Rhein-Neckar/Stuttgart, 20. Oktober 2012. (red) Der baden-Württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) hat zunehmend ein Problem: Wie unterwandert sind Polizei und Verfassungsschutz durch rechtsterroristische Vereinigungen? Aktuell ist ein neuer Fall bekannt geworden, dass ein Verfassungsschützer ein Ku-Klux-Klan-Mitglied (KKK) vor einer telefonischen Überwachung gewarnt hatte.
Von Hardy Prothmann
Der Polizistenmord von Heilbronn ist immer noch nicht aufgeklärt. Man weiß, dass die Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) die 22-jährige Polizistin Michèle Kiesewetter mitten am Tag mitten in der Stadt mit Kopfschüssen exekutiert hat. Ihr Kollege sollte auch sterben, überlebte aber schwer verletzt und kann sich an nichts erinnern.
Ungeklärter Polizistenmord
Die Theorie der Ermittlungsbehörden, die NSU habe den Mordanschlag verübt, um sich Waffen zu beschaffen (die Dienstwaffen und andere Ausrüstungen der Polizisten wurden mitgenommen), ist mehr als fraglich. Die Waffen wurden nie benutzt und mit Waffen waren die drei NSU-Mitglieder Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt „gut“ ausgestattet.
Die Polizistin Kiesewetter war möglicherweise in ein braunes Netzwerk verwickelt – dafür gibt es zahlreiche Hinweise. Ihr Vorgesetzter war beim Ku-Klus-Klan, sie stammt wie die NSU-Mitglieder aus Thüringen, dort gab es möglichweise indirekte oder sogar direkte Kontakte von Kiesewetter zur NSU.
Die bekannte Mitgliedschaft ihres Vorgesetzten im KKK hatte weder für diesen noch für einen anderen Polizisten Konsequenzen. Aktuell berichteten die Stuttgarter Nachrichten, dass ein Verfassungsschützer ein führendes KKK-Mitglied über eine Telefonüberwachung informiert hatte. Bundesinnenminister Friedrich bezifferte die Zahl von Rechtsterroristen im Untergrund aktuell auf rund 100 Personen, wie „Die Welt“ berichtet.
Erschütternde Details
Und diese brauchen funktionierende Netzwerke, um unentdeckt bleiben zu können. In den Untersuchungsausschüssen in Berlin, Niedersachsen, Thüringen und jetzt auch Bayern kommen immer mehr Details ans Tageslicht, die erschüttern. Schlampereien bei Behörden, (bewusst) falsche Ermittlungsansätze, V-Männer als Terrorhelfer, vernichtete Akten, Vertuschungen – es tut sich ein Abgrund auf, der nur schwer zu überblicken ist. Hinzu kommt ein mangelhafter Aufklärungswillen bei hohen Beamten, wie dem langjährigen Verfassungsschützer Klaus-Dieter Fritsche (CSU), wie die Neue Osnabrücker Zeitung berichtet.
Die zahlreichen Fakten füllen mittlerweile Bücher, wie das des Journalisten Maik Baumgärtner: Das Zwickauer Terror-Trio. Obwohl der Journalist als einer der bestinformiertesten Experten gelten kann, sagt er:
Es kommen nahezu täglich soviele Details ans Tageslicht, dass ein Überblick schwer fällt.
Zudem gäbe es enorme Behinderungen – einen tatsächlichen Aufklärungswillen müsse man teils bezweifeln. Es soll wohl nicht sein, was nicht sein darf, nämlich die Erkenntnis, dass der Rechtsterrorismus in Deutschland viel gefährlicher und umfassender ist, als man wahrhaben will.
Dilemma Untersuchungsausschuss
Der Abgeordnete des Weinheimer Wahlkreises, Hans-Ulrich Sckerl, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Stuttgarter Landtag, sagt auf unsere Anfrage nach der Notwendigkeit eines Untersuchungsausschusses in Baden-Württemberg:
Ich sehe noch keine Notwendigkeit – immerhin kann Innenminister Reinhold Gall auf alle Unterlagen zugreifen und jeden zum Rapport antreten lassen. Mehr Einblick kann auch ein Untersuchungsausschuss nicht erlangen. Klar ist, hier tut sich ein Sumpf auf und klar ist auch, dass man dieses braune Netzwerk restlos aufklären muss. Ich gehe davon aus, dass Herr Gall das mit Hochdruck vorantreibt.
Für kommende Woche hat der SPD-Minister einen Bericht angekündigt. Es darf als mehr als zweifelhaft gelten, dass das Innenministerium es schafft, innerhalb von wenigen Tagen umfassend Bericht zu erstatten und Licht ins braune Dunkel zu bringen, dessen Verbindungen in die Polizei und das Amt für Verfassungsschutz reichen und vermutlich über das Jahr 2000 zurückreichen. Fest steht – der Innenminister steht unter enormen Druck. Welche rechtsradikalen Verbindungen gibt es? Wie viele Personen an welchen Stellen sind darin verstrickt?
Eigentlich ist die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss (UA) eine Sache der Opposition – und es wäre ein absolut notwendiges Mittel, um die braunen Netzwerke in baden-württembergischen Behörden aufzuklären. Das Dilemma: Der Mord an Kieswetter, die KKK-Verbindungen fanden alle in der Regierungszeit der CDU statt und die wird den Teufel tun und eine Aufklärung über ihre eigenen Unterlassungen, Dienstverfehlungen und Fehler fordern.
Natürlich könnte auch die Parlamentarier der Grünen mit der SPD (ein Viertel des Parlaments muss einen UA fordern) einen Untersuchungsausschuss fordern – das politische Signal käme einem Misstrauensantrag gegen Reinhold Gall und die SPD gleich. So lastet der Aufklärungsdruck auf Reinhold Gall. Sollte er diesem nicht gewachsen sein, muss das Parlament übernehmen.