Weinheim, 19. August 2013. (red/aw) Es ist nur noch gut einen Monat Zeit bis zum Bürgerentscheid und die Stadtverwaltung nimmt in ihrer Informationskampagne Fahrt auf. YouTube-Videos, Facebook-Chat und Co. sollen dazu dienen, die Bürgerinnen und Bürger zu einem „Nein“ am Wahltag zu bewegen. Die Bürgerinitiative „Rettet die Breitwiesen“ hält kräftig dagegen. Erst am vergangenen Samstag lud sie zu einer Kundgebung auf dem Weinheimer Marktplatz und führte Interessierten anschaulich vor, dass „Schafe nun mal keinen Beton fressen“. Der Kampf um die Stimmen für oder gegen ein neues Gewerbegebiet in Weinheim ist damit endgültig eröffnet.
Von Alexandra Weichbrodt
Die Weinheimer Stadtverwaltung zeigt sich zeitgemäß: Seit wenigen Tagen findet man auf der Video-Plattform YouTube zwei amateurhafte Videos der Weinheimer Bürgermeister Heiner Bernhard und Dr. Torsten Fetzner. Beide argumentieren für den Erhalt des Gebietes am „Hammelsbrunnen“.
In seiner Videoansprache erklärt Oberbürgermeister Heiner Bernhard, dass die Lebensqualität in Weinheim nur auf dem jetzigem Niveau gehalten werden könne, wenn sich neue Unternehmen in Weinheim ansiedeln. Die Nachfrage sei groß, deswegen brauche Weinheim das Gewerbegebiet „Breitwiesen“. Dr. Torsten Fetzner stimmt in seiner Ansprache ein Loblied auf die Natur im „Hammelsbrunnen“ an. „Sechs besonders schützenswerte Biotope“ seien am „Hammelsbrunnen“ verankert, außerdem sei das Gebiet wichtig für die Naherholung der Bürger/innen der Weststadt. Das Gebiet „Breitwiesen“ sei daher viel sinnvoller als Gewerbegebiet.
Moderner Wahlkampf: Weinheims Bürgermeister auf YouTube
Veröffentlicht wurden die Videos im Netz von Roger Schäfer, dem Inhaber einer Weinheimer Werbeagentur und Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes. Im Abbinder allerdings präsentieren sich die eigentlichen Auftraggeber dieser Kampagnenvideos: Die Vereinigung Weinheimer Unternehmer e.V. (VWU). Schäfer war in diesem Fall nur Dienstleister. Die Inhalte der Ansprachen lagen in der Verantwortung der Stadtverwaltung. Der Vereinigung Weinheimer Unternehmer e.V. sitzt Dr. Peter Schuster vor. Wer die VWU genau ist? Das erfährt man nicht. Der Verein ist zwar eingetragen – eine Homepage oder Kontaktmöglichkeiten gibt es aber keine – insgesamt erscheint die Vereinigung sehr intransparent.
Flächentäuschung vs. Flächentausch
Neben der Video-Plattform YouTube werden aber auch andere Kanäle der digitalen Kommunikation genutzt. Heute wird der Erste Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner zwischen 16 und 18 Uhr in einem Facebook-Chat für Fragen zum Bürgerentscheid und der Gewerbeentwicklung zur Verfügung stehen. Unter der Telefonnummer 06201-82 369 ist er telefonisch zu sprechen, im gleichen Zeitraum steht er auch im Chat auf der Weinheimer Facebook-Seite www.facebook.com/weinheim. (Hinweis: Herr Dr. Fetzner ist deutschlandweit vermutlich der erste Bürgermeister, der ein reines Facebook-Interview mit uns geführt hat.)
Dr. Fetzner, der auch privat intensiver Facebook-Nutzer ist, ist aber nicht der einzige der sich in dem sozialen Netzwerk Facebook mit dem Thema beschäftigt. Auch die Bürgerinitiative „Schützt die Breitswiesen“ ist hier mit einem Profil vertreten.
Die Bürgerinitiative kämpft ebenso um die Stimmen der Offline-Bürger. Am vergangenen Samstag fand auf dem Marktplatz eine Kundgebung statt, in der sich die Breitwiesen-Schützer der öffentlichen Diskussion stellten, Bürgerinnen und Bürger informierten sowie ihre Sicht der Dinge offenlegte. Sprecher der Bürgerinitiative ist Fritz Pfrang, Weinheimer Landwirt und Vorsitzender der Weinheimer Bauernverbandes. In seiner Rede auf dem Marktplatz sprach Pfrang von einer „Flächentäuschung“ statt einem „Flächentausch“.
„David gegen Goliath“ und die Wahl zwischen „Pest und Cholera“
Laut der Bürgerinitiative reicht die Erhaltung des „Hammelsbrunnens“ nämlich nicht dazu aus, die Flächenerschließung im Gebiet der Breitwiesen auszugleichen. Es sei ein Spiel, wie „David gegen Goliath“, bei dem sich die Stadt Weinheim „aktiv am Flächenfraß“ beteiligt. Pfrang erläuterte in seiner Rede, dass die Stadtverwaltung das Gebiet „Hammelsbrunnen“ an zwei Interessenten gleichzeitig verkaufe, indem sie den Landwirten verspreche dort Landwirtschaft betreiben zu dürfen, gleichzeitig aber auch lautstark für den Erhalt des Naherholungsgebietes wirbt.
Der Bürgerentscheid am 22. September war das Ziel der Bürgerinitiative. Die nun ausgewiesene Frage allerdings stellt sie nicht zufrieden:
„Sind Sie dafür, dass im Bereich „Breitwiesen“ die Ausweisung von Gewerbeflächen unterbleibt, das heißt, dass die bisherige Ausweisung von Gewerbeflächen im Gebiet „Hammelsbrunnen“ erhalten bleibt?“
Denn diese Frage bedeutet, „wenn nicht Breitwiesen, dann Hammelsbrunnen“ oder aber „wenn nicht Hammelsbrunnen, dann Breitwiesen“. Viele von den etwa 20 Mitgliedern der Bürgerinitiative wollen jedoch weder das eine noch das andere Gebiet erschlossen haben. Und auch viele der Weinheimer Bürgerinnen und Bürger stellen sich mittlerweile die Frage, warum überhaupt irgendwo neue Flächen erschließen, wenn doch an anderer Stelle mögliche Alternativen zur Verfügung stehen. Laut Fritz Pfrang seien die Weinheimer mit dem Bürgerentscheid nun „gezwungen zwischen Pest und Cholera“ zu unterscheiden.
Fakt ist: Viel Zeit bleibt den Wählerinnen und Wählern nicht mehr zur Entscheidungsfindung. In gut einem Monat steht die Entscheidung an. Die heftig umstrittene Informationsbroschüre soll in dieser Woche an die wahlberechtigten Haushalte verschickt werden. Die Unterlagen für eine Briefwahl sind ab heute beim Bürger- und Ordnungsamt erhältlich und auch weitere Informationsveranstaltungen von Befürwortern und Gegnern sind bereits angekündigt.
Die Bürgerinitiative lädt im Rahmen eines Hoffestes am 1. September zur Information ein. Ab 11 Uhr können auf dem Hof der Familie Grosshans in der Waidallee beim „Ochsen am Spieß“ noch einmal meinungsbildende Argumente für das Kreuzchen am 22. September gehört werden. Auch die Stadtverwaltung plant am 12. September eine Informationsveranstaltung. Diese soll durch einen unabhängigen Moderator geleitet werden, die Sachlage zusammenfassen und die differenzierten Meinungen zum Flächentausch darstellen. In diesem Rahmen wird außerdem eine Podiumsdiskussion mit aller im Gemeinderat vertretenen Gruppierungen stattfinden.