betrachtet ist sie eine Bubenstück ohne Wert. Politisch betrachtet eine Kampfansage zur Oberbürgermeisterwahl 2015. Die Arena ist die geplante BUGA 23 – keiner weiß, wie die genau aussehen soll. Aber jeder weiß, die Visiere gehen runter. Die Lanzen sind im Anschlag. Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) ist kein Ritter, der auf martialische Methoden setzt. Er kämpft mit offenem Visier und auf der Basis von Ordnung – gegen das Chaos, das die CDU unter dem neuen Kreisverbandsvorsitzenden Nikolas Löbel veranstaltet. Der spielt bei allen Aussagen des Oberbürgermeisters keine Rolle – er nimmt die gesamte CDU in die Pflicht.
Von Hardy Prothmann
Die CDU hat sich durch die Anlage dieser Befragung selbst in Schwierigkeit gebracht. Vor einem Jahr haben über 68.000 Mannheimerinnen und Mannheimer eine Frage bejaht – jetzt verneinen sie 270 CDU-Mitglieder. Trotzdem spricht die CDU von einem repräsentativen Ergebnis und erklärt, man steige aus dem Bürgerentscheid aus. Da muss man sich fragen: Welche Bedeutung hat für die CDU die „bindende Wirkung“ eines Bürgerentscheids? Und sind 270 CDU-Mitglieder wichtiger als der gesamte Rest der Bevölkerung?
OB trifft Presse
Peter Kurz sitzt im VIP-Raum, also da, wo very-important-persons (VIP) sitzen. Also ich und andere Journalisten. Denn wir übertragen „Botschaften. Und der Oberbürgermeister ist fassungslos. Stimmt nicht. Er lacht auch und grinst – zu absurd ist die Situation. Und wird wieder ernst. Er ist hin- und hergerissen. Weil er weiß, dass mit Martin Tangl ein Redakteur des Mannheimer Morgens gegenüber sitzt. Ein Journalist, der seit Monaten gegen ihn kämpft. Ein Mitglied einer Redaktion, die längst alle fairen Standards über Bord geworfen hat. Einer Redaktion, die wie kaum sonst eine Zeitung in der Bundesrepublik jede Camouflage einer „objektiven Berichterstattung“ in einen eindeutigen Kampagnen-Journalismus überführt hat.
Und Peter Kurz weiß auch, dass diese Redaktion mal ein Redaktionsstatut hatte, dass bundesweit Achtung erfahren hat. Er weiß, dass diese Zeitung mal eine gewichtige Stimme war. Aber er hat Martin Tangl vor sich. Einen, der demnächst in Rente geht. Eine alten Zeitungsjournalisten, der weiß, dass es mit dem Zeitungsjournalismus seiner Zeit nicht so weitergeht. Und einen, der wie die anderen auch, mal noch einmal, wie in guten, alten Zeiten üblich, Dampf machen will. Einen, der zeigen will, dass die Zeitung Macht hat.
Deswegen stellt Martin Tangl auch Fragen in einem Ton, der wichtig ist. Selbst, wenn die Fragen banaler nicht sein könnten. Zum Beispiel nach der Bedeutung der Meinungsumfrage der CDU. Peter Kurz wird ein wenig unwirsch, während Martin Tangl lächelt und notiert:
Die Meinung der CDU ist nicht die Meinung der gesamten Bevölkerung. Man positioniert sich gegen einen Bürgerentscheid und bereits abgeschlossene Verträge – aber man bietet keine Alternativen an. Es gibt kein positives Leitbild. Alles wird verneint. Es gibt fünf theoretisch denkbare Optionen, was mit der Straße an der Au geschehen kann: Die Straße kann beseitigt, untertunnelt oder tiefergelegt werden. Man kann sie beibehalten oder verlagern – aber all diese Optionen werden von den Mitgliedern abgelehnt. Es ist in ihren Augen also falsch, was man tut, egal was es ist.
Oberbürgermeister Kurz lacht zum Ende des Zitats – über die Absurdität der Lage. Eine solche Befragung erhöhe nur den „Kuddelmuddel“ und „chaotisiere den Prozess“.
Chaotisierung des Prozesses
Martin Tangl, mit grauem Bart und Lesebrille lächelt oft. Selbst schreiben wird er nicht. Das machen andere – mit dem Inhalt seiner Notizen. Ein perfider Trick – im Zweifel war er zwar dabei, ist aber nicht „verantwortlich“. Trotz grauem Bart und Lesebrille und in sich hinein Lächeln.
Eine solche Befragung ist kein konstruktiver Beitrag, um eine Lösung zu finden. Das macht alles nur chaotischer und komplizierter. Und es verzögert alles.
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz guckt ernst. Es ist ihm ernst. Und er ist fassungslos Martin Tangl zieht die Augenbrauen hoch, notiert und notiert, was er selbst nicht schreiben wird:
Chronologisch betrachtet, war die CDU die Partei, die die Bundesgartenschau – ich meine es war im Oktober 2011 – als erste beantragt haben. Die CDU war die Partei, die – gegen mein fachliches Votum – darauf gedrängt hat, den Bürgerentscheid zeitgleich mit der Bundestagswahl durchzuführen. Es stimmt, dass so vermutlich eine höhere Beteiligungsquote erreicht wurde und das war für die bindende Wirkung sicherlich ein wichtiger Faktor. Aber aus fachlicher Sicht habe ich damals dagegen gehalten, dass der Entscheid zu einem Zeitpunkt durchgeführt wird, zu dem die Planungsgruppen noch nicht stattgefunden haben und zu dem viele der Eckwerte noch nicht geklärt sind. Die CDU hat damals gesagt, entweder der Bürgerentscheid kommt zeitgleich zur Bundestagswahl oder er kommt gar nicht. Um einen Bürgerentscheid zu initiieren, braucht man eine zwei Drittel Mehrheit. Das hätten wir ohne die Stimmen der CDU nicht erreichen können. Und dann haben wir alle dazu durchgerungen, in der Annahme, ein Bürgerentscheid wäre jetzt das richtige Mittel, die Einstellung der Bürger eindeutig herauszufinden und möglicherweise die Situation etwas zu beruhigen – letzteres hat leider nicht funktioniert.
Herr Tangl notiert. Weder er noch ein anderer aus der MM-Redaktion wird dieses Zitat veröffentlichen. Warum nur? Ist es ein „Platzproblem“ in der Zeitung oder Problem, dass die Kampagne des Mannheimer Morgens „platzen“ lassen könnte? Der Oberbürgermeister benennt klar die Voraussetzungen für die „Probleme“, die gerade „aufplatzen“. Die Probleme, die erkennbar waren. Die Probleme, über die angeblich „gestritten“ wird. Martin Tangl notiert. Und zwei Tage später wird die „Chronologie“ erscheinen. Die Zeitung wird im Lokalteil damit aufmachen.
Oberbürgermeister befürchtet Probleme für die ganze Stadt
Der Oberbürgermeister ist ein Profi und nutzt die Zeit für Zitatangebote:
Ich wollte den Bürgerentscheid erst nach dem Abschluss der Planungsgruppen – also frühestens im Februar. Aber wir haben den Bürgerentscheid auf das Drängen der CDU hin, früher durchgeführt und ein Ergebnis bekommen, das nach den Prinzipien der Demokratie eine Entscheidung getroffen werden müsste. Dann gab es eine Mehrheit. Ein knappe, aber eine Mehrheit.
Martin Tangl lächelt und notiert. Der Oberbürgermeister sagt:
Jetzt kommt die CDU und macht eine Mitgliederbefragung, die sich in entscheidenden Fragen gegen die Ergebnisse des Bürgerentscheids richtet. Und die Mehrheiten in der Befragung sind anders als die Mehrheiten in der Befragung Mannheims. Und jetzt meint diese Partei, man müsse noch einmal über alles reden – das ist schon eine bemerkenswerte Zeitachse.
Martin Tangl lächelt und notiert. Was eine schon fast großartige Leistung ist. Denn der Oberbürgermeister schaut in direkt an und macht klar, wenn er über die Kritik an der CDU hinaus kritisch an der Berichterstattung der örtlichen Monopolzeitung findet. Der Oberbürgermeister konzentriert den Blick auf Tangl, der guckt auf seine Notizen, der Oberbürgermeister guckt in die Runde und Tangl lächelt beim Blick auf seine Notizen.
Wer hat den OB über das Ergebnis der CDU-Mitgliederbefragung informiert?
Ich habe davon über das Internet erfahren.
Peter Kurz guckt trocken und beantwortet damit „das Protokoll“ – er hätte erwartet, dass die CDU ihn in Kenntnis setzt. CDU-Chef Nikolas Löbel nutzte lieber die Pressekonferenz, um gegen ihn zu „schießen“, als den Oberbürgermeister über den Ausgang des ach-so-wichtigen-Projekts der CDU persönlich zu informieren. Stilvoll geht anders.
Der Oberbürgermeister gibt eine dramatische Einschätzung der Lage ab:
Aus dieser Umfrage könnte ein Problem für die ganze Stadt entstehen. Wenn die CDU das Votum der Befragung als Grundlage für die Entscheidung im Gemeinderat nimmt, dann hat eine Bundesgartenschau im Gemeinderat momentan keine Mehrheit. Auf der anderen Seite haben wir den bindenden Bürgerentscheid und laufende vertragliche Prozesse. Damit muss man sich entsprechend auseinandersetzen. Ich halte es als Signalwirkung für alle, die an einem Bürgerentscheid teilgenommen haben, für verheerend. So erodiert man eben auch Verfahren. Es ist aber nicht meine Aufgabe, die Probleme der CDU zu lösen.
Martin Tangl lächelt und notiert – diese Notizen werden im Anschluss nicht veröffentlicht. Lächelt er deswegen?
Aufforderung zur Sacharbeit
Während Oberbürgermeister Kurz noch hier und da über die Absurdität der Umfrage lächelte, ist ihm klar, dass die CDU-Spitze den Kamgagnenteppich ausgerollt hat. Und er reagiert souverän:
Das ist nicht einfach eine Spielerei. Man muss sich jetzt auf das konzentrieren, was unmittelbar anliegt. Und unmittelbar liegt nicht die Detailplanung einer Bundesgartenschau an, sondern die Beschreibung dessen, was wir langfristig als Grünzug in Mannheim haben wollen. Und da ist schon immer meine These: Hier können wir die Bundesgartenschau nutzen, um dieses Projekt zu realisieren.
Martin Tangl notiert das nicht. Aber er lächelt.
Oberbürgermeister Kurz sagt: Erst einmal müssen wir zum Thema Grünzug Sacharbeit leisten – wenn den alle wollen. Bis hier eine Basis geschaffen worden ist, sollten die Diskussionen über eine Bundesgartenschau erst einmal hinten angestellt werden. Das ist mein Plädoyer.
Martin Tangl notiert das nicht. Und lächelt.
Dann stellen einige wenige der Journalisten Fragen. Zum Beispiel, wie der Oberbürgermeister die Befragung interpretiert:
Wenn ich wollte, könnte ich aus der Befragung der Mitglieder ablesen, dass die Riedbahnvariante von allen „Neins“ noch das geringste „Nein“ hat. Ansonsten kann ich aus der Befragung wirklich nichts ablesen. Die Frage nach der Verkehrsführung ist unabhängig von der Bundesgartenschau.
Dann gibt es „taktische Fragen“:
Keine Kombination aus zwei Fraktionen hat bei der aktuellen Stimmungslage im Gemeinderat eine Mehrheit. Es macht gar keinen Sinn, nur bilateral die Gespäche zu suchen. Man muss alle Volksvertreter in die Diskussion miteinbeziehen. Oder zumindest eine große Mehrheit, die deutlich jenseits der 50 Prozent liegt. Das heißt mindestens CDU, SPD und Grüne, also die Fraktionen, die die Bundesgartenschau in ihrer Planung ursprünglich unterstützt haben, kommen weiterhin zusammen, um konstruktive, ergebnisoffene Gespräche zu führen. Entweder gibt es einen konstruktiven Dialog auf Basis des Zweitgutachtens oder es funktioniert nicht.
Martin Tangl schreibt sehr konzentriert mit. „Oder es funktioniert nicht“.
Bürgerschaft wird durch CDU verunsichert
Der Oberbürgermeister holt aus, schätzt die „Festlegung“ der Grünen als „schwierig fachlich zu erfüllen“ ein und sagt, die CDU mache gerade das Gleiche mit anderen Vorzeichen. Und lamentiert, dass damit die Probleme noch größer seien. Man sei wieder weg von Sachfragen.
Wenn wir ein Sachthema hatten, von der wir gesagt haben, dass es noch nicht konsensfähig ist, dann ist es das Thema Verkehr. Zu diesem Thema liefert die Bürgerbefragung aber überhaupt keine Antworten. Soll etwa eine BUGA kommen und die Straße so bleiben, wie sie jetzt ist? Dann war das größte Problem, das eigentlich und mit der BUGA gelöst werden sollte, nicht angegangen worden.
Der Oberbürgermeister beschreibt die „Eckwertbeschlüsse“, die mit „großem Konsens“ erarbeitet worden seien. Größe von Gewässer, Naturschutz, qualitative Aufwertung – er zählt auf, was mit Teilen der Au geschehen sollte. Und lobt die Arbeitsgruppen, die zahlreichen Veranstaltungen unter Beteiligung der Bürger/innen. Was heißt das übersetzt?
Wenn man Prozesse nicht absichtlich weiter chaotisieren will – und das ist eine Problematik, die zumindest in den vergangenen Monaten häufiger vorkam – sieht man, dass die Verunsicherung gar nicht mal so sehr in der Sache, sondern die Verunsicherung in der Verunsicherung entsteht. Was meine ich damit? Die Botschaften, die gesetzt werden sind: Große Uneinigkeit. Die wissen nicht was sie wollen. Und es gibt ein Hühott: Alles kann zu jeder Zeit wieder in Frage gestellt werden und was heute beschlossen wurde, muss morgen keine Bedeutung mehr haben.
Als Bürger blicke man da schnell nicht mehr durch, sagt der Oberbürgermeister. Und das stimmt. Damit befördert man auch „Theorien“ – und die sind längst abenteuerlich.
Doch wie muss der Gemeinderat mit der Lage umgehen, in den die CDU das Hauptorgan gebracht hat?
Wir können erst einmal einen Grünzug planen. Aber irgendein eigenständiger Beschluss des Gemeinderats, der von den Ergebnissen des Bürgerentscheids abweicht, ist momentan rechtlich nicht möglich.
„CDU steht mehrheitlich für ein Nichts“
Der Oberbürgermeister war in seinem früheren Leben Verwaltungsrichter – er weiß, wie Prozesse abzulaufen haben. Was, wenn der Gemeinderat zum Bürgerentscheid gegenteilige Entscheidungen fällen würde, müsste er dann sein Veto einlegen? Eine Entscheidung gegen den Bürgerentscheid sei nicht möglich, sagt der Oberbürgermeister. Die einzige Möglichkeit sei ein neuer Bürgerentscheid, der aber die Quoren erreichen müsse und nichts sei schlimmer, als ein Bürgerentscheid, der daran scheitert:
Wir reden hier über Verantwortung. Zunächst gibt es die Verantwortung gegenüber den Beteiligten einer Abstimmung. Diese Menschen nehmen daran teil, in der Annahme mit ihrer Teilnahme Einfluss zu nehmen. Aus dem Bürgerentscheid ist eine Entscheidung hervorgegangen. Wie will man denn das Instrument Bürgerentscheid glaubwürdig in die Zukunft tragen und als Befriedungsinstrument einsetzen, wenn die Mandatsträger damit so liederlich umgehen?
Der Oberbürgermeister schaut in die Runde, lächelt kurz und sagt:
Bei der Mitgliederbefragung hat die CDU ein unrealistisches Angebot gemacht und jetzt parteiintern eine Mehrheit für Nichts bekommen. Das ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, um jetzt im Ergebnis sagen zu können: „Wir wollen aus der BUGA raus.“
Und? Klappt dieses Ansinnen? Ein Journalist fragt, ob die Einbeziehung der Au „alternativlos“ sei.
Ein Wort wie „alternativlos“ würde ich nie verwenden. Es war einmal das Ziel, die BUGA gemeinsam umzusetzen. Wenn wir eine Lösung haben wollen, müssen wir eine Lösung für die Straße finden. Und wir haben Verträge geschlossen und Konzepte in Auftrag gegeben.
Den Verursacher der „Chaotisierung“, des „Kuddelmuddels“, des „Hüh-Hotts“, Nikolas Löbel, nennt er kein einziges Mal.