Weinheim/Rhein-Neckar, 20. November 2015. (red) Weinheim hat ein Problem: Bereits zum dritten Mal hält die rechtsextreme NPD in der großen Kreisstadt an der Bergstraße ihren Bundesparteitag ab. Rund 200 „Nationale“ werden in die Stadt reisen. Dagegen protestiert ein bürgerliches Bündnis mit einem Kulturfest. Möglicherweise versinkt die Stadt aber am Wochenende im Straßenkampf, weil antifaschistische Gruppen seit Monaten mobilisieren und zur Gewalt aufrufen. Die Provinzstadt und ihre Akteure sind vollständig überfordert – und das ist das eigentliche Problem.
Kommentar: Hardy Prothmann
Es gibt viele Gründe, Weinheim zu mögen. Die pittoreske Altstadt, die schöne Lage an der Bergstraße, die alljährliche Kerwe, der Hang zur Geselligkeit. Ich mag Weinheim, weil meine Frau von hier stammt und ich durch meine Arbeit hier sehr viele sehr nette Menschen kennengelernt habe.
Das Klüngel-Problem
Die Idylle ist aber auch das Problem dieser Stadt, deren Oberbürgermeister Heiner Bernhard gerne betont, man sei „Große Kreisstadt“. Doch tatsächlich ist man ein kleine Kleinstadt mit 44.000 Einwohnern. Und das allergrößte Problem, was viele solcher Städte oder kleinerer Gemeinden haben, ist der ortsansässige Klüngel.
Man mauschelt ganz traditionell vor sich hin, man kennt einen, der einen kennt und arrangiert sich untereinander. Alles, was von außen kommt, lässt man möglichst nicht rein. Man „delegiert“ untereinander, selbst wenn man weiß, dass die „Beauftragten“ es eher nicht können. Hauptsache, man bleibt unter sich und redet sich die Verhältnisse schön.
Doch die heile Welt Weinheims kommt ins Trudeln. Ob durch Investoren von außen, die man kontrollieren wollte, aber nicht kann oder aktuell und in Zukunft durch sehr viele Flüchtlinge, die man kontrollieren will, aber nicht kann. Oder durch einen brauen Bodensatz, der schon lange in der Stadt heimisch ist, von allen verleugnet wird. Motto: Was nicht sein kann, gibt es auch nicht.
Original Weinheimer Brauner Bodensatz
Der Weinheimer Günter Deckert, verurteilter Volksverhetzer, war von 1991-1996 Vorsitzender der NPD. Er saß im Gemeinderat der Stadt und im Kreistag. Aktuell ist Jan Jaeschke der bekannteste Neo-Nazi Weinheims. Ein rühriger Rechtsradikaler, der überall im Kreis Demos und Kundgebungen organisiert und dabei eine bemerkenswerte Ausdauer an den Tag legt. Er ist Kreisvorsitzender der NPD und im Landesvorstand.
Weinheim will bunt sein, nicht braun. Weinheim ist nicht bunt und auch nicht braun. Weinheim ist Provinz. Das klingt „gemächlich“ und ist gar nicht abwertend gemeint – aber diese Gemächlichtkeit rächt sich.
Zum dritten Mal in Folge hält die NPD ihren Bundesparteitag in der Stadt ab. 2013 im Ortsteil Sulzbach im „Schwarzen Ochsen“. Die Aufregung war groß, der Protest bescheiden. Es wurde angekündigt, dass man sich dagegen wehren werde. Es passierte wenig bis nichts. 2014 wollte die NPD in die Stadthalle. Der Oberbürgermeister Heiner Bernhard wollte das verhindern. Mit den bekannten provinziellen Methoden: „Wir mauscheln das.“ Doch das ging schief, gründlich schief.
Juristische Ohrfeige? Egal
Es gibt nicht viele Oberbürgermeister im Land, die es hinnehmen mussten, dass der Staatsgerichtshof, das Verfassungsgericht des Landes, per Eilverfügung die Stadt angewiesen hat, der NPD die Stadthalle zu überlassen. Genau gesagt, gibt es keine Stadt außer Weinheim, die vom höchsten Gericht derart düpiert worden ist. Der Grund: Die Stadt hatte unwahre Angaben zur Belegung der Halle gemacht. Brisant: Der Oberbürgermeister ist nicht nur Chef der Verwaltung, sondern auch Jurist. Der Image-Schaden ist gigantisch – nur nicht für den OB und den ihn umkreisenden Klüngel. Nix hören, nix sehen, nix sagen. Wenn man nichts tut und keiner drüber spricht, dann wird das vergessen. So ging das früher lange, aber diese Zeiten sind vorbei.
Aktuell hat die Stadt schon wieder juristisch was um die Ohren bekommen.
2014 war Weinheim nicht als kuschelige, verträumte Kleinstadt an der Bergstraße überregional erwähnt, sondern durch den zweiten NPD-Bundesparteitag mitten in der Stadt. Und die Aufregung war groß und der Prostest bescheiden. Es wurde angekündigt, dass man sich dagegen wehren würde. Es passierte wenig bis nichts. Sie haben ein Deja-vu? Ja, diese Sätze stehen zwei Absätze weiter oben.
Erst Schock, dann munteres Dilettieren
Der Schock saß tief und man dilettierte vor sich hin. „Weinheim bleibt bunt“ war gegründet und organisiert jetzt ein „Kulturfestival“ – außer Sichtweite der NPD. Die meisten handelnden Akteure sind Mitabeiter der Stadt, Stadträte und auch der „Innenexperte“ Hans-Ulrich Sckerl. Angeblich ein Experte, der sich dem Verbot der NPD verschrieben hat und selbst Schlagzeilen machte, als er wegen Mauscheleien nicht in den NSU-Ausschuss durfte.
Dann gibt es noch „Weinheim gegen rechts“, eine angeblich „offene Gruppe“, die aber überwiegend von Linken frequentiert wird, von denen einige zur „Revolution“ neigen und gewaltbereit sind. Und dann kommen Kräfte aus Heidelberg und Mannheim hinzu, „antifaschistisch“ geprägt und für den Krawall auf den Straßen zuständig.
Die Mauschel-Gesellschaft Weinheims guckte und staunte – denn seit Monaten mobilisiert die Antifa den Endkampf in Weinheim. Und dort ist man fassungslos. Erklärung über Erklärung wird abgegeben, man wolle „gewaltfrei“ ein „Zeichen setzen“ und versteht nicht, dass andere dabei sind, die Stadt zu übernehmen. Und zwar keine Rechtsradikalen, sondern Linksradikale.
Zweifelhaftes Image der „Zwei-Burgen-Stadt“
Die Polizei rüstet auf und macht die „Zwei-Burgen-Stadt“, wie sich Weinheim gerne nennt, zur Festung. Ach die zwei Burgen, das eine ist die Ruine Windeck, die nicht für Freiheit steht, das andere eine neue Burg, 1928 fertig gestellt, auf der sich regelmäßig schlagende Studentenverbindungen treffen, die für alles andere als „Freiheit“ stehen. Der OB geht da auch gerne mal vorbei und zieht sich ein „Corps“-Käppi auf.
Dieser Oberbürgermeister ist einer zum Anfassen – ein Kumpeltyp, zwar studiert, aber mundartlich. Immer nett und gewandt, wenn es ums Mauscheln geht, aber auch knallhart mit einem Brett vorm Kopf, wenn jemand von außen sich einzumischen versucht. Genannt: „Der Hoiner“.
In den vergangenen drei Jahren hat „Weinheim“ – man verzeihe die Verallgemeinerung, die ist aber Standard – konzeptionell so gut wie nichts geleistet, um den NPD-Spuk los zu werden. Ganz im Gegenteil – alle „Anstrengungen“ verkehren sich bis dato ins Gegenteil.
Und die rechten Umtriebe in der CDU und der Jungen Union haben wir noch nicht berichtet – das kommt noch.
Weinheims tragisches Dilemma
Tragisch ist, dass es egal ist, was an diesem Wochenende passiert. Kommt es zum Gewalt-Exzess durch Linksradikale, wird man in Weinheim das so umdeuten, dass das „von außen“ kam. Kommt es nicht dazu, wird man sich rühmen, wie friedlich doch alles war und sich auf die Schulter klopfen.
Eine intellektuelle Auseinandersetzung, eine offene Debatte, eine Erkenntnis, dass Weinheim vor allem ein Mauschelproblem hat, ist noch nicht ansatzweise in Gang gesetzt worden.
Für 2016 hat die NPD die Stadthalle wieder angefragt. Und die entscheidende Frage ist, warum „Weinheim“ nicht schon 2015 tatsächlich das ganze Jahr durch die Halle reserviert hat. Warum haben all die Akteure nicht einfach Fakten geschaffen und die Halle „unbuchbar“ gemacht, indem man das ganze Jahr über viele Veranstaltungen zu Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit, Flüchtlingen, Kultur und anderen interessanten Themen veranstaltet.
Fragen, die sich keiner gestellt hat
Es wäre so einfach gewesen, der NPD den Auftritt zu nehmen – stattdessen hat man ihn verstärkt.
Warum feiert diese angeblich so bunte Stadt nicht ganzjährig bunte Themen? Die Antwort ist ernüchternd: Weil keiner im Mauschelzirkus bislang auf diese Idee gekommen ist. Vielleicht auch, weil manchem das Geld zu schade ist und man dann lieber den Steuerzahler ran lässt, um einen massiven Polizeieinsatz mit vermutlich über 1.000 Beamten zu bezahlen. Hat einer der Verantwortlichen auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, dass diese Beamte das Grundgesetz schützen und deswegen möglicherweise verletzt werden?
Nein. Man gefällt sich in Erklärungen, die alles erklären, aber kein ordentliches Verständnis unserer freiheitlichen Rechtsordnung.
Man kann nur hoffen, dass bei den „Woinemern“ der Groschen fällt und man sich gegen eine ganz grundsätzliche Bedrohung zur Wehr setzt: Die traditionelle Mauschelei, die unterm Strich nur den Mauschlern bislang genutzt hat, aber allen anderen schadet.
Bis dahin gilt: Avanti Dilettanti!
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