Rhein-Neckar, 19. März 2015. (red/ms) Das Polizeipräsidium Mannheim hat im vergangenen Jahr 68.333 Straftaten registriert. Was verraten diese Zahlen? Erst einmal überhaupt nichts – denn um wirklich etwas mit ihnen anfangen zu können, muss man ganz genau hinsehen. Wir haben die umfangreichen Zahlen analysiert.
Von Minh Schredle
In Ilvesheim gab es 2013 pro Einwohner genauso viele Einbrüche wie 2014 in Mannheim – eine Brutstätte der Kriminalität? In Dossenheim wurden 2013 mehrere Menschen aus vollkommen nichtigen Gründen erschossen – ist also die Wohngemeinde in Wirklichkeit die „Bronx der Bergstraße“. Ein gefährlicher Ort?
Laut der Polizeistatistik des Mannheimer Präsidiums ist die Kriminalität von 69.421 auf 68.333 Straftaten im Zuständigkeitsbereich und damit um 1,5 Prozent gesunken, während sie landesweit um 3,2 Prozent zunahm. Aus der regionalen Sicht ist die Entwicklung also positiv – oder doch nicht?
Eine Kriminalitätsstatistik ist zunächst ein rein quantitatives Zahlenwerk – die Gesamtzahl sagt noch nichts über die „Qualität“ einzelner Straftaten aus. Wenn Beispielsweise 30.000 Straftaten registriert werden, weiß man noch nicht, wie viel „Schwerkriminalität“ darin steckt und wie viele „leichtere“ Delikte.
Auffällig ist beim Jahresvergleich zunächst ein starker Anstieg von 2012 auf 2013:
Die Gründe für den erheblichen Anstieg sind ein großes Wirtschaftskriminalitätsverfahren, deutlich mehr Fälle beim Erschleichen von Leistungen sowie die massive Zunahme der Wohnungseinbrüche, aber auch erhebliche Ermittlungserfolge bei der Drogenkriminalität. Insbesondere die Wohnungseinbrecher bekämpfen wir mit großer Anstrengung, was auch zu einem Rückgang der Fälle und einem signifikanten Anstieg der Aufklärung gesorgt hat,
sagt Polizeipräsident Thomas Köber auf Anfrage. Ebenso klar ist: Die Zahlen der Kriminalitätsstatistik sind gestiegen und auch 2014 höher als in den Vorjahren bis 2012. In erheblichem Maß sind erschlichene Leistungen („Schwarzfahren“) gestiegen, die in hohem Umfang den zugezogenen Personen aus Südosteuropa und den sprunghaft gestiegenen Asylbewerberzahlen erstmals seit 2014 zuzuordnen sind. Aber diese „gestiegene Kriminalität“ bedroht weder ein sicheres Leben in Mannheim noch in anderen Orten. Insbesondere die Asylbewerber sind, was schwere Kriminalität angeht, nicht besonders auffällig.
Gesamtzahl der Straftaten: Keine gute Kenngröße
Wenn Politiker und andere behaupten, Mannheim leide in Baden-Württemberg mitunter am stärksten unter einer hohen Kriminalitätsbelastung, mag das zwar im Bezug auf die pure Anzahl der erfassten Straftaten richtig sein. Tatsächlich ist es aber eine sehr undifferenzierte und unangemessen verkürzte Darstellung.
Eine hohe Anzahl an Straftaten muss nicht immer heißen, dass eine Stadt außergewöhnlich kriminell ist. Es kann auch einfach bedeuten, dass die Polizei ihre Arbeit sehr ordentlich macht. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Rauschgiftkriminalität.
In Heidelberg wurden 2014 insgesamt 874 Verstöße registriert, davon 233 am Hauptbahnhof. Innerhalb der Stadtteile erscheint vor allem die Altstadt der Drogenumschlagplatz Nummer 1 zu sein: Hier wurden mit 108 Delikten beinahe doppelt so viele festgestellt, wie im Vorjahr (55 Fälle). In Mannheim wurden insgesamt 1.771 Verstöße festgestellt.
Drogenhochburg Hockenheim?
Im gesamten Zuständigkeitsbereich des Präsidiums sind die sehr hohen Fallzahlen in Hockenheim auffällig: Hier wurden 335 Delikte festgestellt. Im etwa gleich großen Schwetzingen waren es dagegen nur 113 erfasste Fälle und auch in Weinheim – mit etwa doppelt so vielen Einwohnern – gab es nur 163 Delikte. Immer dann, wenn die Polizei Straftäter schnappt, steigen die Zahlen – aber gleichzeitig werden Straftäter dingfest gemacht und der Justiz überführt.
Statistisch gesehen, werden prozentual zur Bevölkerung in Hockenheim sogar deutlich mehr Drogendelikte als in Heidelberg und Mannheim festgestellt. Aber auch hier gilt: Die Quantität sagt nichts über die Qualität der Vergehen aus. Ein Gramm Cannabis ist ein Verstoß, 10 Kilo Kokain sind statistisch auch nur ein Verstoß.
Außerdem erfasst die Statistik nur, wo eine Straftat begangen wird – woher der Täter kommt, ist dabei irrelevant und wird gesondert festgestellt. Die außergewöhnlich hohe Anzahl der Verstöße in Hockenheim hängt somit auch mit den dort stattfindenen Veranstaltungen zusammen, allen voran Rock’n’Heim. Außerdem habe es im vergangenen Jahr einen großen Ermittlungserfolg gegeben, teilt die Polizei mit. Es handelt sich also um „importierte“ und lokal begrenzte Kriminalität.
Laut Frau Götzmann komme es „so gut wie nie“ vor, dass jemand wegen Drogenkonsums angezeigt wird. Demnach handle es sich bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz um sogenannte „Hol-Kriminalität“: Wenn die Polizei nichts tut, finden die Verbrechen trotzdem statt – aber niemand meldet sie. Dann gibt es auch keine Fälle, die in der Statistik erfasst werden können.
Die Polizei muss also von sich aus tätig werden, um diese Delikte zu erfassen. Das ist dann gut für die Stadt – aber schlecht für die Statistik. Zumindest bedeutet es eine höhere Anzahl an Straftaten und somit eine vermeintlich höhere Kriminalität. Diese wäre ohne Aufklärungsarbeit allerdings genau so hoch, würde sich aber dann im Dunkelfeld der nicht erfassten Fälle abspielen.
Entscheidend ist: Welche Straftaten gehen zurück?
Entscheidend ist, welche Straftaten zurückgehen. Das Sicherheitsgefühl einer Stadt wird nicht steigen, wenn die Gesamtkriminalität laut Statistik sinkt, weil weniger Fahrräder gestohlen werden, aber gleichzeitig Mord und Totschlag zunehmen.
In Mannheim und Heidelberg gab es im vergangenen Jahr keinen einzigen Mord – aber drei in Hockenheim, Leimen und Wiesloch. So gesehen ist es also nicht in Mannheim „besonders unsicher“, sondern ganz im Gegenteil in kleineren Gemeinden. Tatsächlich stimmt das aber nicht – kleinere Gemeinden haben immer weniger Kriminalität als Großstädte. Nur eben im Jahr 2014 nicht – da blieb Mannheim mordlos.
Die Verbrechen gegen das Leben sind von 38 Vorfällen im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Mannheim auf 20 Fälle zurückgegangen. Die Aufklärungsquote liegt bei 100 Prozent. Heißt – insbesondere bei Kapitalverbrechen gegen Leib und Leben leistet die Polizei eine hervorragende Aufklärungsarbeit.
„Vieles ließe sich konstruieren“
In der Statistik wird immer der Tatbestand erfasst, wegen dem ermittelt wird. Ein Totschlag in der Statistik musste also nicht unbedingt tödlich enden. Und auch ein versuchter Mord wird als Mord aufgenommen. Die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, Roswitha Götzmann, sagt dazu:
Wie etwas in die Statistik aufgenommen wird, entscheidet in vielen Fällen die Staatsanwaltschaft – das ist eine komplizierte Materie.
Ein Tritt ins Gesicht einer am Boden liegenden Person könne beispielsweise sowohl als versuchter Totschlag als auch als gefährliche Körperverletzung angesehen werden.
Von den 14 Totschlägen, die vom Polizeipräsidium Mannheim im vergangenen Jahr erfasst wurden, endete nur einer tatsächlich tödlich (Tötungsdelikt vor H4-Wache) – statistisch wird aber auch der versuchte Totschlag ohne Unterscheidung zum tatsächlichen Totschlag erfasst. Analog zur Gesetzgebung – denn allein der Versuch ist strafbar.
Verschwörungstheoretiker, die eine „Manipulation“ vermuten, übersehen, dass die Polizei sich selbst damit schaden würde – erstens, wenn das herauskäme, aber viel praktischer in der eigenen Planungsarbeit. Denn auf verfälschten Zahlen kann man keine erfolgreichen Strategien aufsetzen.
Große Erfolge bei den wichtigen Themen
Insgesamt kann das Polizeipräsidium Mannheim dort die großen Erfolge verbuchen, wo die Sicherheit der Bürger tatsächlich akut bedroht wird: Die Gewaltkriminalität ist insgesamt um neun Prozent zurückgegangen, die gefährlichen Körperverletzungen sogar um 11,4 Prozent. Im gesamten Zuständigkeitsbereich gab es weniger Raubüberfälle. Die Gewalttaten auf offener Straße haben ein 10-Jahres-Tief erreicht.
Die Kriminalität innerhalb verschiedener Ortschaften hängt von etlichen Faktoren ab – ein entscheidender ist die Demographie: In Altersheimen sind Schlägereien eher selten. In Diskothekten, in denen der Alkohol in Strömen fließt, eher nicht. Jugendliche und Heranwachsende tendieren eher zur Gewalt als Senioren. Lebt man also sicherer auf dem Land?
Ausreißer kann es immer und überall geben
Tendenziell: eindeutig ja. Doch auch hier sollte man sich hüten, irgendetwas als absolute Gewissheit zu verkaufen. Beispiel Dossenheim: Eine beschaulichen, ruhigen Gemeinde mit einem vergleichsweise hohen Altersdurchschnitt. Trotzdem gibt es 2013 mehrere Tote – weil eine einzelne Person durchdreht und wegen einer Nebenkostenabrechnung zum Mörder wird.
Statistisch gesehen ist Dossenheim 2013 also so etwas wie die „Bronx der Bergstraße“ gewesen. Wer das aber ernsthaft behaupten will, macht sich lächerlich. Bei geringen Fallzahlen wirkt jeder Ausreißer extrem und befeuert leicht Hysterie. Diese Ausreißer kann es aber immer und überall geben – man muss also einen kühlen Kopf bewahren und auf die Fakten gucken.
Objektiv gesehen wird es sicherer,
sagte Polizeipräsident Thomas Köber deshalb im Sicherheitsausschuss des Mannheimer Gemeinderats. Diese Aussage trifft nicht nur auf Mannheim zu – sondern auf den gesamten Zuständigkeitsbereich des Präsidiums.
Einbrüche: „Massive Bedrohung für das Sicherheitsgefühl“
Allerdings sind nicht alle Entwicklungen positiv: Bei den Wohnungseinbrüchen ist eine Zunahme von 4,7 Prozent zu verzeichnen. Davon ist aber nicht nur das Polizeipräsidium Mannheim betroffen – Einbrüche liegen landesweit „im Trend“: In Baden-Württemberg gab es 2014 eine Zunahme von etwa 19 Prozent.
Laut Polizeipräsident Köber seien Einbrüche eine massive Bedrohung für das persönliche Sicherheitsempfinden, da ein Unbekannter in die Privatsphäre eindringt:
Es muss schrecklich sein, sich in den eigenen vier Wänden nicht mehr sicher zu fühlen.
Herr Köber betont allerdings ebenfalls, dass nur die wenigsten Einbrecher auch Gewalttäter sind: „Die allermeisten wollen nicht gesehen werden und schnell wieder verschwinden.“ Es liegt also keine Bedrohung gegen Leib und Leben vor, sondern die Seele wird verletzt – die Polizei nimmt auch dies sehr ernst und betreibt erfolgreich einen enormen Aufwand.
Bei den Einbrüchen gibt es keine homogenen Entwicklungen. Die Kriminalität verlagert sich ständig neu. Daher bieten gerade hier die Zahlen viel Freiraum, falsch interpretiert oder irreführend dargestellt zu werden.
Anstieg um 350 Prozent – ein Grund zur Krise?
So ist die Anzahl der Wohnungseinbrüche in Neckargemünd im Vergleich zum Vorjahr um 350 Prozent angestiegen. Aber müssen die knapp 14.000 Einwohner deswegen in ständiger Angst um ihr Hab und Gut leben?
Nicht unbedingt. Denn die Fallzahlen sind insgesamt sehr gering. Im Jahr 2013 gab es nur 8 Einbrüche. 2014 waren es 36 Fälle. Demnach kann es gut sein, dass es sich bei den hohen Fallzahlen um einen einmaligen Ausreißer handelt.
Gerade in kleineren Gemeinden sind diese Zahlen häufig starken Schwankungen unterworfen: In Ilvesheim gab es 2012 nur 9 Einbrüche, 2013 dann 20 und 2014 wieder 10.
Große Unterschiede innerhalb Mannheims
In Mannheim gab es ebenfalls eine Zunahme bei den Wohnungseinbrüchen – allerdings eine verschwindend geringe: Es sind sechs Fälle mehr als im Vorjahr registriert worden, insgesamt 593. Bezogen auf die Gesamteinwohner ergibt sich ein Einbruch auf 500 Bürger. Im beschaulichen Ilvesheim ist es ein Einbruch auf 1.000 Bürger.
Geht es in Mannheim doppelt so kriminell zu wie in Ilvesheim? Bezogen auf 2014 schon, guckt man aber auf die 20 Einbrüche in 2013, war diese Kriminalität in Ilvesheim exakt so hoch wie in Mannheim. Müsste da nicht alle Ilvesheimer jetzt Angst und Bange im schönen Örtchen am Neckar haben? Sicher nicht.
Man muss also immer genau hinschauen und den Vergleich suchen. Auch in Mannheim gibt es große Unterschiede bei den Entwicklungen innerhalb der einzelnen Stadtteile.
Am häufigsten wurde in der Neckarstadt-Ost eingebrochen: Hier liegt die Zunahme bei mehr als 25 Prozent, es gab hier 92 Einbrüche. Im Stadtteil Innenstadt-Jungbusch ist die Fallzahl von 107 auf 71 Vorfälle oder 34 Prozent zurückgegangen. In Friedrichsfeld wurde mit gerade einmal vier Vorfällen so gut wie nie eingebrochen.
Besorgniserregende Entwicklung in Heidelberg
Eindeutig besorgniserregend ist dagegen die Entwicklung in Heidelberg: Hier gab es innerhalb der vergangenen Jahre eine Zunahme von über 170 Prozent. 2011 waren es noch 143 Vorfälle, 2014 waren es 389.
Seit August 2014 arbeitet in der Kriminalpolizeidirketion in Heidelberg eine Besondere Aufbauorganisation (BAO) mit 40 Mitarbeitern, die sich ausschließlich auf Wohnungseinbrüche spezialisieren.
Seitdem sind deutliche Erfolge zu verzeichen,
sagt Polizeisprecherin Roswitha Götzmann. Die Fallzahlen gingen definitiv zurück. Man rechne für das kommende Jahr mit weniger Delikten und einer höheren Aufklärungsquote.
Hervorragende Polizeiarbeit
Letztendlich bleibt jede Statistik ein zwangsläufig verkürzter Ausschnitt der Realität. Polizeipräsident Thomas Köber betont:
Die Polizeistatistik spiegelt nicht die tatsächliche Kriminalität wieder. Über das Dunkelfeld können wir keine seriösen Angaben machen.
Sich auf absolute Zahlen zu versteifen, ist daher nicht besonders sinnvoll. Nützliche Informationen liefern also vor allem die Entwicklungen über die Jahre gesehen. Und hier ist das Ergebnis eindeutig: Die Gewalt geht zunehmend zurück.
Natürlich wird es immer wieder erschütternde Verbrechen geben – aber eine nüchterner Analyse der Zahlen verdeutlicht: Die Sicherheitslage in Mannheim und Umgebung ist bei Weitem nicht so desaströs, wie sie in vielen Medienberichten und durch Law&Order-Politiker mit einer gewissen Tendenz zur Hysterie dargestellt wird.