Heddesheim, 19. November 2013. (red) Schulden hat niemand gerne. Manchmal werden sie zu hoch. So hoch, dass Privatleute ihre finanziellen Lasten nicht mehr bedienen können. Dann bleibt nur die Privatinsolvenz, wenn man handlungsfähig bleiben möchte. Die „Spatzen pfeifen es von den Dächern“ ist so ein Spruch, der einfach meint: In Heddesheim gehen Gerüchte um. Es sind keine. Zwei Gemeinderatmitglieder sind überschuldet und haben sich einem Privatinsolvenzverfahren unterstellt. Ausgerechnet jetzt – ein halbes Jahr vor der Kommunalwahl.
Von Hardy Prothmann
Den Rettungsschirm mit Abermilliarden und Abermilliarden, die sich kein normaler Mensch mehr vorstellen kann, gibt es nur für Banken und Staaten. Da treten Schäuble und Merkel auf, sie macht die Raute, er lächelt gequält, alles ist staatstragend, die Mienen sauerschwer, man trägt Verantwortung. Aber sicher nicht persönlich.
Wer selbstverantwortlich in eine Schuldenkrise stürzt, muss dafür gerade stehen. Merkel und Co. helfen da nicht. Egal, ob man zur Partei gehört oder nicht.
Merkel und Co. gucken die aktuellen Nachrichten durch. Unbelastet. Doch der eigene Blick in den kommunalen Spiegel zeigt jemanden, der gerade am Ende seiner Möglichkeiten ist. Und kein Rettungsschirm ist in Sicht.
Privatinsolvenz als Ausweg aus dem Desaster
Stimmt nicht ganz. Die Privatinsolvenz kann Menschen helfen, das finanzielle Desaster zu ordnen.
Die Gründe für eine Überschuldung sind vielfältig. Sie reichen von verantwortungslosem Konsum bis hin zu Schicksalsschlägen, die niemand kontrollieren kann. Ob eine Bank crasht oder eine Privatperson ihre finanziellen Pflichten nicht mehr bedienen kann – in beiden Fällen gibt es Gläubiger und Schuldner. Die einen wollen Geld, die anderen haben keins mehr. Öffentlich kann man das auf Bundesebene weglächeln – vor Ort nicht.
In Heddesheim sind dieses Jahr bis dato 110 Insolvenzmeldungen anhängig. Das sind nicht 110 Personen – im Zuge der Verfahren sind es viele Meldungen. Ohne genauere Prüfung handelt es sich nach unseren Recherchen um einige Dutzend Fälle. In Ladenburg sind es nur 82 Meldungen, in Schriesheim 113, in Hirschberg 34.
Wie vor – wie zurück?
Wer in ein Privatinsolvenzverfahren geht, weiß nicht mehr vor noch zurück. Ständig gibt es Mahnungen. Inkassobüros schreiben immer unverschämtere Rechnungen, die mit der eigentlichen Schuld nichts mehr zu tun haben. Der Gerichtsvollzieher klingelt öfter als Freunde. Der Druck steigt. Das Konto wird gepfändet. Dadurch entstehen neue Lasten. Gebühren. Forderungen. Ein Teufelskreis. Man hat Ärger ohne Ende und der lastet auf der Seele.
Ganz besonders schlimm ist das, wenn man gar nichts dafür kann. Der Partner, Freunde, Kinder können einen „reingeritten“ haben. Oder die Lebensumstände waren widrig – Unfall, Krankheit, Mobbing, Psychoterror. Oder man ist wirklich selbst „schuld“. Hat über die Verhältnisse gelebt. Es geht finanziell bergab. Die Konsequenz allerdings ist immer gleich: Man ist zahlungsunfähig.
Sechs Jahre, um aus der Schuldenfalle rauszukommen
Die Privatinsolvenz soll das ordnen. Soll das Leben wieder lebenswert machen. Wer sich diesem Verfahren stellt, ist die Gerichtsvollzieher los, die Gläubiger, den endlosen Schriftwechsel. Die Sorgen, wie es weitergeht. Es geht nämlich weiter. Geordnet, aber natürlich nicht in Saus und Braus. Im Verfahren werden dann solche Meldungen öffentlich:
In dem Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen d. XXX, geb. am xx.xx.xxx, XXX. 3, 68542 Heddesheim -Schuldner- wird am xx.xx.2013 um 15.30 Uhr zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse und zur Aufklärung des Sachverhalts angeordnet: (§§ 21, 22 InsO):
1. Maßnahmen der Zwangsvollstreckung einschließlich der Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung gegen d. Schuldn. werden untersagt, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind; bereits begonnene Maßnahmen werden einstweilen eingestellt (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO).
Von der Eröffnung des Verfahrens bis zum Ende der Schulden vergehen sechs Jahre. Dann ist man schuldenfrei. Egal, ob es 30.000 Euro sind oder 100.000 Euro oder noch viel mehr. Egal, ob man Zahnarzthelferin oder Zahnarzt ist, ob Paketzusteller oder Spediteur, ob Architekt oder Zimmermann, ob Angesteller oder Rentner. Ob einfacher Bürger oder Gemeinderat. Nach sechs Jahren sind die Schulden weg. Wenn man alles beachtet, sich ordentlich verhält.
Man kann sogar deutlich mehr als Hartz IV an Einkommen haben. Man muss nicht sechs Jahre am Boden liegen. Auto und andere Dinge, die für viele zum Leben gehören, sind möglich. Man bekommt einen Insolvenzverwalter bestellt – aber der regelt nicht bis ins Letzte das Leben. Wenn man sich dem ordentlichen Verfahren stellt. Und einen Schlussstrich zieht. Und aus der Schuldenfalle raus will.
Es trifft Bürger wie Gemeinderäte
In Heddesheim haben zwei aktive Gemeinderäte diesen Schritt gemacht. Sie sind in Privatinsolvenz gegangen. Das ist zu respektieren. Pikant ist allerdings, dass beide bis heute dem Finanzausschuss angehören. Also dem Gremium, das für den Gemeinderat die „hoheitliche“ Aufgabe des Haushalts vorberät, den der Gemeinderat dann beschließt.
Zwei Stimmen, also 20 Prozent dieses zehnköpfigen Gremiums, sind aus welchen Gründen auch immer in die Lage gekommen, über ihre eigenen Finanzen den Überblick verloren zu haben. Und stellen sich nun einem gerichtlich bestellten Verahren, um aus der Schuldenfalle herauszukommen. Im Finanzausschuss reden sie mit, planen mit und entscheiden mit über den Haushalt aller Bürger/innen.
Der eigenen Schritt in die Privatinsolvenz ist grundsätzlich zu achten und nicht ehrenrührig. Denn wie gesagt: Es kann jeden jederzeit aus unterschiedlichsten Gründen treffen – tatsächlich auch gänzlich „selbst unverschuldeten“.
Verantwortung über Wohl und Wehe
Ob man allerdings weiterhin als Gemeinderat über das Wohl und Wehe der Gemeinde mitbestimmen sollte, wenn man selbst genug damit zu tun hat, aus dem Wehe heraus und in ein verträgliches Wohl zu kommen, das müssen letztlich die betroffenen Personen selbst entscheiden.
Theoretisch und praktisch kann man sogar als Privatinsolventer Bürgermeister sein oder werden. Macht das aber Sinn? Will man sich in der Gemeinde so vertreten lassen? Hält man sich wirklich für repräsentativ oder sollte man nicht lieber konsequent sein Leben in den Griff bekommen (was manchmal schwer genug ist) und anderen das Feld überlassen, die den Kopf freier haben?
Darüber werden die beiden Gemeinderäte nachzudenken haben. Privatinsolvent zu sein heißt nicht, das Heft aus der Hand zu geben. Ganz im Gegenteil. Man möchte sein Finanzleben neu ordnen und das braucht erfahrungsgemäß Zeit und Konzentration auf dieses Ziel. Sechs Jahre. Dann sind alle Schulden Geschichte.
Können privat Insolvente über öffentliche Haushalte entscheiden? Gesetzlich ja – aber moralisch?
Ob in diesem Zeitraum genug Zeit und Konzentration bleibt, um sich um die Finanzen der Gemeinde zu kümmern, steht auf einem anderen Blatt. Man darf gespannt sein, wie die beiden Betroffenen damit umgehen.
Sie werden damit kämpfen, vermeintlich ihr „öffentliches“ Gesicht zu verlieren. Sie können sich aber auch ganz konsequent entscheiden, sich aus der „Öffentlichkeit“ konsequent zu verabschieden und sich um das persönliche Ziel, privat wieder solvent zu werden, kümmern.
Wer dazu bereit ist, hat jede Achtung verdient. Wer nicht, muss gute Gründe haben, privat insolvent zu sein und gleichzeitig öffentlich als solvent gelten zu wollen. Wer das aushalten will, muss extrem spagatfähig sein.
Es geht um Vertrauen
Eigentlich geht es um Finanzen, um Kreditwürdigkeit, also um Glaubwürdigkeit. Anvertrauen, glauben, vertrauen heißt auf lateinisch credere. Diesen Kredit haben die Gemeinderäte gegenüber ihren Gläubigern verloren.
Bürgermeister nach der Süddeutschen Ratsverfassung haben in ihrem Wirkungsbereich tatsächlich mehr Macht als eine Bundeskanzlerin in deren Verfügungsgewalt. Aber einen Rettungsschirm kann selbst ein Michael Kessler nicht bilden, auch, wenn es gerüchteweise heißt, dass zumindest einer der Betroffenen hier und da auf Zuwendung „hoffen“ konnte, während der andere, ebenso gerüchteweise, über viele Jahre „nichts geschenkt“ bekommen hat.
Menschlich muss man den beiden Gemeinderäten wie den Privatpersonen wünschen, dass sie wieder auf die Beine kommen. Für die Gemeinde muss man allerdings auch wünschen, dass sie kein falsches Spiel spielen, sondern den Weg der Verantwortung gehen.
Dafür wird man ihnen Respekt zollen und es wird keine „blöden Gerüchte“ geben. Schicksale, auch finanzielle, sind menschlich. Man darf gespannt sein, ob die beiden Betroffenen den Schritt der Repräsentation ins Private unfallfrei schaffen.