Ludwigshafen/Rhein-Neckar, 19. Oktober 2016. (red/pro) Zwei Leichen sind noch nicht eindeutig identifiziert. Bei einer Leiche ist der Grund, “dass sie nicht mehr so wirklich an einem Stück ist”, wie wir aus Ermittlerkreisen erfahren haben. Die BASF hat den Tod von drei Menschen in Pressemitteilungen ein paar Mal bedauert. Das muss reichen. Ab morgen fährt das weltgrößte Chemie-Unternehmen die Produktion wieder an, obwohl längst nicht klar ist, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Damit bleibt ebenfalls unklar, ob und wann es zum nächsten Unglück dieser Art und diesem oder einem noch schlimmeren Ausmaß kommen kann. Was bleibt, ist die Hoffnung, meint Hardy Prothmann.
Kommentar: Hardy Prothmann
Wir sind sehr bestürzt, dass zwei unserer Mitarbeiter ums Leben gekommen sind. Sie haben sich als Feuerwehrleute für die Rettung von Menschenleben eingesetzt. Unsere Gedanken gelten den Verstorbenen, Verletzten und ihren Angehörigen,
sagte Margret Suckale, Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektorin bei BASF SE.
Es ist der 18. Oktober 2016, 11 Uhr, als diese Meldung auf der Internetseite der BASF SE erscheint. Weiter heißt es:
Da die Rohstoffversorgung unterbrochen ist, bleiben die Steamcracker heruntergefahren. Rund 20 weitere Anlagen am Standort sind in Folge ebenfalls heruntergefahren oder im Teillastbetrieb.
Am 19. Oktober um 19:29 Uhr erreicht uns eine weitere Pressemitteilung der BASF SE:
Nach intensiver Prüfung der Sicherheitslage und in enger Abstimmung mit der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd werden die beiden Steamcracker der BASF in Ludwigshafen in den kommenden Tagen schrittweise ihren Betrieb wieder aufnehmen.
32 Stunden nach dem Tod von drei Menschen hat man aus Sicht des Unternehmens genug kondoliert.
Genug bedauert
Im weiteren Text werden die Maßnahmen für die Inbetriebnahme der stillgelegten Anlagen erläutert. Jegliche Hinweise auf eine Bestürzung wegen zu Tode gekommener Menschen fehlt. So schnell geht das. Das ist “just-in-time-Öffentlichkeitsarbeit”. Im Fokus sind die betrieblichen Abläufe – vollkommen entkoppelt von menschlichen Schicksalen.
Die dritte Leiche, erst sieben Stunden vor dieser Mitteilung geborgen, wird schon gar nicht mehr erwähnt. Sie wurde gefunden und abgehakt.
Die Gedanken des BASF-Vorstands und auch der Arbeitsdirektorin Suckale, sind offenbar wieder voll auf den Produktionsbetrieb fokussiert. Obwohl zwei der drei Toten noch keinen Namen haben. Sie sind noch nicht identifiziert.
Bei einer Leiche, die bereits am Dienstag gefunden worden ist, hängt das damit zusammen, “dass diese nicht mehr so wirklich an einem Stück ist”, wie wir aus Ermittlerkreisen erfahren. Es handelt sich vermutlich um einen Mann einer Berufsfeuerwehr, den die Explosion mutmaßlich zerfetzt hat. Ein “bedauerlicher” Kollateralschaden.
Der Mann war vermutlich einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort und versuchte etwas zu retten, mit dem er nichts zu tun hat. Und das “etwas” hat nichts mit ihm zu tun. Man spricht “Bedauern” aus und kümmert sich um die eigenen Wirklichkeit. Die muss voran gehen. Was sonst.
-Anzeige- |
Die BASF erklärte die feststellbare Häufung von meldepflichtigen und freiwillig gemeldeten Unfällen in diesem Jahr unter anderem mit “anlaufenden Produktionen”. Erklärende Botschaft: Vor einem Regelbetrieb kommt es immer mal zu “Schwierigkeiten”. Und die häufen sich.
Die BASF muss den Betrieb wieder aufnehmen – trotz Toten
Diese Botschaft, die “Anlaufschwierigkeiten” wird aktuell nicht erwähnt, obwohl genau das eintreten könnte – weitere Probleme beim “Anlaufbetrieb”. Die BASF fährt Anlagen wieder hoch und es ist unklar, ob dies ohne “Schwierigkeiten” ablaufen wird.
Ohne Frage ist es – rein wirtschaftlich betrachtet – eine Notwendigkeit, dass die BASF als Produktionsunternehmen wieder in Gang kommt, nachdem es an einer entscheidenden Stelle, der Materialzulieferung, massiv eingeschränkt worden ist. Das ist, “nüchtern emotionslos” betrachtet, nachvollziehbar und ein verantwortliches wirtschaftliches Verhalten. Schließlich sind BASF-Produkte wichtig im Kreislauf der Wirtschaft und Menschen hängen wirtschaftlich von diesen Kreisläufen ab. Emotionen haben da wenig Sinn.
Betriebswirtschaft ist kalt
Tatsächlich zeigt sich gleichzeitig die absolut betriebswirtschaftliche Kälte dieses Unternehmens – trotz hochbezahlter “Kommunikationsexperten” – am dritten Tag nach dem Unglück gibt es kein Wort des Bedauerns mehr. Kein schlechtes Gefühl. Keine Frage nach der eigenen Verantwortung für das, was passiert ist und schon gar nicht für das, was passieren könnte.
Aktuell ist das eine “heiße Phase” – die BASF wird alles zu vermeiden suchen, um erneut in die Schlagzeilen zu geraten. Bloß keinen erneuten Unfall mehr. Nicht jetzt. Das wird mit erheblichem Aufwand verbunden sein. Dieser Aufwand wird geleistet werden, weil die Produktion einfach weitergehen muss. Ganz egal, wie viele Menschen gestorben oder verletzt worden sind.
Wir haben davor gewarnt, dass die BASF einfach so wieder in den Regelbetrieb übergeht. Meistens liegen wir mit Warnungen richtig.
Wir wollen definitiv nicht “Recht haben”, haben aber große Sorge, dass wir Recht haben könnten.
30 Opfer des Störfalls vom 17. Oktober sind anscheinend aus Sicht der Konzernleitung noch kein ausreichender Grund, grundsätzlich neu nachzudenken. Wo die “Benchmark” liegt, wissen wir nicht. Wir befürchten, dass selbst 300 Opfer nicht ausreichen würden, um neu nachzudenken.
Fackeln leuchten und donnern wieder
Weiter teilt die BASF mit:
Beide Steamcracker waren infolge des Brandes im Landeshafen Nord am 17. Oktober 2016 heruntergefahren worden, da die Versorgung mit Rohstoffen unterbrochen war. Infolgedessen wurden weitere Verbundbetriebe der Ethylen- und Propylenwertschöpfungsketten abgestellt beziehungsweise auf Teillast reduziert. Insgesamt sind infolge des Brandes derzeit noch 24 Anlagen vollständig heruntergefahren, darunter die beiden Steamcracker. Einige Abnehmerbetriebe konnten durch die Nutzung von Vorräten den Betrieb aufrechterhalten. BASF stellt derzeit eine alternative Naphtha-Versorgung für die Steamcracker über den Hafen auf der Friesenheimer Insel her. Diese Versorgung ist von der Schadensstelle entkoppelt. Durch das Wiederanfahren der Cracker werden auch die weiteren betroffenen Anlagen in den kommenden Tagen schrittweise wieder anfahren beziehungsweise die Auslastung erhöhen.
Während des Anfahrvorgangs werden überschüssige Gase über Fackeln verbrannt. Dadurch wird es voraussichtlich in den Morgenstunden des 20. Oktober 2016 sowie in den folgenden Tagen im Werksteil Nord zu Fackeltätigkeit und Geräuschentwicklung kommen.
Die Gehälter der Vorstände, so hört man, hängen auch vom Betriebsergebnis ab. Das ist so üblich in den meisten Branchen. Zwei von drei Toten sind noch nicht identifiziert. Das ist bedauerlich, aber aus betriebswirtschaftlicher Sicht ohne Bedeutung.
Vermutlich ist auch dieser Störfall ohne Bedeutung für die Erfolgsbeteiligung der Vorstände am Unternehmensergebnis.
Für die drei Todesopfer sind “Erfolgsbeteiligungen” nicht mehr relevant. Für die Familien und Angehörigen wird die BASF vermutlich eine “verträgliche Lösung” finden – ob die in einem “adäquaten” Verhältnis zur Erfolgsbeteiligung der Vorstände und sonstigen “verantwortlichen Leistungsträger” steht, darf bezweifelt werden.
Übrigens – diese Fragen haben wir am 17. Oktober um 15:40 Uhr an die Pressestelle der BASF geschickt – wir haben bis heute keine direkte Antwort erhalten.
Sind die Ursachen für die Explosion bereits bekannt?
Wie viele Verletzte/Schwerverletzte?
Wie viele Vermisste?
Gibt es Tote? Wieviele?
Wie viele Personen zum Zeitpunkt des Unglücks im betroffenen Bereich?
Welchen Umfang hat der Schaden vermutlich?
Welches Material ist explodiert?
Sind Gesundheitsschäden für die Bevölkerung möglich?
Inwieweit wird der Produktionsbetrieb der BASF beeinträchtigt und falls ja, wie lange?
Mir als Journalist bleibt nur die Hoffnung, dass irgendwann Leute, die sehr, sehr viel besser bezahlt sind als ich, sich eine Antwort trauen. Sie wissen schon, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Ich gehe nicht davon aus, dass es ehrliche Antworten gibt. Ich stelle ehrliche Fragen und die Öffentlichkeit bildet sich ihre Meinung so, wie sie das will.
P.S. Der Pilot, der die Luftbildaufnahmen gemacht hat, wurde von uns sehr frühzeitig angeschrieben und “promotet”, weil wir dessen Video eingebettet haben. Große Medien haben kurz darauf bei ihm das Material eingekauft – zu welchen Preisen, wissen wir nicht. Wir gehen von ordentlichem Geschäft aus. Wir hatten auf Nachfrage die Erlaubnis, einen Screenshot zu verwenden. Wir haben darauf verzichtet, weil dieser nicht aus Überzeugung angeboten worden war, sondern als “Good-will”, weil wir Geschäft für den Urheber erzeugt hatten. Das ist nicht unser Stil.
Schätzen Sie diese Art von Artikeln? Die Transparenz? Die Analyse? Die Haltung?
Dann machen Sie andere Menschen auf unser Angebot aufmerksam. Und unterstützen Sie uns als Mitglied im Förderkreis – Sie spenden für unabhängigen, informativen, hintergründigen Journalismus. Der kostet Geld und ist ohne Geld nicht leistbar. 2016 wird für uns existenziell ein entscheidendes Jahr. Wenn Sie künftig weitere Artikel von uns lesen wollen, dann honorieren Sie bitte unsere Arbeit. Hier geht es zum Förderkreis.” Sie können auch per Paypal spenden. Wenn Sie eine Überweisung tätigen wollen, nutzen Sie das Förderkreis-Formular (erleichtert uns die Verwaltung). Dort können Sie einen Haken setzen, dass Sie nur überweisen wollen. Alle Spender erhalten eine Rechnung.