Mannheim, 14. Juli 2015. (red/ms) Aktualisiert. Die Entscheidung über die umstrittene „Europa-Achse“ auf Benjamin Franklin wird erst im Oktober getroffen – obwohl sie eigentlich schon beschlossene Sache ist. Die Verwaltung hat die Achse ohne Rücksprache mit dem Gemeinderat in die Planungen aufgenommen, inzwischen haben die Investoren ihre Planungen daran angepasst und offenbar ist es deswegen zu spät, um noch dagegen zu sein. Mit diesem Vorgehen verstimmt die Verwaltung den Gemeinderat. Wir dokumentieren Stellungnahmen der Fraktionen und Gruppen.

Im Mai tauchte – überraschend für den Gemeinderat – ein Lot in der Planung für die Konversion des Benjamin-Franklin-Village auf. Die sogenannte „Europa-Achse“ wird das gesamte Gebiet „Franklin-Mitte“ zerteilen.
Im Mai tauchte in den Plänen für die Konversion des Benjamin-Franklin-Villages ein Lot auf, das das gesamte Gebiet Franklin-Mitte in zwei Teile trennt. Mit dem Gemeinderat wurde dieses „gestalterische Detail“ vorher nicht abgesprochen.
Die Planung sollte vom Gemeinderat nachträglich abgesegnet werden – doch viele Stadträte zeigten sich von der „Europa-Achse“ nicht gerade angetan. Die CDU beantragte im Mai, über die „Europa-Achse“ abzustimmen. Das ist bis heute nicht geschehen.
Im Juni stellten sich Investoren für Franklin vor. Diese sagten, sie hätten ihre Planung mit viel Aufwand an die Europa-Achse angepasst. Die Achse jetzt wieder aus den Plänen zu entfernen, würde „alles über den Haufen werfen“.
Heute hätte im Ausschuss für Umwelt und Technik (AUT) die Entscheidung über den Zwischenstand der Planungen für Franklin getroffen werden sollen. Doch die CDU beantragte, den Tagesordnungspunkt abzusetzen und somit die Abstimmung zu vertagen. Denn vielen Stadträten seien die Informationsunterlagen erst einen Tag vorher zugekommen. In dieser kurzen Zeitspanne sei es nicht möglich gewesen, die Unterlagen – mehrere hundert Seiten – gewissenhaft zu lesen und sich eine fundierte Meinung zu bilden.
„Entscheidung“ erst im Oktober
Da der Politik eine Sommerpause bevorsteht, findet die nächste Sitzung des AUT erst im Oktober statt. Wenn der Gemeinderat die Investoren nicht verstimmen will, wird er die Achse dann genehmigen müssen. Denn die Investoren werden ihre Planungen in den kommenden Monaten weiter vorantreiben – und zwar mit der Achse im Konzept.
Das Vorgehen der Verwaltung sorgt für Verstimmungen im Gemeinderat – denn durch fehlende Absprachen wird das Gremium vor fast vollendete Tatsachen gestellt. Heute um 12:19 Uhr haben wir folgende Anfrage an die Gruppen und Fraktionen im Mannheimer Gemeinderat (SPD, CDU, Grüne, ML, „ehemalige AfD„, FDP, Die Linke) gestellt:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
heute hätte unseren Informationen zufolge die „Europa-Achse“ auf Franklin im AUT genehmigt werden sollen.
Nachdem die Informationen und Unterlagen zur Sitzung verschiedenen Stadträten erst sehr kurzfristig zugegangen sind und die CDU aus diesen Gründen beantragt, die Entscheidung über diesen Tagesordnungspunkt zu vertagen, ist es wahrscheinlich, dass der Punkt erst in der kommenden AUT-Sitzung beraten und entschieden wird. Also im Oktober.
Bereits im Juni haben sich vier Investoren für Franklin vorgestellt und ausgesagt, dass sie ihre Planung bereits an die Achse angepasst haben und es einen enormen Aufwand verursachen würde, die Planung erneut grundlegend abzuändern.
Unsere Redaktion interessieren in diesem Zusammenhang folgende Fragen.
(1) Ist es aus Sicht ihrer Gruppe, beziehungsweise Fraktion noch möglich und sinnvoll, im Oktober gegen die Europa-Achse zu stimmen?
(2) Was halten Sie, beziehungsweise ihre Gruppe/Fraktion von dem Vorhaben „Europa-Achse“?
(3) Wie gut wird der Gemeinderat aus Ihrer Sicht in die Planung für Franklin miteinbezogen?
(4) Wie beurteilen Sie in diesem Fall das Vorgehen der Verwaltung?
Vielen Dank im voraus.“
Wir dokumentieren die Stellungnahmen der Fraktionen und Gruppen des Mannheimer Gemeinderats in der Reihenfolge, in der sie unsere Redaktion erreicht haben. Bislang haben Volker Beisel (FDP) und die CDU-Fraktion unsere Anfrage beantwortet. Sobald uns weitere Stellungnahmen vorliegen, werden diese im Artikel ergänzt.
Stellungnahme der FDP
Stadtrat Volker Beisel, FDP:
(1) Es ist immer möglich für seine Überzeugung mit JA oder NEIN zu stimmen. Das hängt nicht von Zeitplänen und künstlich geschaffenen Fakten ab, sondern ist mein Grundanspruch an eine funktionierende Demokratie.
(2) Als unerwartet diese Achse auftauchte, war ich zunächst sehr verwundert. Ich dachte erst, es muss sich um die Schneise für die geplante Straßenbahn handeln. Auch von dieser Idee war in der damaligen Vorlage zum ersten Mal die Rede. Angeschnittene Gebäude machten die Raumzuschnitte nicht einfacher. Inzwischen habe ich mit einigen der Investoren gesprochen. Diese sehen die verwickelten Gebäudezuschnitte durch die Achse nicht so kritisch. Allerdings muss klar sein, dass diese Europa-Achse nicht wie eine glatte Schnittfläche, wie vom Rasiermesser gezogene Linie, durch das Quartier gezogen sein wird. Die Häuser an der „Schnittkante“ werden mit individuellen Lösungen und Zuschnitten auf diese Idee reagieren müssen. Aber damit wird der Einschnitt der Achse – welcher auf den Plänen deutlich hervorsticht – in der Realität nicht so deutlich wahrnehmbar sein.
(3) Der Gemeinderat ist schlecht in die Planungen eingebunden. Der Gemeinderat hat sich selbst – gegen die Stimmen der FDP – in seinen Rechten beschnitten, als er die wirtschaftliche Gesamtverantwortung auf die Tochter einer städtischen Tochterfirma übertrug. Jetzt darf ich als Gemeinderat lediglich noch über das Planungsrecht den Prozess steuern. Als Liberaler würde mir dieses Steuerungsinstrument eigentlich reichen. Doch auf der anderen Seite des Verhaltungstisches sitzen nicht private Investoren, sondern auch größtenteils die öffentliche Hand selbst. Dabei entsteht zwischen den städteplanerischen und den wirtschaftlichen Interessen ein Zielkonflikt. Der sprunghafte Anstieg der geplanten Einwohnerzahlen von 5.000 auf 8.000 Einwohner ist u.a. Ausdruck dieses Zielkonfliktes. Die Stadtspitze verfolgt so nicht nur stadtplanerische Ziele, sondern muss auch die eigene Wirtschaftlichkeit mit Nachdruck verfolgen.
(4) Ich bin sehr unzufrieden mit dem Vorgehen der Verwaltung. Vorlagen von 50 Seiten und mehr mit deutlicher Verspätung zuzustellen und dann von den ehrenamtlichen Stadträten zu erwarten, dass wir diese binnen weniger Tage lesen und bewerten, ist schon etwas schäbig. Das Gesetz sieht Fristen für die Versendung von Entscheidungsvorlagen vor. Ich kann erwarten, dass die Stadtspitze diese Fristen auch einhält. Es geht hier schließlich um wichtige Zukunftsentscheidungen mit finanziellen Auswirkungen von vielen Millionen Euro.
Stellungnahme der CDU
Fraktionsgeschäftsführer Matthias Sandel für die CDU-Fraktion:
(1) Die CDU-Gemeinderatsfraktion hat bereits Anfang Mai 2015, sofort als das erste Mal Pläne mit der sog. Europa-Achse den Stadträten zugingen, in einem Antrag Fragen dazu gestellt und eine Abstimmung im Gemeinderat über die sog. Europa-Achse eingefordert. In der Konversionsausschuss-Sitzung am 18. Juni 2015 erklärten die Investoren, dass sie im Rahmen des sog. Iterativen Prozesses die Europa-Achse kritisch gesehen, diese aber in ihren Planungen berücksichtigt haben. Das heißt, dass bereits im Juni 2015 die Streichung der Europa-Achse zu umfangreichen und teuren Umplanungen bei den Investoren geführt hätte. Die Investoren haben sich offensichtlich damit arrangiert. Aus diesen Gründen ist für den Gemeinderat eine Ablehnung der sog. Europa-Achse weder heute noch im Oktober nicht sinnvoll und dadurch de facto nicht mehr möglich.
(2) Das zukünftige Wohngebiet FRANKLIN hat mehrere städtebauliche Elemente die aus der ehemaligen Militärkaserne ein interessantes Gebiet machen können. Unter anderem die großzügige Grünplanung mit einer hufeisenförmigen Parkgestaltung rund um FRANKLIN Mitte. Auch die breite Freifläche von der Kirche bis zur Offizierssiedlung wird prägend für das Wohngebiet sein. Aus Sicht der CDU-Gemeinderatsfraktion hätte es eines weiteren städtebaulichen Elements wie der sog. Europa-Achse nicht bedurft. Wie bereits unter 1. Beschrieben, wurde es auch bei den Investoren sehr kritisch gesehen.
(3) Der Gemeinderat wurde in den sog. Iterativen Prozess, der zwölf Investoren auf FRANKLIN Mitte mit Mitarbeitern der Stadtverwaltung, der MWSP und der beratenden Architekten Winy Maas und Bernhard Schwarz (sinai) überhaupt nicht eingebunden. Der Prozess findet in einer „Blackbox“ statt. Die schon weit entwickelten Pläne wurden erstmals in der Konversionsausschusssitzung am 18.6.2015 vorgestellt. Im Oktober 2015 soll ein Workshop zu FRANKLIN mit Mitgliedern des AUT und den Vertretern im Iterativen Prozess stattfinden. Dort soll der aktuelle Planungsstand vorgestellt werden. Wir hätten uns prozessbegleitenden Austausch mit dem Gemeinderat gewünscht.
(4) Die Verwaltung hat ohne direkte Einflussmöglichkeit des Gemeinderats Entscheidungen getroffen und die Pläne zu einer solchen Reife entwickelt, dass anderslautende Entscheidungen des Gemeinderats nur mit hohem zeitlichen und finanziellen Aufwand möglich sind. Die Verwaltungsspitze hat offensichtlich die Entscheidungsfähigkeit des Gemeinderats bewusst eingeschränkt.
Stellungnahme der „ehemaligen AfD“
Eberhard Will für sich selbst und die fraktionslosen Stadträte Roland Geörg und Dr. Gerhard Schäffner:
(1) Da es keinen Vertrauensschutz auf der Basis von Planentwürfen gibt, könnten wir natürlich noch dagegen stimmen. Allerdings wäre dies nicht sinnvoll.
(2) Franklin hat den langweiligen Grundriss eines Barackenlagers. Die Europa-Achse zwingt (hoffentlich) die Architekten, wenigstens an einigen Stellen, originelle Eck- und Fassadenlösungen vorzusehen, die die Monotonie unterbrechen. Künftig wird man Franklin nicht aus der Draufsicht betrachten, sondern aus Augenhöhe. Dann wird man voraussichtlich dankbar sei für ein paar Überraschungen.
(3) Das iterative Verfahren, in dem Planer, die sich selbst verwirklichen wollen, mit Investoren, die verkaufen/vermieten und Geld verdienen müssen, zusammenarbeiten, ist grundsätzlich der Aufgabe angemessen. Ein Stadtrat, der sich intensiv mit der Konversion befassen will, erhielt bisher sehr viel und auch qualifizierte Information, sowie viele Gelegenheiten, gemeinsam mit Bürgern oder Stadtratskollegen mit den Verantwortlichen sowohl die Verfahren als auch Planungsinhalte zu erörtern. Die Gelegenheite, „nein“ zu sagen, sind gesetzlich geregelt und bleiben unbenommen.
(4) Wer mit dem Ergebnis zufrieden ist, hat üblicherweise am Vorgehen wenig auszusetzen.
Stellungnahme Bündnis90/Die Grünen
Dirk Grunert für die Fraktion der Grünen:
(1) Es gab bisher noch keine formale Abstimmung über die Europa-Achse. Daher ist es natürlich noch möglich gegen die Achse zu stimmen. Eine Ablehnung der Europa-Achse zu einem so späten Zeitpunkt, bei dem die verschiedenen Bauträger alle die Achse aufgenommen habe, verursacht aber natürlich große Kosten und weitere Verzögerungen in der Entwicklung von BFV. Daher braucht man gewichtige Gründe, wenn man jetzt die Europa-Achse ablehnen will. Ein „Gefällt mir nicht“ kann jetzt eigentlich keine ausreichende Begründung mehr sein, da müssen dann gewichtigere Gründe gebracht werden. Allerdings hat die Verwaltung bisher auch zu keinem Zeitpunkt eine Zustimmung des Gemeinderates zu dieser Gestaltung eingeholt und daher dazu beigetragen, dass es im Oktober ggf. zu einem schwierigen Ergebnissen kommen kann.
(2) Bei uns in der Grünen Fraktion war die Europa-Achse bisher kein großes Themen. In Bezug auf die Entwicklung von BFV stehen bei uns eher die Themen bezahlbarer Wohnraum, ein guter energetischer Standard der Alt- und Neubauten auf BFV oder der Erhalt von möglichst viel Grünflächen und Bäumen im Vordergrund. Wir unterstützen selbstverständlich, dass BFV ein ansprechendes und markantes Stadtbild erhält. Von daher ist die Idee der Europa-Achse für uns erstmal eine interessante Idee.
(3) Die Einbeziehung des Gemeinderates in die Planung für Franklin ist nicht optimal. Zuständig ist die MWSP, in der nur wenige Stadträte Mitglied sind. Aber selbst diese Stadträte werden oft nur schlecht infomiert über die Pläne der Geschäftsführung. Von daher ist es nicht ganz leicht, politische Ideen in Bezug auf Franklin einzubringen und durchzusetzen. Hier wünschen wir uns eine bessere Kommunikation und eine offenere Haltung bezüglich der Ideen der Gemeinderäte.
(4) Da möchte ich auf unsere Antworten auf die Fragen 1 und 3 verweisen.
Stellungnahme der SPD
Aktualisiert.
Ralf Eisenhauer für die Fraktion der SPD:
(1) Möglich ja, sinnvoll nein.
(2) Wir unterstützen diese städtebauliche Idee, da sie die bestehende Monotonie bricht und für das neue Quartier eine attraktive und unverwechselbare Struktur bietet.
(3) So gut wie bei keiner anderen städtebaulichen Planung der vergangenen Jahrzehnte. Dies ist der Größe der Aufgabe auch angemessen. Die Entwicklung wurde seit vielen Jahren zunächst über den bürgerschaftlichen Prozess der Weißbücher, anschließend mit Hilfe des Iterativen Planungsverfahrens und schließlich mit der Verabschiedung der Rahmenplanung gesteuert. Die jetzige Präzisierung auf der Ebene einzelner Baufelder und Investoren orientiert sich an dem vom Gemeinderat gebilligten FRANKLIN-Zertifikat.
(4) Es entspricht den mit dem Gemeinderat getroffenen Vereinbarungen. Auf Grund der großen Dynamik des Prozesses, der Komplexität und schieren Größe der Aufgabe ist es für die Verwaltung teilweise schwierig, die für eine sachgerechte Diskussion erforderlichen Informationen gut aufbereitet und rechtzeitig vor Gremiensitzungen dem Gemeinderat zur Verfügung zu stellen. Hier ist größere Sorgfalt, ggf. auch zu Lasten der Geschwindigkeit, wünschenswert.
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