Rhein-Neckar/Berlin, 19. November 2018. (red/pro) Die CDU ist in Bewegung – Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel wird nicht mehr für den Parteivorsitz antreten. Drei Kandidaten werden zur Wahl stehen, CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Rechtsanwalt Friedrich Merz und Gesundheitsminister Jens Spahn. Einer, Merz, wurde sehr schnell als Favorit gehypet und wird aktuell demontiert – weil er aus Sicht vieler Journalisten zu viel Geld verdient. Es mag sein, dass CDU und SPD in der Krise sind – der politische Journalismus ist noch viel schlimmer dran.
Von Hardy Prothmann
1998 habe ich zusammen mit einer Kollegin den damaligen Kommunikationschef eines sehr, sehr großen deutschen Konzerns interviewt. Irgendwann stellte die Kollegin eine Frage – ich schildere die Szene:
Kollegin: „Sie haben hervorragende Kontakte zu Herrn Schröder, richtig?“
Kommunikationschef: „Ich würde sie als mindestens sehr gut bezeichnen.“
Augen der Kollegin blitzen: „Wenn Herr Schröder Kanzler werden sollte, werden Sie dann dessen Sprecher?“ (Anm. d. Red.: Offensichtlich war das aus Sicht der Kollegin ein ganz toller Job.)
Kommunikationschef guckt verdutzt. Seine Augen füllen sich mit Wasser. Dann lächelt er sanft: „Diese Frage hatte ich jetzt nicht erwartet. Ich beantworte sie mal mit einer Frage. Wissen Sie, was ich in meiner Position verdiene und was der Bundeskanzler oder dessen Pressesprecher verdient?“
Kollegin verdutzt: „Nein.“
Kommunikationschef: „So rund 240.000 Mark (Anm. d. Red.: Zahl erinnert, könnte abweichen, die genaue Zahl ist auch nicht wichtig). Ich würde mich auf etwa ein Drittel verschlechtern.“
Das würde auch einem Einkommensmillionär Friedrich März drohen. Keine gut dotierten Beraterjobs mehr, keine Aufsichtsratsmandate – nur noch protokollarisch dritter Staatsdiener (der erste ist, was viele nicht so richtig wissen, der Bundespräsident als „Staatsoberhaupt“, darauf folgt der Bundestagspräsident). Sondern zack, ein Einschnitt auf weniger als ein Drittel dessen, was er heute so im Jahr verdient.
Und da stellen sich politische Journalisten bei großen Medien tatsächlich die, mit Verlaub, völlig bescheuerte Frage, ob einer, der so viel verdient, Bundeskanzler werden könnte oder sollte? Statt sich zu fragen, ob sie mit ihrer Neidhaltung noch alle Tassen im Schrank haben? Jemand, der derartige Einbussen hinzunehmen bereit ist, um als 24/7-Jobber nur noch Stress zu haben, dem muss man Respekt sollen. Bundeskanzler zu sein ist nicht mit der Leitung eines Ponyhofs gleichzusetzen. Das geht an die persönliche Substanz.
Viel entscheidender ist die Frage, womit Herr Merz bislang „seine Brötchen“ verdient. Ich gehe davon aus, dass das legale Geschäfte sind und seine Expertise als kluger Anwalt gefragt ist. Wenn er alles ordentlich versteuert hat, ist das hier eine freie Marktwirtschaft und er hat sein Glück gemacht – es sei ihm gegönnt. Aber – die Frage stellt sich und muss gestellt werden. Wer sind seine Kunden, wie haben die sich verhalten und welche Interessenlagen gibt es?
Und hier wird es spannend. Herr Merz ist unter anderem für Unternehmen wie „Blackrock Deutschland“ tätig, denen man durchaus einen Raubtierkapitalismus unterstellen darf. Herr Merz, auch das muss man verstehen, ist ein Lobbyist – für Finanzunternehmen.
Die entscheidende Frage ist also, ob jemand, der hervorragend verdient, sich über viele Jahre aus der aktiven Politik zurückgezogen hat, nun plötzlich seine politischen Ideale wiederentdeckt hat und bereits ist, erhebliche Einschnitte beim Einkommen und absolut krasse Einschnitte für sein Privatleben hinzunehmen, um dem deutschen Volke zu dienen? Er möchte, wie er bei „Anne Will“ erklärte, auch „etwas zurückgeben“? Ob man das glauben soll?
Ich glaube das nicht. Ich könnte es glauben, wenn Herr Merz schon früher wieder politisch aktiv geworden worden wäre. Ist er aber nicht. Was seine genauen Motive sind – es kann auch Geltungssucht sein, weiß ich nicht. „Karrieregedanken“ sind es sicher nicht. Denn die Kanzlerschaft wäre vom Einkommen und den Arbeitsbedingungen einer klarer Abstieg.
Was sehr klar ist: Der politische Journalismus liegt mit seiner Schlagzeilenhechelei schwer am Boden. Ich habe nicht alles gelesen, aber viel und alles war enttäuschend. Kennen Sie vernünftige Artikel zum Thema? Dann posten Sie hier gerne einen Kommentar und einen Link dazu.
Vielleicht ändere ich im Einzelfall ja meine Meinung – insgesamt trifft sie aber zu. Wer jemanden angeht, weil dieser wirtschaftlich erfolgreich ist, der hat nicht mehr alle beisammen und die soziale Marktwirtschaft nicht verstanden. Jeder in diesem Land kann, wenn er es schafft, reich werden und in der Solidargemeinschaft hilft man denen, die es nicht schaffen (ob das praktisch auch so ist, ist eine andere Debatte).
Zurück zur Geschichte oben. Der Kommunikationschef sagte mir später: „Wissen Sie, was das Problem mit manchen Journalisten ist und warum ich erfolgreicher bin?“ Ich: „Ich kann es mir vorstellen, aber bitte.“ Er: „Mangelhafte Recherche, mangelhafte Analyse. Die Frage macht mich immer noch fassungslos. Wenn ich so wie manche Journalisten arbeiten würde, wäre ich sofort meinen Job los. Ich werde für Leistung, nicht für Darstellung bezahlt. Klar könnte ich mir vorstellen, Sprecher des Bundeskanzlers zu werden – der kann mich nur nicht bezahlen. Ich mag meine Moneten.“