Hirschberg, 20. April 2011. (red) Was würden Sie sagen, wenn Sie einen Kostenvoranschlag erhalten, diesem zustimmen und der Handwerker Ihnen später erst eine 100-prozentige Kostensteigerung präsentieren würde und dann vielleicht noch eine 200-prozentige in Aussicht stellen würde? Sie würden sich wehren, den Vertrag kündigen und sich einen anderen Dienstleister suchen. Zu recht.
Nicht so der Hirschberger Gemeinderat. Während sich die Gemeinderäte bei „Kleinstbeträgen“ lange Redediskussionen liefern, werden große Posten mehr oder weniger durchgewunken. Unglaublich? Nein. Das ist die Realität.
Von Hardy Prothmann
Sicherlich ist der Ausbau der S-Bahn ein Vorteil – auch für die Gemeinde Hirschberg. Und sicherlich ist es für die Verkehrsinfrastruktur sinnvoll, die Straßen zu entlasten. Und noch sicherer ist es von Vorteil, dem ökologischeren Personennahverkehr den Vorzug vor dem Individualverkehr zu geben.
Doch zu welchem Preis? Und ist hier alles mit „rechten Dingen zugegangen“?
Glatte Lügen.
Ich habe persönlich die Debatten zu den Kostensteigerungen in den Gemeinderatssitzungen von Heddesheim und Ladenburg verfolgt.
Christian Wühl, Projektleiter beim Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN), hat in beiden Sitzungen eindeutig behauptet, dass er die Kostensteigerung bedaure und es im „Einzelfall“ zu „Abweichungen“ zwischen der „Vorstudie 2005“ und der „Vorplanung 2011“ gebe.
Doch die „Mär“ vom „Einzelfall“ ist glatt gelogen.
Es handelt sich nicht um „Einzelfälle“, wie man sehr gut an der Übersicht der Kostenexplosionen für die Gemeinden in der näheren Umgebung erkennen kann. Zwischen 21,4 und 259,3 Prozent liegen die Kostensteigerungen gemäß dieser Tabelle.
Ob der Planer auch im Hirschberger Gemeinderat entsprechend gefragt wurde und dort auch gelogen hat, ist nicht feststellbar, denn in Hirschberg wurde die Vorstellung in nicht-öffentlicher Sitzung vorgenommen.
Im „Südhessen Morgen“ liest sich die „Vorstellung des Bahnhofausbaus“ am 12. Februar 2011 für Bürstadt so:
„Wühl hatte aber nicht nur gute Nachrichten: Er musste den Parlamentariern auch mitteilen, dass die Baumaßnahme deutlich teurer wird, als sich das in der Vorplanung abgezeichnet hat. Im Vorfeld war man noch von 1,35 Millionen Euro Baukosten für Bürstadt ausgegangen. Inzwischen haben sich die Planer die Gegebenheiten vor Ort genauer angeschaut und gehen nun von 3,14 Millionen Euro Baukosten aus. Die Planungskosten beliefen sich in der Vorstudie noch auf 323 000 Euro, jetzt ist mit 755 500 Euro zu rechnen. Beim Haltepunkt in Bobstadt weichen die aktuellen Kosten nicht ganz so stark von der Vorstudie ab. Bei den Baukosten geht man jetzt von über 2 Millionen Euro aus. Ursprünglich waren es 1,87 Millionen Euro. Hinzu kommen die Planungskosten von knapp 500 000 Euro, die man ursprünglich auf 448 000 Euro geschätzt hatte.“
Was soll man anhand der „Kostensteigerungen“ vermuten? Im „Einzelfall“ kann „mal“ ein Fehler gemacht werden. Es ist aber kein „Einzelfall“, fast jede Bahnhofsplanung ist deutlich bis immens teurer.
Handelt es sich um Unfähigkeit bei den Planern oder um bewusst falsche Kalkulationen, um die politische Zustimmung der Gremien zu erhalten? Denn natürlich muss man davon ausgehen können, dass eine „Vorstudie“ auch Kostensteigerungen für die Zukunft ansetzt. Fünf bis zehn Prozent, vielleicht auch zwanzig Prozent Kostensteigerungen wären noch irgendwie „vermittelbar“ – aber bis zu 260 Prozent? Und nicht nur im Einzelfall, sondern fast durchgängig?
Und dass im Fall des Bahnhofs Heddesheim-Hirschberg nicht bekannt war, dass man für einen behindertengerechten Zugang zwei Aufzüge braucht, die aber wegen der geringen Fahrgastzahlen vermutlich nicht förderungswürdig sind… wer soll das glauben?
S-Bahn21 als Stuttgart21 in klein?
Der Mannheimer Morgen berichtete dazu am 20. November 2010 aus Heddesheim:
„Wühl erklärte – mehrfach -, die „Abweichung“ beruhe darauf, dass man im Gegensatz zu 2006 nun in die Planung eingestiegen sei. Dies seien nun erstmals belastbare Werte, weil man die Situation vor Ort unter die Lupe genommen habe. Je weiter der Planungsprozess fortschreite, desto genauer würden die Kostenschätzungen. 2006 habe man den Kommunen auf deren Wunsche eine „Hausnummer“ nennen müssen – was man aufgrund des frühen Stadiums nicht gerne getan habe.“
Am 03. Februar 2011 berichtet die Zeitung aus Ladenburg:
„Auf diesen Punkt haben wir lange gewartet“, kommentierte Bürgermeister Rainer Ziegler die Vorlage der Pläne. Die Mehrkosten für die Stadt von rund 160 000 Euro seien „schlimm genug“, sagte er, schränkte jedoch ein: „Ich habe das fast noch schlimmer befürchtet.“
Der Ausbau der S-Bahn scheint hier eine kleine Kopie von Stuttgart21 zu sein.
- Es wurde alles vorgestellt und demokratisch entschieden.
- Man darf vermuten, dass die Öffentlichkeit über die wahren Ausmaße und Kosten nicht korrekt informiert worden ist.
Und ist es nicht eine Farce, wenn Bürgermeister Just sich in der Sitzung kenntnislos gibt (nach einer Entscheidung in Heddesheim im November 2010 und in Ladenburg im Februar 2011), ob die Nachbargemeinde Heddesheim nun dem Ausbau zugestimmt hat oder nicht?
Er fragte in der Sitzung seinen Hauptamtsleiter Ralf Gänshirt. Der meint, dass dies nicht der Fall sei und das stimmt. Heddesheim hat die Kostennote Fahrstühle ohne Förderung (noch) nicht genehmigt. Denn Herr Wühl hat signalisiert, dass es doch eine Förderung geben könnte. Auch der Hirschberger Gemeinderat hat nun „beschlossen“, sich dann nochmals „zu beraten“. Ja und dann?
Demokratische Farce.
Als Beobachter reibt man sich die Augen und fragt sich, wie naiv man als Gemeinderat eigentlich sein will?
Selbstverständlich wird nochmal beraten – es soll ja demokratisch zugehen. Und sollte es keine Förderung geben, was dann? Ja dann wird man „mit Bauchschmerzen“ oder mit „Zähneknirschen“ oder „enttäuscht“ oder sogar „unter Protest“ zustimmen. Das übliche „Blabla“ halt.
Bürgermeister Just hat die Richtung vorgegeben: Ganz oder gar nicht!
Das heißt: Auch wenn der Umbau dann 200 Prozent mehr kostet als „geplant“, wird er genehmigt werden. Oder glaubt irgendjemand ernsthaft, dass sich der Hirschberger Gemeinderat oder der Heddesheimer oder der Ladenburger oder sonsteiner der Zustimmung verweigern werden?
Die „Systeme“ funktionieren.
Die „Planer“ wissen genau, wie die „Systeme“ funktionieren. Die Gemeinderäte sehen überwiegend nur „ihren“ Ort und werden von den Verwaltungen nur selten über Entwicklungen in anderen Orten informiert, wenn überhaupt. Und sind selbst überlastet oder lustlos: In Heddesheim oder Ladenburg habe ich jedenfalls keinen Gemeinderat aus Hirschberg zur Beratung der dortigen „S-Bahn“-Thematik gesehen.
Die „Planer“ sitzen in übergeordneten Gremien zusammen, hier spielen mächtige Lobby-Verbände ihren Einfluss aus – was „unten“ bei den Gemeinderäten ankommt, ist häufig nur noch ein „Friss oder stirb“.
Die Tageszeitungen wie Mannheimer Morgen, Weinheimer Nachrichten oder Rhein-Neckar-Zeitung bringen meist die Sicht der Lobbyisten unters Volk, gewürzt mit ein bisschen „Für und Wider“, aber insgesamt weichgespült.
Eine ordentliche Recherche und ein redaktioneller Austausch zu „übergeordneten Themen“ finden (ob „bewusst“ oder „aus Unfähigkeit“ ist unklar) nicht statt. Davon können Sie sich morgen in „ihrer“ Tageszeitung selbst überzeugen. 🙁
Ergänzt, 20. April 2011, 11:34 Uhr:
WNOZ: Alle wollen den S-Bahn-Ausbau
Download:
Beschlussvorlage
Anmerkung der Redaktion:
Hardy Prothmann ist für die Angebote hirschbergblog.de, heddesheimblog.de, ladenburgblog.de redaktionell verantwortlich. In Heddesheim nimmt er das Ehrenamt als partei- und fraktionsfreier Gemeinderat seit der Kommunalwahl 2009 wahr.
In Heddesheim wird ihm von Bürgermeister Michael Kessler und verschiedenen Gemeinderäten die „Doppelfunktion“ als Journalist und Gemeinderat vorgeworfen: „Das können Sie nicht beides sein.“
Hardy Prothmann sieht das anders und beruft sich auf das Grundgesetz, Artikel 5 über die Meinungsfreiheit sowie die Gemeindeordnung Paragraf 32.