Mannheim, 19. März 2013. (red/aw) Wie die Historikerin Dr. Christiane Fritsche in ihrer Studie “Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt” dokumentiert, hat sich auch die evangelische Kirche in Mannheim an der Arisierung bereichert. Sie führt drei Fälle auf, in denen die evangelische Kirche jüdisches Eigentum angeeignet hat. Dekan Ralph Hartmann gesteht eine Schuld der Kirche ein. Offene Fragen bezüglich einer Wiedergutmachung bleiben jedoch offen.
Am 31. Januar dieses Jahres wurde eine Studie unter dem Titel „Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt – Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim“ vorgestellt. Das 1000 Seiten starke Werk dokumentiert die Enteignung jüdischen Eigentums durch Mannheimer Bürger und Institutionen. Es dokumentiert die schrittweise Entrechtung der Juden, ihre Vertreibung aus dem Wirtschaftsleben und die Vernichtung ihrer bürgerlichen Existenz auf dem Weg zu Deportation und Vernichtung.
Bei den von Dr. Christiane Fritsche dokumentierten Enteignungsvorgängen handelt es sich um zwei Grundstückskäufe und einen Hauserwerb in den Jahren 1938 und 1939. Für 50.000 Reichsmark wurde 1938 vom evangelischen Diakonissen-Mutterhaus ein Grundstück in F7 gekauft. Nur wenige Wochen später erwarb die evangelische Landeskirche ein weiteres Grundstück in der Lachnerstraße für 38.500 Reichsmark. Der Kauf eines Hauses in der Augustaanlage gab bereits damals Anlass zur Kritik. Dr. Christiane Fritsche beschreibt den damaligen Sachverhalt in ihrer Studie so:
Im Januar 1939 ging die Augustaanlage 25 für 92.000 RM an den Unterländer Kirchenfonds über. Die jüdischen Verkäufer, das Ehepaar Bodenheim, hatten für das 1.041 qm große Anwesen Ende der 1920er Jahre 410.000 RM bezahlt. Angesichts dessen forderte das Polizeipräsidium Mannheim zumindest eine Erhöhung des Kaufpreises auf 96.000 RM – und bekam von der Finanzabteilung des evangelischen Oberkirchenrats zu hören, der Erwerb des Hauses sei ein großes finanzielles Risiko für die Kirche. Schließlich wohnten derzeit vor allem Juden in der Augustaanlage 25; nun müsse man “begreiflicherweise bestrebt sein […], arische Mieter zu bekommen”, und wisse folglich nicht, ab wann nach den Kündigungen wieder Mieteinnahmen zu erwarten sind.
Schuld eingestanden: Doch wo bleiben die Konsequenzen?
Das badische Finanz- und Wirtschaftsministerium genehmigte den Verkauf dennoch ohne Auflagen. Die Enteignung jüdischen Eigentums und das auch noch zu einem Spottpreis. Umstände, die förmlich nach Wiedergutmachung schreien. Auch über 70 Jahre später sollten diese Machenschaften nicht in Vergessenheit geraten.
Der heutige Dekan der evangelischen Kirche in Mannheim Ralph Hartmann gesteht die Schuld der Kirche ein:
Angesichts dieser Vorgänge und neuerlichen Erkenntnisse müssen wir feststellen: Vor Gott und vor den Opfern haben wir uns als Kirche schuldig gemacht.
Man habe “damals Vorteile aus dem Unrecht gezogen” und sich “aktiv an der Unmenschlichkeit beteiligt”, so der Dekan in einer Pressemitteilung. Es sei nun Auftrag der Kirche sich “vorbehaltlos an die Seite der Menschen zu stellen, denen die Teilhabe an gesellschaftlichem Leben verwerhrt wird”. Dekan Hartmann versichert eine Auseinandersetzung mit dem Thema:
Wir stellen uns als evangelische Kirche diesem dunklen Abschnitt unserer Geschichte, unabhängig von individueller Schuld und Versagen Einzelner.
Man verurteile das Handeln der verantwortlichen Personen, die durch Amt und Auftrag die Enteignungsvorgänge beschlossen und durchgeführt haben.
Aufklärung, Aufarbeitung! Und was ist mit Entschädigung?
Auf Nachfrage von uns, wie denn die Aufarbeitung im Detail aussehen werde, antwortete Kirsten de Vos, die Pressereferentin der evangelischen Kirche in Mannheim:
Die evangelische Kirche in Mannheim wird gemeinsam mit den Diakonkissen Speyer-Mannheim und der Stiftung Pflege Schönau als Rechtsnachfolgerin des damals beteiligten „Unterländer Kirchenfonds“ eine unabhängige wissenschaftliche Studie in Auftrag geben, um zu gesicherten Erkenntnissen zu allen Fragen zu kommen, die die Grundstücke, Gebäude und vor allem die betroffenen Menschen betreffen.
Man beabsichtige außerdem die Historikerin Dr. Christiane Fritsche mit dieser Studie zu beauftragen und stünde diesbezüglich bereits mit ihr in Kontakt. Weiterhin sei für Herbst diesen Jahres eine öffentliche Veranstaltung zu der Frage des angemessenen und konstruktiven Umgangs mit den gewonnen Erkenntnissen geplant.
Nach derzeitigen Erkenntnissen, so de Vos weiter, wurden alle Gebäude im 2. Weltkrieg zerstört. Die Grundstücke befänden sich außerdem schon lange Zeit nicht mehr in kirchlichem Besitz. Genaueres könne man aber erst nach der bereits angekündigten Studie erläutern. Details zu möglichen Gewinnen, die die Kirche durch einen Verkauf der Grundstücke erzielt hat, bleiben aus.
Auch auf die Frage, ob und in welcher Form eine Entschädigung der damals enteigneteten Familien erfolgen wird, geht man bei der evangelischen Kirche nicht ein. Viel mehr bezieht man sich auf die bereits bekannte „vielschichtige Geschichte der evangelischen Kirche in Mannheim im Umgang mit dem Nationalsozialismus“, die bereits in dem Werk „Gesichte der ev. Kirche in Mannheim“ von Dr. Udo Wennemuth dargestellt sei. Ob eine Neuberwertung der Vorgänge während der Arisierung nötig ist, müsse sich erst noch zeigen.