Mannheim/Heidelberg/Rhein-Neckar, 19. Januar 2015. (red/ms) In der Metropolregion ist das Interesse an Waffen über das vergangene Jahr hinweg sprunghaft angestiegen. Der Umsatz an Pfefferspray ist auf einem Rekordhoch. Immer mehr Menschen beantragen außerdem kleine Waffenscheine – in Mannheim waren es 2015 fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Große Teile der Bevölkerung leben in Angst. Aber wo soll die private Aufrüstung hinführen?
Von Minh Schredle
Das Sicherheitsgefühl in Deutschland ist massiv gestört. Neben der Angst vor terroristischen Anschlägen, verbreitet sich nach Einschätzung der Redaktion insbesondere in Großstädten und Metropolen zunehmend die Furcht, zum Opfer eines Übergriffs zu werden. Über die vergangenen Monaten hinweg hat sich die Meldungslage merklich gehäuft, was Raubüberfälle, Körperverletzungen und Sexualdelikte angeht.
Immer mehr Menschen bewaffnen sich
Ratlosigkeit macht sich breit: Was gibt mir, meiner Familien, Frau und Kindern die Sicherheit, nicht ebenfalls zum Opfer zu werden? Wer beschützt mich? Und kann ich mich noch alleine aus dem Haus trauen?
Viele beginnen das grundsätzliche Vertrauen in den Rechtsstaat, in Justiz und Polizei, zu verlieren oder haben das bereits. Einige von ihnen wollen ihre Sicherheit spätestens seit den Attentaten von Paris und dann Köln selbst in die Hand nehmen und bewaffnen sich – auf Platz eins steht Pfefferspray, Waffenläden in der Region sprechen teils von einem verzehnfachten Umsatz.
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Lesetipp: Der Handel mit Pfefferspray nimmt rasant zu
„So eine Panik habe ich noch nie erlebt“
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Doch auch das Interesse an Schusswaffen nimmt signifikant zu – allerdings mit großen regionalen Unterschieden. In Heidelberg gab es beispielsweise kaum Veränderungen zum Vorjahr: 2014 wurden 69 Anträge auf waffenrechtliche Erlaubnis gestellt, 2015 waren es 73.
In Mannheim sieht das ganz anders aus: Vor allem sogenannte kleine Waffenscheine, die zum Führen von Schreckschusswaffen und Gaspistolen berechtigen, werden verstärkt nachgefragt: Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Anzahl der Erlaubnisse fast verdoppelt: 2014 waren es 70, 2015 steigerte sich die diese Zahl auf 123. Die städtische Pressesprecherin Désirée Leisner teilt auf Anfrage mit:
Ein auffälliger Anstieg war im Oktober 2015 und erneut im Dezember 2015 zu verzeichnen. Wie sich diese Tendenz weiterentwickelt, bleibt abzuwarten.
Noch drastischer ist die Entwicklung im Rhein-Neckar-Kreis: 2014 haben 66 Menschen den Antrag auf einen kleinen Waffenschein gestellt. 2015 waren es fast drei Mal so viele, nämlich 175 Anträge. Und nach Einschätzung der Redaktion bleibt nicht erst abzuwarten, wie sich diese Tendenz entwickelt: Solange die Menschen weiterhin solche Angst haben, werden die Waffenkäufe weiter zunehmen.
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Lesetipp: Bewaffnetes Opfer schlägt Täter in die Flucht
Wird die Innenstadt zur No-Go-Area?
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Eine Entspannung ist vorerst nicht absehbar. Im Gegenteil: Die Sorgen nehmen seit Jahresbeginn ganz überwiegend zu. Ein erfahrener Waffenhändler, fast fünf Jahrzehnte im Geschäft, sagt gegenüber der Redaktion:
So eine Panik habe ich noch nie erlebt.
Das muss zu denken geben. Unabhängig davon, wie berechtigt welche Befürchtung sein mag: Fakt ist, dass die Angst vorhanden ist und dass sie eine enorme Belastung für das Sicherheitsgefühl darstellt. Wie zahlreiche Leserinnen und Leser uns mitteilen, sehen viele von ihnen gewisse Gebiete inzwischen als „No-Go-Areas“ an – etwa die Mannheimer Innenstadt und vor allem die S-Quadrate.
Am Sonntag Abend wurde eine Frau in Mannheim mit einem Messer bedroht und vergewaltigt. Nicht in einer abgelegenen Seitengasse, sondern am Wasserturm. Mitten in der Stadt. Am frühen Abend um 20 Uhr. In aller Öffentlichkeit. Höchstwahrscheinlich gibt es Zeugen. Aber niemand hat eingegriffen. Das macht fassungslos.
Entspannung durch Waffen?
Sind nun mehr Waffen eine Lösung?
Nicht unbedingt. Vielleicht kann einen der Selbstschutz aus einer bedrohlichen Lage retten. Wahrscheinlich wird sich die Situation dadurch aber nur noch weiter verschärfen: Potenzielle Opfer bewaffnen sich und schützen sich effektiv gegen Täter. Ein einzelner Übergriff wird vereitelt, aber dadurch verschwindet die Kriminalität nicht. Auch die Täter rüsten auf, um weiterhin „erfolgreich“ zu bleiben.
Wo soll das hinführen?
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