Stuttgart/Rhein-Neckar, 19. Oktober 2016. (red/pro) Die grün-schwarze Regierung steht mächtig in der Kritik – Nebenabsprachen, Personalmauscheleien und nun das Desaster mit den Lehrerstellen. Die Oppostionsparteien nutzen das Kiwi-Chaos und üben mächtig Kritik. Im Interview erklärt der FDP-Fraktionsvorsitzend Hans-Ulrich Rülke, was seine Partei massiv am “Regierungsstil” stört und wieso dieser die AfD bestärkt und worin sich die Kritik durch die FDP aus seiner Sicht unterscheidet.
Interview: Hardy Prothmann
Herr Dr. Rülke, Sie kritisieren den grünen Ministerpräsidenten Kretschmann massiv für dessen „Mauschelei“. Wie begründen Sie die Kritik?
Dr. Hans-Ulrich Rülke: Das hat der Ministerpräsident sich selbst vorgeworfen mit seinem Eingeständnis „Ich mauschle schon immer“. Es gibt einen offiziellen Koalitionsvertrag und geheime Hinterzimmerabsprachen. Weiter gibt es Personalentscheidungen, die nicht von Notwendigkeiten und Qualifikationen getragen werden, sondern durch die Parteifreunde versorgt werden. Beispiele sind ein ehemaliger Landtagsabgeordneter, der die Wiederwahl nicht geschafft hat und jetzt zum neuen Geschäftsführer der landeseigenen Wirtschaftsfördergesellschaft Baden-Württemberg International (bw-i) gemacht worden ist. Oder die geplante Besetzung des Flughafenchefs in Stuttgart.
Dreiste Postenversorgung
Naja, das sind jetzt zwei Posten.
Rülke: Von wegen. Das hat Methode. Im Innenministerium wird eine B10 Stelle geschaffen für einen CDU-Parteikameraden aus Berlin. Das gab es noch nie. Normalerweise wird ein Amtsleiter mit B9 bestellt. Das Innnenministerium hat davon zwei, einen Amtsleiter und einen für Digitalisierung. Dort ist man eigentlich schon doppelt gut versorgt.
Was kostet die neue Stelle den Steuerzahler?
Rülke: Monatlich rund 12.000 Euro und mit allen Nebenkosten können Sie von gut 200.000 Euro im Jahr ausgehen.

FDP-Fraktionsvorsitzender Dr. Hans-Ulrich Rülke kritisiert massiv die Personalpolitik der grün-schwarzen Regierung als “an Dreistigkeit nicht zu überbieten”. Foto: FDP-Landtagsfraktion Baden-Württemberg
Womit ist die „Dreistigkeit“ der Postenversorgung, wie Sie das nennen, außerdem noch begründet?
Rülke: Für die B10-Stelle wurde nach der Sommerpause sogar das Gesetz geändert, damit das überhaupt möglich ist. Hinzu kommen rund 30 Stellen im Staatsministerium und je rund 50 Stellen beim Wirtschafts- und Innenministerium. Begründet wird das damit, dass man dort „vertraute“ Mitarbeiter brauche.
Heißt übersetzt?
Rülke: Dass man Leute zusätzlich einstellt, weil man denen, die da sind, nicht traut. Die, die da sind kann man nämlich nicht austauschen, weil es Beamte sind. Es herrscht ein absolutes Misstrauen zwischen den Grünen und der CDU in der Regierung. Selbst wenn man diesem misstrauenden Gedanken folgen würde – es ist mir schleierhaft, wieso es neue Stellen für das Staatsministerium braucht, das war grün und ist grün.
Wer führt eigentlich die Regierungsgeschäfte?
Haben Sie weitere Beispiele?
Rülke: Selbstverständlich. In Brüssel lässt sich Herr Kretschmann ein eigenes Büro einrichten und in Berlin Herr Strobl.

Heimlicher Herrscher? FDP-Fraktionschef Rülke fragt geradeheraus, ob Staatssekretär Klaus-Peter Murawski eigentlich das Land regiert… Archivbild
Was ist daran verwerflich, wenn ein Ministerpräsident in Brüssel ein Büro hat?
Rülke: Grundsätzlich nichts. Tatsächlich gibt es in Brüssel wie in Berlin eine Landesvertretung. Aber offenbar traut Herr Ministerpräsident Kretschmann den Mitarbeitern von Herrn Europaminister Wolf in Brüssel nicht und der stellvertretende Ministerpräsident Strobl nicht den Mitarbeitern in Berlin. Also schafft man teure Doppelstrukturen.
Sie fragen den Ministerpräsidenten provokant, ob er eigentlich noch führt oder dessen Staatssekretär Murawski die Landesgeschäfte leitet. Woran machen Sie Ihren Zweifel fest?
Rülke: Auf der Landespressekonferenz wurde Herr Kretschmann mit diesen Personalentscheidungen konfrontiert und meinte, er kenne betreffende Personen gar nicht. Anscheinend entscheidet er gewisse Besetzungen nicht mehr selbst, sondern wird nur noch informiert. Innerhalb des Kabinetts gibt es keine Debatten mehr, da wir nur noch abgenickt. Wenn es Fragen gibt, sollen die an Herrn Murawski gestellt werden. Anscheinend laufen hier alle Fäden zusammen.
Unsere Kritik differenziert, die der AfD nicht
Herr Dr. Rülke. Sie kritisieren Mauschelei und Vetterleswirtschaft…, Sie greifen also die Landesregierung massiv an und meinen sogar, dieser Politikstil nütze vor allem der AfD. Was ist der Unterschied, wenn die AfD Kritik übt und wenn die FDP das macht?
Rülke: Das erkläre ich gerne. Wir kritisieren konkret falsche Entwicklungen und ein untragbares Verhalten. Anhand von Personen und anhand von Fakten. Würde die AfD ihre Kritik so äußern, wäre das zulässig. Das tut sie aber nicht. Sie pauschalisiert und kritisiert nicht Fehler im System, sondern das politische System an sich und zwar für alle „Altparteien“, wie die AfD auch uns nennt. Die AfD differenziert nicht. Das ist aber von entscheidender Bedeutung.

Im Kreuzfeuer der Kritik – der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Archivbild
Aktuell ist die Schulpolitik Aufregerthema. Wie beurteilen Sie die Ankündigung aus dem Kultusministerium, dass der geplante Ausbau von Ganztagsschulen und Inklusion nicht erfolgen kann?
Rülke: Dieser Ausbau ist nicht nur geplant, sondern Gesetz. Und ich sehe einen sehr klaren inneren Zusammenhang mit vielen neuen Stellen, die den bürokratischen Apparat aufblähen – diese Gelder fehlen bei der Besetzung von Lehrerstellen. Außerdem bestätigt das meine These, dass diese Regierungsfraktionen nicht gut miteinander arbeiten.
Weshalb?
Rülke: Weil sie sich gegenseitig an die Wand fahren. Es ist schlicht nicht zu erklären, wieso gerade beim wichtigen Thema Bildung diese negative Entwicklung eintritt. Da arbeiten die Grünen gegen die CDU. Deshalb wiederhole ich das nochmals: Diese Landesregierung ist von tiefem gegenseitigem Misstrauen geprägt und funktioniert nicht.
Zur Person:
Hans-Ulrich Rülke (55) ist promovierter Germanist und über den Wahlkreis 42 (Pforzheim) in den Landtag gewählt. Seit 2009 ist er Vorsitzender der FDP/DVP-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg. Er ist zudem finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion.